Manchmal träumen Schmerzpatienten von so einem Menschen wie Richard Nixon. Der US-Präsident hatte 1971 dem Krebs den Krieg erklärt. 100 Millionen Dollar zusätzliches Forschungsbudget, persönliches Engagement und eine Öffentlichkeitskampagne wollte der Politiker gegen den Krebs ins Feld führen. Einen solchen Kampf, finden Fachleute und Betroffene gleichermaßen, müssten Regierungen auch endlich dem Schmerz ansagen.
Schließlich seien von Schmerzen mehr Menschen betroffen als von Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes zusammen, betonte der Wiener Anästhesiologe Hans Georg Kress nun während der Tagung der EFIC, der Dachorganisation von 35 europäischen Schmerzgesellschaften, in Kopenhagen. "Schmerz gehört zu den am stärksten beeinträchtigenden Krankheiten", sagte EFIC-Präsident Kress, "aber die Politik ist sich dessen überhaupt nicht bewusst."
Dabei wäre der Kampf gegen den Schmerz billiger als der gegen den Krebs - und wahrscheinlich auch erfolgreicher. Denn viel Leid ist darauf zurückzuführen, dass Patienten zu lange sich selbst überlassen bleiben. Würden ihre Schmerzen früher behandelt, dann würden diese auch nicht so leicht chronisch. "Auf längere Sicht könnten wir so viel Geld sparen", sagt Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie. Allein die Kosten des Arbeitsausfalls belaufen sich in Europa jährlich auf 34 Milliarden Euro. "Volkswirtschaftlich betrachtet das aber leider niemand."
So touren die Patienten im Schnitt zwei Jahre lang durch mehr als zehn Arztpraxen, bevor sie Hilfe erhalten. Viel zu oft führen Ärzte unnötige und sogar schädliche Operationen durch oder nehmen die Patienten nicht ernst; sie vermuten einen psychischen Hintergrund, wenn sie zunächst keine körperliche Ursache für die Schmerzen finden.
Dabei sind sich die meisten Fachleute einig: Wenn Schmerzen anhalten, über Wochen und Monate, verselbständigen sie sich häufig und werden zu einer eigenständigen Krankheit. Die ursprünglichen, körperlichen Ursachen treten dann in den Hintergrund; die Schmerzen aber bleiben. "Diese chronischen Schmerzen sind keineswegs Einbildung", betont Hans Georg Kress. Die Patienten zeigten dauerhafte Veränderungen im Nervensystem. "Der Um- und Abbau von Neuronen führt zu Sensibilisierungsprozessen, die die Schwelle für jegliche Art von Schmerz mindern", so Kress.
Dies sei ein weiterer Grund, möglichst frühzeitig zu behandeln, zumal sich die Betroffenen mit der Zeit meist auch psychisch verändern. Wegen ihrer ständigen Schmerzen nehmen sie weniger am sozialen Leben teil, verlieren Freunde und Arbeit. "Der Einfluss chronischer Schmerzen auf die Lebensqualität ist größer als bei jeder anderen chronischen Krankheit inklusive Depression", betont Müller-Schwefe. Und Kress ergänzt: "Umso mehr brauchen wir eine Behandlung, die den ganzen Menschen umfasst."
Noch gibt es aber zu wenig Schmerzzentren oder Praxisverbünde, in denen die Betroffenen gemeinschaftlich von Schmerzärzten, Physiotherapeuten und Psychologen betreut werden. Heute werden viele Patienten von Fachärzten behandelt - Neurologen oder Orthopäden etwa -, die über ihr Fach hinaus oft nicht viel von Schmerztherapie verstehen. "Die Patienten werden nach dem Körperteil, das weh tut, eingeteilt", beklagt Sean McDougall von der britischen Patientenvereinigung Pain UK. "Der Rest des Menschen wird vergessen."
Die Fachleute fordern deshalb die Förderung interdisziplinärer Schmerzzentren. Doch dazu sei politischer Wille nötig, meint Müller-Schwefe. Einen Schritt zur Politisierung der chronischen Schmerzkrankheit hat die EFIC 2011 in Brüsselunternommen, wo sie eine Roadmap verabschiedete.
Ein Jahr später berichteten nun die Vertreter mancher Länder von Erfolgen: So wurde in Österreich ein hochkarätig besetztes Schmerzgremium direkt beim Gesundheitsministerium angesiedelt. In Schweden erhielten Schmerzpatienten das Recht auf multidisziplinäre Rehamaßnahmen. Und Italien hat sogar ein eigenes Schmerzgesetz verabschiedet, das Patienten das Recht auf eine spezialisierte Therapie nach spätestens zwei Monaten zusichert.
Nur in Deutschland ist offenbar am wenigsten passiert. Einer der Gründe: der Zwist zwischen den Schmerzgesellschaften. Von diesen gibt es hierzulande mindestens fünf, die in der Vergangenheit mitunter mehr gegeneinander als zusammengearbeitet haben.
Wenngleich es immer noch "Berührungsängste" der verschiedenen Gesellschaften gebe: In wichtigen Punkten habe man sich inzwischen zusammengerauft, sagt Wolfgang Koppert, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft. So seien die Weichen für ein Schmerzregister gestellt worden, das Daten für Forschung und Versorgung liefern soll. Gemeinsam hätten die Fachleute auch darauf hingearbeitet, dass Schmerztherapie nun endlich fester Bestandteil in der Ausbildung für Ärzte wird. Und an diesem Dienstag veranstalten die Schmerzgesellschaften zusammen den "Aktionstag gegen den Schmerz", an dem Schmerzspezialisten zwischen neun und 18 Uhr unter 0800-181 81 20 Fragen beantworten.
Die Aktion soll nicht nur informieren, sondern auch stärken: Immer noch wird Schmerz mit Schwäche assoziiert. "Aus dieser Ecke müssen wir die Patienten herausholen, damit nicht jeder bei dem Thema gleich weghören will", so Koppert. Er möchte Betroffene darin bestärken, auf ihre Situation aufmerksam zu machen, Forderungen zu stellen - auch, damit die Politik dem Schmerz eines Tages den Krieg erklärt.