Wie viele Buchseiten muss man vollschreiben, um eine ganze Welt zu erklären? Die Antwort ist: 5568. So viele brauchte der niederländische Schriftsteller J. J. Voskuil, als er sich von 1996 an daranmachte, minutiös die Umgebung zu schildern, in der er jahrzehntelang gearbeitet hatte. "Het Bureau" heißt sein siebenbändiges Romanepos, es ist ein arbeitshistorisches Monument, denn es dreht sich auf ganzer Länge nur um das Wesen des Büros und darum, was es mit den Menschen macht, die darin ihre Leben absitzen. Im Gegensatz zu seinen Protagonisten, die sich im ewig dämmernden Zustand der Nicht-Produktivität befinden, hatte Voskuil mit seiner Arbeit in den Niederlanden großen Erfolg ("Das Büro", auf Deutsch im Verbrecher Verlag).
Jenseits der Literatur aber scheint die Geschichte des Büros eine Geschichte voller Missverständnisse zu sein. Seit seinen modernen Anfängen (Kafka ging ja noch ins "Kontor") will es sich eigentlich von sich selbst befreien. Schon 1964 legten die amerikanischen Designer Robert Probst und George Nelson mit dem "Action Office" ein Büromöbel-Set vor, das den Angestellten lässig losgelöst im Raum positionieren und zu mehr Bewegung und Abwechslung verleiten sollte.
Seit mehr als 50 Jahren arbeiten sich die Gestalter an solchen Zielen ab, seitdem geht es beim Stichwort "innovativer Arbeitsplatz" immer um mehr Dynamik und weniger Bürogefühl. Denn das hat mit den Jahrzehnten massiv an Ansehen eingebüßt - nicht zuletzt seit TV-Hits wie "The Office" und "Stromberg" das Büro als Epizentrum des Stumpfsinns entlarvten und Therapeuten es als Keimzelle der Burn-outs ins Visier nahmen. Lange schien die fade Einheit von grauem Resopaltisch, Drehstuhl, Topfpflanze und tropfiger Teeküche trotzdem nur in Details veränderbar zu sein. Größer werden die Fortschritte erst, seit sich die Büroarbeit selbst rasant verändert hat. Seit sie digital, cloudbasiert und von nahezu überall zu erledigen ist, seit relativ kurzer Zeit also, bewegt sich etwas bei der Fahndung nach einer guten Büroumgebung.
Ein moderner Arbeitsplatz braucht keine Wände, sondern Kokons, Raumtrenner, Sofas
Wichtige Vorreiter sind dabei die Co-Working-Spaces, die zuletzt in den Metropolen der Welt entstanden sind. Sie dürfen als innovative und meist sehr interessant konzipierte Versuchsgelände einer neuen Arbeitswelt gelten. Und ein Chef der Zukunft, so die Annahme, wird ähnlich gut gestaltete Argumente brauchen, um die Mitarbeiter noch leibhaftig unter sein Firmendach zu locken. Dass diese Argumente auch mit Mitteln des Interieurdesigns geschaffen werden können, zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Fraunhofer Instituts. In dem Papier wurde die Entwicklung weg von hergebrachten Einzel- und Großraumbüros hin zu zukünftigen Multispace-Umgebungen beleuchtet.
Multispace, das ist auch einer der vielen Kunstbegriffe, die auf der Orgatec-Büromesse im Herbst in Köln kursierten. Letztlich wollen all diese Wortschöpfungen etwas Ähnliches umreißen: die Auflösung bestehender Büroformen zugunsten einer luftigen Arbeitsumgebung, die parallel mehrere Aufgaben erfüllt und möglichst viele Hierarchien und Firmenbereiche einbezieht. Ergänzt wird so eine Multispace-Vision meistens noch um etwas, das die Fraunhofer-Wissenschaftler "non-territoriales Bürokonzept" nennen.
Dergleichen kennt man von den jungen Duz-Konzernen: Jeder Angestellte sitzt jeden Tag, wo er will, soll frei durch die Etage ziehen und dabei nach Laune und Bedarf unterschiedliche Plätze finden können. Darunter auch abgeschottete, eigene Bereiche, zum Telefonieren oder Konzentrieren.
Konsens der Objektausstatter und Architekten ist mittlerweile: Ein moderner Arbeitsplatz benötigt zwar zum einen Demokratie und deshalb gestalterische Offenheit. Ein moderner Arbeitsplatz erfordert aber zum anderen auch Privatsphäre - die das klassische Großraumbüro noch bekämpfte. Und deshalb braucht es weiterhin ein paar Wände. Das sollen aber nicht unbedingt die ollen Zimmerwände sein. Die Designer auf der Orgatec brachten stattdessen eine Vielzahl organischer Kokons mit, dazu innovative Raumtrenner, Sofas mit abschirmenden Seitenwänden, nachempfundene Telefonzellen oder lustig in den Raum gewürfelte Kuben.