Arbeit:Wenn Geld allein nicht mehr zieht: Firmen buhlen um Nachwuchs

Hannover (dpa) - Noch mehr Verkäufe, noch mehr Rendite, noch mehr zufriedene Kunden. Zu diesen bekannten Größen gesellt sich bei vielen Firmen ein neues Ziel: mehr zufriedene Mitarbeiter. Die werden im Fachkräftemangel überall immer wichtiger.

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Hannover (dpa) - Noch mehr Verkäufe, noch mehr Rendite, noch mehr zufriedene Kunden. Zu diesen bekannten Größen gesellt sich bei vielen Firmen ein neues Ziel: mehr zufriedene Mitarbeiter. Die werden im Fachkräftemangel überall immer wichtiger.

Wenn Angebot und Nachfrage nicht mehr harmonieren, wird es bekanntermaßen interessant. Beim Wettrennen um Personal ist das inzwischen so. In Zeiten des Fachkräftemangels zahlen die Firmen schon Kopfgeld nach dem Motto "Mitarbeiter werben Mitarbeiter". Tina Voß etwa, ein Personaldienstleister aus Hannover, lockt mit 150 Euro Prämie. Der Beraterriese PwC haut gleich zehnmal so viel raus. Gutes Personal scheint stärker denn je zum Wettbewerbsvorteil zu werden. Volkswagen hat seine Arbeitgeberattraktivität sogar zum zentralen Unternehmensziel erhoben - neben Absatz, Rendite und Qualität.

"Volkswagen findet heute viel leichter die richtigen Leute als vor zehn Jahren", berichtet VW-Personalvorstand Horst Neumann. Das hänge aber auch mit den ungewöhnlichen Entwicklungsmöglichkeiten in dem großen Konzern zusammen, mit möglichen Wechseln etwa zu Porsche oder Audi oder ins Ausland. Jedes Jahr ergründet VW die eigene Attraktivität in einem Stimmungsbarometer. 410 000 Mitarbeiter - gut 70 Prozent der Belegschaft - machten dabei zuletzt 2013 mit. Der Zustimmungsindex wuchs erneut, diesmal auf 79 von 100 theoretisch möglichen Punkten. Bis 2018 will der Konzern 85.

Neben dem Barometer, das zwölf Fragen stellt, geht der Konzern auch alle drei Jahre mit einer ausführlichen Stichprobe in die Tiefe. Beim Stolz auf die Produkte liege man schon heute über dem Index 90 und damit weit über dem generellen Ziel 85. Bei VW ist die Rechnung einfach: Die besten Autos gibt es nur mit der besten Mannschaft. Und die Branche spürt den Fachkräftemangel schon.

"Die Demografie spielt Absolventen natürlich enorm in die Karten", bestätigt Nelson Taapken, Partner beim Beratungs- und Prüfungskonzern Ernst & Young (EY). Und: "Es ist nicht mehr nur Angebot und Nachfrage", sagt Taapken, der im EY-Auftrag an der Nahtstelle zwischen Unternehmenserfolg und Personalwesen berät. Er beobachtet auch eine qualitative Verschiebung. "Früher ging es um Einkommen, Jobsicherheit und Aufstiegschancen. Nun überlegen junge Leute ganz gezielt: Wem will ich überhaupt meine Arbeitskraft geben?"

Und Geld ködert dabei nur begrenzt. Experte Taapken sagt: "Es geht um mehr Flexibilität, um Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Alternativen zur Präsenzkultur werden wichtiger, etwa die Chance auf Home Office." Entscheidend sei aber auch, "wie sehr ein Arbeitsumfeld mit Internationalität lockt oder mit Innovationen in der Organisation - etwa einem virtualisierten Zusammenarbeiten".

VW setzt darauf, dass interne Zufriedenheit nach außen strahlt. 89,5 Prozent der Mannschaft sagen, sie arbeiten gerne bei VW. "Das spielt eine wichtige Rolle. Sie sagen es Freunden und Bekannten, und es verbreitet sich übers Internet", erklärt Neumann. Der "stärkste Magnet für Bewerber" aber sei das Ansehen der Autos.

In der Branche ist es daher auch kein Geheimnis, dass es Autobauer beim Rekrutieren leichter haben als Zulieferer. Viele wollen lieber direkt am Endprodukt arbeiten als an Teileketten anonym unterm Blech. Und daher müssen selbst Zulieferer mit großem Namen das Personalthema ebenso aktiv angehen wie Autohersteller. Continental befragt seit Jahren mit großem Aufwand Studierende und fand zuletzt heraus, dass fast zwei Drittel der angehenden Akademiker nicht der Karriere den größten Stellenwert einräumen, sondern Partnerschaft und Familie. Auch Freizeit ist äußerst wichtig. Dennoch glaubt die große Mehrheit, Karriere zu machen - jeder Zweite meint sogar, das gelinge daheim.

Ein Treiber dabei hat mit einer soliden Langfristperspektive zu tun. Die Uni Bamberg fasste bereits 2009 in einer Studie zusammen: In der Regel verdient man gut ausgebildet nicht nur gut - man erbt auch gut.

Damit fällt nicht selten ein Motiv für unbedingten Karrierewillen weg. Auch Fachmann Taapken beobachtet: "Die jungen Akademiker gehören heute hierzulande vor allem zur Generation Erbe. Es geht also oft nicht mehr um Aufstieg. In der Arbeitswelt rücken damit ganz andere Faktoren in den Vordergrund." Die amtliche Statistik bestätigt, dass das Erbschafts- und Schenkungsvolumen hierzulande seit Jahren steigt.

Der Autozulieferer Bosch feiert am 24. Juni einen " Aktionstag", bei dem es unter anderem um die Vielfalt seiner Arbeitszeitmodelle geht. Die sollen helfen, "individuelle Karrierewünsche und private Ziele gut zu vereinbaren". Auch VW-Vorstand Neumann gibt zu bedenken, "dass beispielsweise bei geplanten Auslandseinsätzen die familiäre Situation oder der Beruf der Partnerin oder des Partners stärker berücksichtigt wird". Der Arbeitsdirektor hält fest: "Offensichtlich findet in den Familien und Partnerschaften ein Wandel statt." EY-Mann Taapken sieht die Verschiebung sogar in ungewohnten Sphären. "Selbst Investmentbanker sind nicht mehr nur mit Geld zu kriegen."

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