Traumabewältigung:Der Angst trotzen

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Auf vielen Weihnachtsmärkten werden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt - so wie hier in Schwerin. Die Märkte ganz zu meiden, empfehlen Experten nicht. (Foto: dpa)

Die wirksamste Hilfe gegen die Angst vor dem Terror ist, diese nicht herbeizureden. Doch ist die Furcht einmal da, muss sie ernst genommen werden.

Von Werner Bartens

Der erste Eindruck ist unmittelbar. Schrecken, Entsetzen, Trauer - vielleicht auch Erleichterung, dass man selbst davongekommen ist. Nach Ereignissen wie dem Anschlag in Berlin wird jeder von Gefühlen geschüttelt. "Es ist aber nicht zwangsläufig, dass Menschen Angst entwickeln", sagt Peter Henningsen, Leiter der Psychosomatik und Psychotherapie an der TU München. "Möglich ja, aber man muss nicht unbedingt Angst kriegen." Es gebe keinen Automatismus, keine Angstspirale, der man sich nicht entziehen könne. "Die wirksamste Hilfe gegen Angst vor Terror ist, diese nicht von vornherein anzunehmen und herbeizureden und auf diese Weise noch zu verstärken", so Henningsen.

Packt einen doch die Angst, geht es zunächst um Verständnis. "Die Angst muss man ernst nehmen, denn sie ist ja real und nachvollziehbar, und der Angst muss man auch ihre Zeit geben", sagt der Sozialpsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Andererseits muss man auch reflektieren, wie realistisch oder eher: wie unrealistisch die Angst ist. Das wird zwar einige Menschen nicht beruhigen, aber doch viele."

Und dann ist wieder Zeit für Ermutigung - ein "trotz alledem": Den Besuch des Festivals, den Theaterabend oder das Treffen auf dem Weihnachtsmarkt abzusagen, mag zwar kurzfristig Sicherheit vermitteln. Bald aber gewinnt nach einem derartigen Vermeidungsverhalten die Wut die Oberhand auf jene, die einen so eingeschüchtert haben. "Bitte trotzdem alles machen", sagt deshalb Henningsen. "Dann erlebt man das schöne Gefühl der Entlastung und Beruhigung, weil man merkt, dass - wie zu erwarten - alles gutgeht."

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Statistisch gesehen ist es extrem unwahrscheinlich, Opfer eines Anschlags zu werden. Verkehrsunfälle sind weitaus häufiger, trotzdem steigt fast jeder regelmäßig ins Auto. Die Gabe zur Rationalisierung ist allerdings nicht jedem gegeben, oder zumindest nicht unmittelbar nach der Wucht eines Anschlags. Trotzdem hilft es von Terrorangst geplagten Menschen, wenn man ihnen erst Verständnis signalisiert, dann aber darauf hinweist, wie übertrieben die Bedrohungsfantasien sind.

Angstpatienten wollen hundertprozentige Sicherheit. Und die gibt es nirgends

"Der ,Impftheorie' zufolge kann man sich in vielem zwar sicher fühlen, aber nirgendwo auf der Welt ist man gewappnet gegen widrige Bedingungen, Risiken und Gefahren", sagt Frey. "Das ist überall so. Wenn man aber ,geimpft' ist, dass überall Schlimmes passieren kann, hilft das." Die Konsequenz ist nicht, sorglos durch die Welt zu gehen, sondern mit offenen Augen, aber nicht überängstlich. "Es gibt im Leben nie hundertprozentige Sicherheit, das weiß eigentlich jeder", sagt Peter Henningsen.

"Um seinen Alltag zu bewältigen, muss man ein gewisses Quantum Unsicherheit aushalten, und dazu kann man Menschen nur ermutigen." Angstpatienten wollen hingegen hundertprozentige Sicherheit. Da es die weder auf dem Weihnachtsmarkt, noch im Stadion und nicht vor der eigenen Tür gibt, werden die Vermeidungsstrategien auf immer mehr Bereiche ausgeweitet.

Für den Umgang mit Kindern gilt: Man muss Ängste unbedingt ernst nehmen - aber eben auch relativieren. Und man kann sie zu Komplizen machen: "Das wollen wir denen mal zeigen, den Spaß lassen wir uns nicht nehmen", wäre beispielsweise eine Reaktion auf die Terroranschläge. Ansonsten gilt: darüber reden. "Es gelingt besser, die Situation nach einem solchen Anschlag zu bewältigen, wenn man sich darüber austauscht: Was macht das mit mir?", sagt Henningsen. Das gemeinsame Verständnis entlastet.

Auch Dieter Frey plädiert dafür, sich die positive Sicht auf die Welt und die Privilegien eines Lebens in relativer Sicherheit nicht nehmen zu lassen: "Ja, es ist schrecklich, was passiert ist, und das kann überall passieren, aber jede Alternative ist noch schrecklicher", sagt der Sozialpsychologe. "Und deshalb stehe ich dazu, mein Leben zu leben und auf die schönen Dinge nicht zu verzichten." Kinder könne man direkt fragen: "Sollen wir nicht mehr auf die Straße gehen? Sollen wir gar nicht mehr auf den Weihnachtsmarkt?", empfiehlt Frey. "Kinder lassen sich oft dadurch beruhigen, dass man ihnen sagt: Ja, es gibt schlimme Ereignisse, aber wir müssen lernen, dass die Sonne morgen trotzdem wieder aufgeht."

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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