Sportverletzungen:Schulterstand nur mit starker Nackenmuskulatur

Die erhöhte Verletzungsgefahr für ältere Leute bestätigt eine 2016 im Orthopaedic Journal of Sports Medicine publizierte Untersuchung. Ausgewertet wurden Daten von 30 000 Menschen, die zwischen 2001 und 2014 mit Yoga-Verletzungen in US-Notaufnahmen eingeliefert wurden. Die Zahl der Verletzungen stieg in den 13 Jahren von 9,5 Verletzungen pro 100 000 Aktive auf 17,1. Blessuren trugen vor allem Senioren davon, insgesamt 58 pro 100 000 der über 65-Jährigen.

Wahrscheinlich beeinflussen auch die Ausrichtung und das Niveau des Yogakurses die Verletzungshäufigkeit. "Eher sportliche Yoga-Stile gefährden stärker als solche, bei denen die Achtsamkeit während der Ausführung betont wird", sagt Schleip. "Und nehmen ältere Menschen ohne Erfahrung gleich im Fortgeschrittenenkurs teil, geht das nicht immer gut aus." Mitverantwortlich für Verletzungen dürfte zudem ein in der Szene verbreiteter übertriebener Ehrgeiz sein. 2009 befragten Wissenschaftler Yoga-Lehrer, Therapeuten und Mediziner aus 35 Ländern zu den Risiken. Die meisten der 1336 Experten hielten abnormen Ehrgeiz, eine schlechte Anleitung und fehlerhafte Techniken beim Yoga für besonders gefährlich.

Yogalehrer tragen Verantwortung, jeden Übenden zu begleiten und ihm die Haltungen präzise und passgenau zu vermitteln. "Nicht die Asanas sind schädlich, sondern ihre oft fehlende Justierung", sagt Ronald Steiner, Sportmediziner und Ashtanga-Yoga-Ausbilder. "Der Schulterstand sollte zum Beispiel nur von Menschen gemacht werden, die Flexibilität und eine starke Nackenmuskulatur mitbringen." In einem normalen Yoga-Präventionskurs habe die Übung nichts zu suchen.

Im "herabschauenden Hund" die Arme präzise ausrichten

Eine riskante Haltung ist auch der Lotussitz. "Ungeübte verbinden mit Yoga oft diese Symbolhaltung - und versuchen, sich mit aller Kraft in die Position hineinzuzerren, auch wenn ihre Hüftgelenke noch nicht flexibel genug sind." Die Folge sind häufig Knieverletzungen.

Statt auf alte Texte setzt Steiner auf zeitgemäße Techniken. "In der Medizin operiert kein Chirurg mit jahrzehntealten OP-Methoden", sagt er. "Wir wissen heute besser, wie Bewegung funktioniert und wie wir sie therapeutisch nutzen." Beim Sonnengruß, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts nach Europa kam, seien etwa Beschwerden in Handgelenken und Rücken vorprogrammiert, sagt der Arzt. In der klassischen Abfolge fließen die Haltungen im Rhythmus des Atems ineinander über.

Im "herabschauenden Hund" seien die Arme präzise auszurichten, sonst lastet zu viel Druck auf den Handgelenken. Beim Armheben müssten diese leicht nach außen rotiert werden, sonst überfordert das womöglich die Schultergelenke. "Wird der Übende systematisch an eine auf aktuellem Wissen basierende Bewegung herangeführt, ohne ihn zu überfordern, lernt er seine Grenzen kennen und minimiert das Verletzungsrisiko ganz automatisch."

Die beste Vorbeugung vor Verletzungen ist ein guter Lehrer. Leider ist der Titel "Yogalehrer" ist nicht geschützt, in Deutschland darf ihn jeder tragen. Ausbilder wie der Berufsverband der Yogalehrenden (BDY) kümmern sich laut eigenen Angaben um das Thema Risiken. "Grundlagen aus der Medizin und Psychologie nehmen in der vierjährigen Ausbildung allein 150 Unterrichtseinheiten ein", sagt Jessica Fink vom BDY. "Verglichen mit 200 Einheiten Hatha-Yoga, ist das nicht unerheblich."

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