Berufsvorbereitung:Motiviert und selbstbewusst

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Mathe mal praktisch: Gesamt- und Hauptschulen verbinden den Lernalltag mit Berufsvorbereitung - mit Erfolg.

Fabian Heckenberger

Tjark Ommen ist heute noch beeindruckt, wie selbstbewusst seine Schüler den Männern im Anzug begegneten. Im vergangenen Jahr hat die Gesamtschule im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge den bundesweiten Wettbewerb "Starke Schule" gewonnen, der von der Hertie-Stiftung und der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt wird.

Daraufhin gaben sich Politiker die Klinken der Klassenzimmertüren in die Hand. "Unsere Schüler haben mit geradem Rücken erklärt, was sie hier machen. Eingeschüchtert war kein einziger", sagt Ommen, der an der Gesamtschule den Hauptschulzweig leitet.

Haltung und Selbstbewusstsein sind Charaktereigenschaften, die Unternehmen in Deutschland bei potentiellen Auszubildenden zunehmend vermissen, und nicht nur die Politik treibt die Frage um, wie die jungen Menschen am besten auf eine Lehrstelle vorzubereiten sind.

Ende vergangener Woche schlug der Deutsche Industrie- und Handelskammertag Alarm: Wegen fehlender Ausbildungsreife blieben im vergangenen Jahr angeblich 50000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Neben schulischen Grundkenntnissen, so die Klage, mangele es den Jugendlichen vor allem an Disziplin und an Leistungsbereitschaft. Auch in Neustadt kannte man diese Probleme. Sie sind weitgehend gelöst.

Schulabschluss plus ein Ausbildungsjahr

Seit 2004 arbeitet die Gesamtschule in einem Modellprojekt mit der örtlichen Berufsschule zusammen, um die Schwelle beim Übertritt von Haupt- oder Realschule in die praktische Ausbildung abzuschleifen. Von der neunten Klasse an werden die Jugendlichen drei Tage pro Woche in der Gesamtschule unterrichtet und zwei Tage an der Berufsschule.

Dort werden sie darauf vorbereitet, wie Meister in Betrieben mit Lehrlingen umgehen. Sie lernen, dass Mathematik auch einen Praxisbezug haben kann. Sie merken, dass sie vielleicht manche Dinge schlechter können als Gymnasiasten, aber auch vieles besser.

Nach der 10. Klasse bekommen die etwa 50 Schüler eines Jahrgangs nicht nur ihr Schulzeugnis, sondern auch eine Bescheinigung, dass sie das erste Ausbildungsjahr in einer der vier Fachrichtungen (Raumgestaltung, Metalltechnik, Körperpflege, Nahrung) bereits absolviert haben. Das Modell könnte in der Debatte um Ausbildungsreife zum Vorbild werden.

"Ein ideales Anregungsmilieu", nennt Isabell van Ackeren, Professorin für Bildungsforschung in Duisburg, diese Verzahnung von Haupt- und Berufsschule. Vor allem bei Hauptschülern müsse der Wunsch nach einem Beruf aktiv geweckt werden. Van Ackeren hat 340 deutsche Schulen, die zur Ausbildungsreife führen, im Bildungsjahr 2008/2009 empirisch untersucht.

"An vielen Hauptschulen wird zu wenig aus den Möglichkeiten gemacht", so ihr Fazit. In der Gesellschaft sei eine "Defizitorientierung" gegenüber den Hauptschülern weit verbreitet, die sich bis in die Klassenzimmer erstrecke. Schulleiter, aber auch Betriebe orientierten sich zu häufig an der Frage, wie der Wissensmangel zu verwalten sei, und nicht an der Frage, was geändert werden müsse, um die Jugendlichen für eine Ausbildung zu interessieren.

Schüler setzen sich mit Berufswahl auseinander

In fast allen 39 Hauptschulen, die 2009 bei "Starke Schule" mit einem Landespreis ausgezeichnet wurden, fanden die Wissenschaftler enge Verzahnungen von Lernalltag und Berufsvorbereitung - etwa in Form von Schülerfirmen oder durch regelmäßige Vortragsredner aus der Wirtschaft.

Auf diese Weise werde die Berufswahl überhaupt erst zum Thema und - in der Auseinandersetzung damit - die Unsicherheit, was nach der 10.Klasse geschieht, früh reduziert. Das funktioniert. 13 Prozent der Absolventen dieser Schulen hatten vor Ausbildungsbeginn berufsvorbereitende Maßnahmen wie Bewerbungstraining oder Sprachförderung nötig. In ganz Deutschland waren es 50,8 Prozent der Hauptschüler.

Das Modell greift um sich

Van Ackeren warnt davor, alle Missstände allein den Schulen anzukreiden, Eltern und Unternehmen seien ebenso gefordert. Dennoch müssten mehr Schulen innovative Ansätze übernehmen, öfter über die Grenzen ihres Pausenhofs hinausblicken. "Der Bereich der kollegialen Schulentwicklung erscheint ausbaufähig", heißt es in der Studie.

In Neustadt am Rübenberge haben sich seit der Preisverleihung etwa 700 Lehrer und Firmenmitarbeiter vor Ort informiert, wie die Quote der Ausbildungsabbrecher fast auf null gesenkt wurde, während bundesweit derzeit jeder fünfte Lehrvertrag vorzeitig gelöst wird. Die Politiker haben nach zahlreichen Schulbesuchen beschlossen, dass die Zeit des Modellversuchs abläuft. Von August 2010 an soll die enge Unterrichtsverzahnung an Haupt- und Berufsschulen in ganz Niedersachsen eingeführt werden.

© SZ vom 14.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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