Bis zu 40.000 Artikel liegen in einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt aus. Welche taugen etwas? Was nützt, was schadet der Gesundheit? Wie sinnvoll sind Bio-Nahrungsmittel und welche Werbefallen stellt die Lebensmittelindustrie dem Konsumenten? In dieser Serie bewerten wir weit verbreitete Lebensmittel für Sie. Teil 30: Erdbeeren.
Hellrot ist die neue Trendfarbe. Leichte Blässe, feiner Glanz und die perfekte Kegelform sind angeblich der Inbegriff einer appetitlichen Erdbeere. So wollen es Marktforscher herausgefunden haben, so sehen die Sorten aus, die derzeit wieder die Supermarkt-Regale füllen.
Solche Designererdbeeren gehören zu den wenig sinnvollen Ausgeburten einer modernen Nahrungsmittelindustrie, weiß Detlef Ulrich vom Julius Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, in Quedlinburg. Er ist Aromaforscher und hat in Jahren der Verkostungen und Analysen herausgefunden, dass es für den Geschmack schlicht egal ist, ob die Erdbeere sinnlich und hell schimmert oder dunkel und bucklig im Korb liegt. Noch absurder wird es, wenn man nach dem Nährwert der hellroten Züchtungen fragt: Er dürfte schlechter als bei den dunklen Varianten sein.
Denn die Inhaltsstoffe, die dem Obst seine Farbe verleihen, gehören zugleich zu jenen Antioxidantien, die in der Ernährung erwünscht sind. Erdbeersorten, die dunkle und matte Früchte tragen, enthielten messbar mehr Antioxidantien als die Varianten mit hellglänzenden Früchten, bestätigten italienische Forscher. Vitamine, vor allem sehr viel Vitamin C und Folsäure, sowie verschiedene Flavonoide gehören zu diesen Inhaltsstoffen der Erdbeere.
Forscher erhoffen sich von ihnen positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System, auf die Vorbeugung von Diabetes und möglicherweise auch von Krebs. Zweifelsfrei nachgewiesen sind diese Wirkungen jedoch nicht - nicht zuletzt wegen des schwankenden Nährstoffgehaltes der verschiedenen Sorten und ihrer Anbaubedingungen.
So stehen auch Verbraucher ratlos vor den Regalen, wenn sie die besten und gesündesten Erdbeeren kaufen wollen. Den größten Einfluss auf Nährwert und Qualität hat die Sorte. Doch die wird im deutschen Handel gar nicht ausgewiesen. Die Verbraucher müssen ahnungslos in ihren Korb packen, was ihnen vorgesetzt wird - und das sind Sorten, die weniger dem Gaumen der Käufer als den Erfordernissen der Industrie entsprechen: "Hohe Erträge, Resistenzen gegen Schädlinge, leichte Pflückbarkeit und feste, lagerfähige Früchte waren lange die Hauptkriterien der Zucht", sagt Ulrich. Neuerdings ist äußeres Chichi hinzukommen.
Am ehesten können Verbraucher ihre Wahl beeinflussen, wenn sie direkt bei einem Erzeuger einkaufen oder selbst pflücken, wo sie bereits gute Erfahrungen gemacht haben. "Da weiß man, was man bekommt", sagt der Forscher. Wer diese Möglichkeit nicht hat, muss das Beste aus dem herausholen, was der Handel ihm vorsetzt.
Vieles spricht dafür, dass die aromatischsten Früchte aus dem hiesigen Freiland stammen. Sie kommen hauptsächlich von Mai bis Juli auf den Markt. Zum einen dürften sich die Aromastoffe am besten unter dem Einfluss der direkten Sonnenstrahlung entfalten, begündet Ulrich die Empfehlung. Zum anderen ist die Chance auf sehr frische Früchte bei heimischer Ware besser.
Und was die Frische betrifft, sind Erdbeeren heikel. Zu früh gepflückte Früchte sind "trocken, wenig süß und kaum aromatisch" - und werden auch nicht mehr besser, wie Ulrike Bickelmann erklärt, die bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für die Kontrolle pflanzlicher Lebensmittel zuständig ist. Anders als beispielsweise Äpfel reifen Erdbeeren nicht mehr nach. Zugleich aber bleiben sie nicht lange in optimalem Zustand. "Sind sie erst von Stängel gelöst, geht es mit ihnen nur noch bergab", erläutert Ulrich. Erst werden die Zuckerstoffe, dann die Aromastoffe abgebaut.
Um perfekte, frische Früchte zu finden, helfen Ulrike Bickelmann zufolge folgende drei Tipps:
- Schauen Sie die Unterseite der Schälchen und Körbchen an: Sammeln sich im Plastikbehälter Safttropfen oder ist das Holzkörbchen rot verfärbt, nässen die Erdbeeren. Nässende Druckstellen sind Zeichen, dass die Erdbeeren zwar reif geerntet, mit ihnen aber nicht sorgsam genug umgegangen wurde. Das Problem: Solche Stellen können schnell in Fäulnis übergehen oder schimmeln.
- Meiden Sie Früchte mit weißen Stellen: Solche hellen Stellen findet man an der Spitze und in der Nähe der Kelchblätter. Auch unter den Blättern können sie vorkommen, weshalb ein Blick darunter lohnen kann. Die Farblosigkeit zeugt davon, dass die Erdbeeren unreif sind - und es bleiben. Solche Früchte kommen hauptsächlich zu Beginn der Saison auf den Markt.
- Meiden Sie matte Früchte: Bei den heute im Handel erhältlichen Früchten ist ein mattes Äußeres ein Zeichen von Überreife. Diese Früchte können sogar einen "mehr oder weniger ausgeprägten Gärgeschmack aufweisen", sagt die Expertin. Allerdings ist dieses Phänomen eher selten.
Wer derart aufmerksam einkauft, erhält nicht unbedingt schlechtes Obst. Doch er bekommt eben auch nicht das, was einen Aromaforscher entzücken könnte. Ulrich hat daher unter den vorindustriellen Sorten nach Alternativen gesucht und ist in den Kleingärten der DDR fündig geworden. "Mieze Schindler" heißt die vor etwa 90 Jahren entwickelte Sorte, die in Ostdeutschland überlebte - und sich längst zum Geheimtipp entwickelt hat. Zu Recht, haben die Analysen des Wissenschaftlers ergeben: Die alte Sorte verfügt über besonders viele jener Aromen, die für Walderdbeeren typisch sind. Ähnliches bescheinigt der Forscher der französischen Züchtung "Mara de Bois". Auch "Polka" hält er für eine empfehlenswerte Sorte.
In den Handel gelangen diese Züchtungen jedoch kaum; unter industriellen Gesichtspunkten sind sie nicht ergiebig genug, die Früchte sind weich und lassen sich nicht lagern. Es bleibt nur der Selbstanbau, den Ulrich für durchaus lohnenswert hält. In Spezialhandlungen findet man Pflanzen dieser Sorte, mit etwas Glück auch Wildarten für den Garten. "Damit", sagt der Aromaforscher, hat man dann ein "Geschmackserlebnis der anderen Art".