Haare aus Kartoffelpüree, ein Wienerle als Mund, der Rosenkohl als Augen. Für manche Kinder ist es ein schöner Zeitvertreib, das Essen auf dem Teller zu Gesichtern anzuordnen. Für echt halten aber selbst Kleinstkinder die lustigen Tellerfratzen nicht. Ihr Gehirn hat schon in den ersten Lebensmonaten die wichtige Fähigkeit erworben, zwischen menschlichen Gesichtern und gesichtsähnlichen Mustern zu unterscheiden. Was aber ist, wenn einem Baby von Geburt an das Augenlicht fehlt - und es Jahre später plötzlich sehen kann, zum Beispiel nach einer Operation?
Wie ein Team von Neurobiologen aus Indien und den USA jetzt in den Proceedings of the National Academy of Sciences berichtet, wissen blinde Jungen und Mädchen nach einer Heilung ihrer Augen erst einmal nicht, ob sich hinter einem Muster von Gesichtszügen tatsächlich eine Person verbirgt - oder ob es sich eben nur um eine Anordnung von typischen Merkmalen handelt, die einem Gesicht ähnelt. Sie können die Fähigkeit zur Gesichtserkennung trotz ihres fortgeschrittenen Alters aber noch erlernen.
Die Forscher konnten dies an fünf indischen Kindern und Jugendlichen zeigen, die durch eine beidseitige Linsentrübung vom Säuglingsalter an blind gewesen waren. Nach der operativen Korrektur dieser sogenannten Katarakte durch künstliche Linsen wurden den Neun- bis 17-Jährigen Fotos von Gesichtern und Nicht-Gesichtern gezeigt. Obwohl die Bilder der Nicht-Gesichter teilweise unscharf waren und nur sehr vage Ähnlichkeit mit echten Personen aufwiesen, war es den jungen Patienten zunächst unmöglich zu erkennen, dass es sich lediglich um Muster handelte. Normalsichtige Kinder konnten die echten Gesichter selbst durch starke Verzerrungsfolien mit hoher Treffsicherheit identifizieren.
Einige Wochen nach der Operation allerdings sahen die Resultate der Bildertests schon deutlich anders aus: Die zuvor blinden Kinder holten gegenüber den gesunden Kameraden stetig auf, bis sie genauso sicher zwischen Gesichtern und Nicht-Gesichtern unterscheiden konnten. Das passierte auch unabhängig von der Sehschärfe der fünf Probanden, die nach einer OP oft gering bleibt. Die Autoren der Studie schließen aus den Ergebnissen ihrer Tests, dass es kein angeborenes Gesichtsschema gibt, nach dem der Mensch seine Artgenossen erkennt. Vielmehr erweist sich das Gehirn als flexibel genug, um diese wichtige Fähigkeit in jedem Lebensalter noch erwerben zu können.