Anonyme Bewerbung:Ohne Vorurteile geht es nicht

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Das Familienministerium testet anonyme Bewerbungen. Die Reaktion der Wirtschaft ist entlarvend: Offensichtlich ist die Qualifikation eines Bewerbers längst nicht mehr entscheidend.

Daniela Kuhr

Der Vorschlag mag absurd klingen, er ist es aber nicht: Fünf Unternehmen und das Bundesfamilienministerium wollen von Herbst an die "anonyme Bewerbung" testen. Bewirbt sich jemand bei ihnen um eine Stelle, werden in den Unterlagen sämtliche Angaben zu Geschlecht, Alter, Familienstand und Herkunft geschwärzt und beigefügte Fotos entfernt. Die Bewerbung soll nur noch Aufschluss über die Qualifikation des Kandidaten geben, und sonst über nichts.

Hautfarbe, Alter, Geschlecht - in der anonymen Bewerbung soll das alles keine Rolle mehr spielen. (Foto: iStock)

Das Projekt ist ein Vorschlag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Man will herausfinden, ob ältere Menschen, Frauen oder Kandidaten mit ausländischen Wurzeln bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz haben, wenn sie in ihrer Bewerbung nicht gleich als solche zu erkennen sind. In den USA sind anonyme Bewerbungen seit langem Standard. Natürlich erfährt der Arbeitgeber spätestens im Vorstellungsgespräch, wen er vor sich hat, aber die erste Hürde, die Einladung zum persönlichen Gespräch, ist mit einer anonymen Bewerbung womöglich leichter zu nehmen. Die Initiative ist dringend nötig. Das zeigen auch die prompten Reaktionen aus der Wirtschaft.

Angeblich geht es um Vielfalt

Der Arbeitgeberverband BDA kritisiert, dass durch anonyme Bewerbungen die Bemühungen der Unternehmen um Vielfalt in den Belegschaften konterkariert würden. Mit solchen Bemühungen wollen Firmen - vereinfacht gesagt - erreichen, dass bei ihnen nicht mehr nur deutsche Familienväter im mittleren Alter arbeiten, sondern auch Frauen, Ausländer, Homosexuelle, Alte und Junge. Laut BDA gehört es bereits in vielen Firmen zur Unternehmenskultur, die Vielfalt zu fördern. Der Verband der Familienunternehmer weist darauf hin, dass Unternehmen die Angaben von Alter und Geschlecht benötigten, weil diese für die Vergabe der meisten Arbeitsplätze von entscheidender Bedeutung seien. Beide Äußerungen sind sehr aufschlussreich. Zeigen sie doch, wie tief diskriminierende Ansichten verhaftet sind.

Dass die Arbeitgeber befürchten, durch anonyme Bewerbungen nähme die Vielfalt in den Unternehmen ab, ist gleich aus zwei Gründen bemerkenswert: Offenbar sind sie der Ansicht, dass Frauen, ältere Kandidaten oder Bewerber aus Einwandererfamilien nicht genügend qualifiziert sind, um allein aufgrund ihrer Fähigkeiten eingestellt zu werden. Zum zweiten aber drängt sich die Frage auf, nach welchen Kriterien die Arbeitgeber eigentlich bislang ihre Mitarbeiter einstellen. Der Äußerung nach ist ja offensichtlich längst nicht immer die Qualifikation entscheidend, sondern auch mal die Frage, ob es sich um eine Frau handelt oder einen Ausländer.

Jobs nur für Models?

Der Verband der Familienunternehmer geht noch einen Schritt weiter. Er sagt, dass Geschlecht und Alter mitentscheidend bei der Vergabe der meisten Stellen sind. Besteht der Verband denn ausschließlich aus Model- und Castingagenturen? Dann wäre so ein Argument nachvollziehbar. Aber wo denn noch? Welcher Job kann heute ausschließlich von einem Mann beziehungsweise einer Frau erledigt werden? Und viel entscheidender als das Alter ist doch die Erfahrung, die jemand mitbringt - die aber geht ja weiter aus der Bewerbung hervor.

Man muss den beiden Verbänden direkt dankbar dafür sein, dass sie sich so ehrlich geäußert haben. Bedenklich stimmt nur, dass ihnen offenbar gar nicht bewusst ist, was sie da gesagt haben. Sie wollten Argumente gegen anonyme Bewerbungen vortragen und haben im Gegenteil bestätigt, wie wichtig sie sind. Eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit ergab, dass allein die Angabe eines ausländisch klingenden Nachnamens die Bewerbungschancen verringert. Eine anonyme Bewerbung wäre da ein großer Fortschritt. Zwar kann der Arbeitgeber seine Vorurteile im Vorstellungsgespräch immer noch pflegen, doch vielleicht schaut er sich die türkische Bewerberin oder den 60-jährigen Facharbeiter viel offener an, wenn er weiß, dass er sie allein aufgrund ihrer Qualifikation eingeladen hat.

© SZ vom 06.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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