Sportverletzungen:Autsch - der schmerzhafte Sonnengruß

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Yogaübungen wie hier auf einem Festival in der Nähe von Budapest sehen oft aus, als sei es die einfachste Sache der Welt. (Foto: Balazs Mohai/dpa)
  • Autoren einer Studie fragen: Birgt Yoga besondere Verletzungsrisiken?
  • Die Antwort: Jeder Zehnte gibt Schmerzen in den Händen, Handgelenken, Ellenbogen oder Schultern an.
  • Vor allem Körperübungen, die mit Atmung und Meditation praktiziert werden, können zu Muskelzerrungen, Stauchungen in der Hals- und Lendenwirbelsäule, Meniskus- oder Bänderrissen führen.

Von Beate Wagner

Sie machen den Sonnengruß, den Hund, die Kobra und den Krieger. Das klingt teilweise martialisch, gilt aber weithin als sanft und ausgleichend - die Rede ist von Yoga. Die kunstvollen Leibesübungen sind für viele Millionen Menschen Inbegriff gesunder körperlicher Betätigung. Doch nun wirft eine Studie der Fakultät der Gesundheitswissenschaften der Universität Sydney die Frage auf: Birgt auch Yoga besondere Verletzungsrisiken?

Die Forscher befragten 354 Yogaerprobte im Abstand von einem Jahr Praxis nach Beschwerden. Bei jedem Fünften, der Vinyasa, Iyengar oder Schwangerenyoga praktiziert hatte, verschlimmerten sich während dieses Zeitraums bestehende Beschwerden. Jeder Zehnte gab Schmerzen in den Händen, Handgelenken, Ellenbogen oder Schultern an. Vor allem lag die Rate an Verletzungen mit mehr als zehn Prozent in der australischen Untersuchung deutlich höher als in älteren Studien, die von nur ein bis oder zwei Prozent berichtet hatten.

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Yoga boomt. Dem Berufsverband der Yogalehrenden BDY zufolge praktizieren es etwa 2,7 Millionen Deutsche regelmäßig. Sie dehnen, kräftigen, atmen und meditieren in mehr als 6000 Studios, um Rückenleiden, Stress, Depression, Migräne, Schlaf-, Blutdruck-, Gelenk- und Muskelprobleme zu lindern. Vor allem die Asanas - die Körperübungen, die mit Atmung und Meditation praktiziert werden - können aber zu Muskelzerrungen, Stauchung in der Hals- und Lendenwirbelsäule, Meniskus- oder Bänderriss oder einem erhöhten Augeninnendruck führen. Studien, die explizit Verletzungen untersuchen, sind allerdings rar.

"Wer therapeutisch arbeitet, muss die negativen Wirkungen im Blick haben"

"Es gibt vielleicht zehn größere epidemiologische Studien, die Verletzungen bei bestimmten Gruppen untersuchen, dazu kommen rund hundert Beschreibungen von Einzelfällen", sagt Holger Cramer von der Universität Duisburg-Essen und den Kliniken Essen-Mitte. "Tatsächlich werden Verletzungen aber immer auch in klinischen Wirksamkeitsstudien mit erhoben." Der Psychologe und Experte für Naturheilkunde und Integrative Medizin hat selbst mehr als 60 Fachartikel zu Yoga veröffentlicht, fünf mit Fokus auf unerwünschte Ereignisse. "Wer therapeutisch arbeitet, muss die negativen Wirkungen im Blick haben."

Dass die Verletzungsrate von einem Prozent in älteren Untersuchungen bis zu zehn Prozent in der aktuellen Studie differiert, liegt Cramer zufolge am Design. "Die australische Studie schließt auch Muskelkater oder leichte, vorübergehende Schmerzen in den Gliedmaßen ein. Das lässt sich nicht vergleichen mit einer Untersuchung, in der nur so schwerwiegende Verletzungen abgefragt wurden, dass die Betroffenen mit Yoga aufhören mussten."

Prinzipiell steigt das Risiko für eine Verletzung, sobald man sich vom Sofa erhebt. "Jeder vierte bis fünfte Aktive hat sich schon einmal beim Yoga verletzt, meist aber harmlos und vorübergehend", sagt der Wissenschaftler. Sein Fazit: Yoga führe nicht häufiger als vergleichbare Bewegungsformen wie Stretching zu gesundheitlichen Problemen. Das zeigt eine zusammenfassende Studie mit 97 Untersuchungen, die Daten zu unerwünschten Ereignissen bei Yoga und anderen Sportarten erfassten. "Nebenwirkungen finden sich bei 16 von 420 Leuten in den Yoga-Gruppen und 15 von 404 Menschen, die anderen Sport praktizierten", sagt Studienleiter Cramer. Weitere Studien belegen, dass Yoga weder die Gefahr für Stürze noch für Verletzungen der Gelenke erhöht.

Im Vergleich zu sonstigem Sport ist Yoga harmlos. "Pro 1000 Stunden Yogapraxis treten etwa 1,45 Verletzungen auf", sagt Cramer. "Das Verletzungsrisiko ist ähnlich niedrig wie beim Nordic Walking oder Schwimmen", sagt Robert Schleip, Humanbiologe und Faszienforscher. Beim Joggen liegt die Verletzungsrate bei Anfängern bei bis zu 33 pro 1000 Laufstunden, beim Football gar bei 36 pro 1000 Anwendungsstunden. "Dennoch sollten Personen, die extrem beweglich sind und zu Gleitwirbeln und Bänderschwäche neigen, sowie ältere Menschen individuell und fachkundig in die Yogapraxis eingewiesen werden."

Die erhöhte Verletzungsgefahr für ältere Leute bestätigt eine 2016 im Orthopaedic Journal of Sports Medicine publizierte Untersuchung. Ausgewertet wurden Daten von 30 000 Menschen, die zwischen 2001 und 2014 mit Yoga-Verletzungen in US-Notaufnahmen eingeliefert wurden. Die Zahl der Verletzungen stieg in den 13 Jahren von 9,5 Verletzungen pro 100 000 Aktive auf 17,1. Blessuren trugen vor allem Senioren davon, insgesamt 58 pro 100 000 der über 65-Jährigen.

Wahrscheinlich beeinflussen auch die Ausrichtung und das Niveau des Yogakurses die Verletzungshäufigkeit. "Eher sportliche Yoga-Stile gefährden stärker als solche, bei denen die Achtsamkeit während der Ausführung betont wird", sagt Schleip. "Und nehmen ältere Menschen ohne Erfahrung gleich im Fortgeschrittenenkurs teil, geht das nicht immer gut aus." Mitverantwortlich für Verletzungen dürfte zudem ein in der Szene verbreiteter übertriebener Ehrgeiz sein. 2009 befragten Wissenschaftler Yoga-Lehrer, Therapeuten und Mediziner aus 35 Ländern zu den Risiken. Die meisten der 1336 Experten hielten abnormen Ehrgeiz, eine schlechte Anleitung und fehlerhafte Techniken beim Yoga für besonders gefährlich.

Yogalehrer tragen Verantwortung, jeden Übenden zu begleiten und ihm die Haltungen präzise und passgenau zu vermitteln. "Nicht die Asanas sind schädlich, sondern ihre oft fehlende Justierung", sagt Ronald Steiner, Sportmediziner und Ashtanga-Yoga-Ausbilder. "Der Schulterstand sollte zum Beispiel nur von Menschen gemacht werden, die Flexibilität und eine starke Nackenmuskulatur mitbringen." In einem normalen Yoga-Präventionskurs habe die Übung nichts zu suchen.

Im "herabschauenden Hund" die Arme präzise ausrichten

Eine riskante Haltung ist auch der Lotussitz. "Ungeübte verbinden mit Yoga oft diese Symbolhaltung - und versuchen, sich mit aller Kraft in die Position hineinzuzerren, auch wenn ihre Hüftgelenke noch nicht flexibel genug sind." Die Folge sind häufig Knieverletzungen.

Statt auf alte Texte setzt Steiner auf zeitgemäße Techniken. "In der Medizin operiert kein Chirurg mit jahrzehntealten OP-Methoden", sagt er. "Wir wissen heute besser, wie Bewegung funktioniert und wie wir sie therapeutisch nutzen." Beim Sonnengruß, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts nach Europa kam, seien etwa Beschwerden in Handgelenken und Rücken vorprogrammiert, sagt der Arzt. In der klassischen Abfolge fließen die Haltungen im Rhythmus des Atems ineinander über.

Im "herabschauenden Hund" seien die Arme präzise auszurichten, sonst lastet zu viel Druck auf den Handgelenken. Beim Armheben müssten diese leicht nach außen rotiert werden, sonst überfordert das womöglich die Schultergelenke. "Wird der Übende systematisch an eine auf aktuellem Wissen basierende Bewegung herangeführt, ohne ihn zu überfordern, lernt er seine Grenzen kennen und minimiert das Verletzungsrisiko ganz automatisch."

Die beste Vorbeugung vor Verletzungen ist ein guter Lehrer. Leider ist der Titel "Yogalehrer" ist nicht geschützt, in Deutschland darf ihn jeder tragen. Ausbilder wie der Berufsverband der Yogalehrenden (BDY) kümmern sich laut eigenen Angaben um das Thema Risiken. "Grundlagen aus der Medizin und Psychologie nehmen in der vierjährigen Ausbildung allein 150 Unterrichtseinheiten ein", sagt Jessica Fink vom BDY. "Verglichen mit 200 Einheiten Hatha-Yoga, ist das nicht unerheblich."

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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