Gesundheit:Psychotherapie rettet Leben

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Psychisch Kranke brauchen niedrigschwellige Hilfe. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die strikte Begrenzung von Kassensitzen für Psychotherapeuten hält die Zahl der Therapieplätze künstlich knapp. Gesundheitsminister Spahn scheint zu glauben, unter psychisch Kranken wären massenweise Hypochonder. Das ist unzeitgemäß und gefährlich.

Kommentar von Barbara Vorsamer

Antriebslosigkeit gehört zu den typischen Symptomen einer Depression, die neben Angststörungen die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland ist. Betroffene haben keine Kraft, sich um irgendetwas zu kümmern. Entsprechend schwer fällt es ihnen, sich einen Termin zu ergattern bei jemandem, der helfen könnte. Schaffen sie es doch, bei einem Psychotherapeuten anzurufen, warten sie im Schnitt 20 Wochen bis zum Beginn der Behandlung. Deutschlands Therapeuten sind ausgebucht. Verantwortlich dafür ist eine Gesundheitspolitik, die das Angebot künstlich knapp hält, obwohl die Nachfrage riesengroß ist.

Gesundheitsminister Jens Spahn kennt das Problem und verspricht, es zu lösen, indem er eine neue Vorinstanz einführt. Künftig sollen bestimmte Ärzte vorab feststellen, welcher Patient wie dringend eine Therapie benötigt, bevor diese beginnen kann. Für die Patienten ist das eine weitere Hürde in einem Prozess, der schon jetzt aus Dutzenden Anrufen, monatelangem Warten, mehreren probatorischen Sitzungen, Anträgen, Ablehnungen, Einsprüchen und neuen Anträgen besteht. Dabei bräuchten gerade psychisch Kranke niedrigschwellige Hilfe.

Psychisch Kranke treffen auf immer neue Hürden

Hinter Spahns Vorstoß steht das Klischee, dass es unter psychisch Kranken genügend Hypochonder gibt, die sich ihr Leiden einbilden und die man daher von den Wartelisten streichen müsse. Die Anzahl der Menschen mit psychischen Diagnosen steigt. Das liegt aber nicht daran, dass alle empfindlicher oder verrückter würden. Psychische Krankheiten gab es immer schon; doch bis vor wenigen Jahrzehnten wurden die Menschen damit alleingelassen, seelische Leiden waren ein Tabu, manche Betroffene flüchteten sich in Isolation oder Suizid.

Das hat sich geändert, zum Glück. Die Behandlungsmethoden von Psychotherapie und Psychiatrie haben sich verbessert, das Stigma ist zurückgegangen, die Zahl der Suizide hat sich im Vergleich zu den Achtzigerjahren beinahe halbiert. Dafür sitzen nun mehr Menschen bei Psychotherapeuten auf der Couch oder in psychiatrischen Kliniken. Die vollen Wartelisten zeugen auch von ihrem Erfolg.

Was aber nicht Schritt gehalten hat mit dieser Entwicklung und der Enttabuisierung von Psychotherapie, ist die Zahl der Kassensitze. Die Anzahl der zugelassenen Psychotherapeuten ist immer noch auf dem Niveau der Neunzigerjahre. Wer als Psychotherapeut arbeiten will, muss nach einem Psychologie- oder Medizinstudium eine mehrjährige Ausbildung durchlaufen, während der man wenig bis nichts verdient.

Nach der Approbation folgt das Warten auf eine Kassenzulassung, die dann, falls man eine bekommt, einen fünfstelligen Betrag kosten kann. Wer keinen Kassensitz bekommt, darf ausschließlich Privatpatienten behandeln. Die strikte Begrenzung führt zu der absurden Situation, dass es in Deutschland derzeit massenhaft Patienten ohne Therapeuten gibt - und gleichzeitig massenhaft ausgebildete Therapeuten ohne Patienten.

Die Deckelung der Kassensitze ist ein gesundheitspolitisches Steuerungsinstrument, das ursprünglich Ärzteschwemmen vermeiden sollte. Inzwischen aber wird das Instrument zum Sparen missbraucht. Denn natürlich: Mehr Kassenzulassungen würden dazu führen, dass mehr Menschen eine Therapie machen, und das kostet die Kassen Geld. Doch das sollte es einer Gesellschaft wert sein, denn Psychotherapie rettet Leben.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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