Die Zahlen, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anlässlich des heutigen Weltgesundheitstages zusammengetragen hat, sind beeindruckend: In kaum einem anderen Land werden Patienten so oft im Krankenhaus behandelt wie in Deutschland. 240 Klinikaufenthalte pro 1000 Einwohner verzeichnet die Statistik. Nur in Österreich sind es mit 261 noch etwas mehr. Der OECD-Durchschnitt liegt bei nur 155.
Führend ist die Bundesrepublik bei der stationären Therapie von Herz-Kreislauf-Krankheiten und beim Einsetzen künstlicher Hüften. Auch bei den Krebstherapien im Krankenhaus liegt Deutschland weit vor anderen vergleichbaren Industrieländern.
Die OECD-Studie dient als Grundlage für eine Konferenz am kommenden Donnerstag, an der auch Gesundheitsminister Daniel Bahr teilnehmen wird. Der FDP-Politiker will den Anstieg der Operationszahlen kritisch überprüfen. "Ich sehe weiter eine dringende Notwendigkeit, an der Mengenentwicklung zu arbeiten", sagte Bahr.
In kaum einem Land kommen die Patienten so oft unters Messer wie in Deutschland. Selbst die Fachgesellschaften für Chirurgie und für Orthopädie mahnten in den vergangenen Monaten verstärkt, öfter auf sanftere Therapien zu setzen anstatt auf teure Operationen.
Auch die Krankenkassen sehen den Trend zu immer mehr Operationen kritisch: "Die Krankenhäuser können offensichtlich nicht mehr in jedem Fall garantieren, dass ein Eingriff ausschließlich aus medizinischen Gründen stattfindet", sagt der geschäftsführende Vorstand des AOK-Bundesverbands, Uwe Deh.
Laut AOK gab es etwa bei den Eingriffen am Rücken binnen fünf Jahren eine Verdoppelung der Behandlungen. Der Einsatz von Defibrillatoren zur Herzunterstützung ist um 25 Prozent gestiegen.
Im Einzelfall ist es oft schwer zu entscheiden, ob eine Operation oder andere Alternativen sinnvoller sind, etwa wenn ein Arzt zur Wiedereinrichtung verschobener Wirbel rät. Wegen der Hoffnung auf schnelle Abhilfe bei Schmerzen mag man als Patient Zweifel wegschieben. Doch Kritiker schnellen Operierens raten Patienten, sich stets klarzumachen, dass Chirurgen wirksame, wenn auch langwierigere Physiotherapien oft nicht als Behandlungsmöglichkeit ansehen, Sowohl Kliniken als auch niedergelassene Ärzte verdienen an solchen schonenden Verfahren nur wenig. Eine Operation bringt hingegen im Durchschnitt etwa 12.000 Euro.
Etwa die Hälfte der Krankenhäuser könnte bald Verluste machen, warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Der Druck auf die Ärzte, Geräte und Operationssäle auszulasten, soll in vielen Häusern enorm sein. "Wenn Klinikchefs sagen, ihnen bliebe nur die Flucht in die Menge, ist das ein extrem schriller Hilferuf", sagt AOK-Mann Deh. Zudem haben zahlreiche Chefärzte Verträge, in denen ein Teil der Vergütung vom wirtschaftlichen Erfolg der Abteilung abhängig ist.
Die Kliniken reagieren gereizt: "Moderne Medizin kann glücklicherweise mehr helfen, auch der wachsenden Gruppe der älteren Menschen. Die Krankenkassen wollen hier anscheinend das Rad zurückdrehen", sagt DKG-Präsident Alfred Dänzer.
Mit Klinik-Reformen tut sich die Politik seit Jahren schwer. Das liegt vor allem an der Stellung der Länder. Sie sind zuständig, wo welche Kliniken geplant werden - und für die Finanzierung der Häuser und Ausstattung. Trotz Finanznot; Die Hoheit über ihre Kliniken wollen sich die Länder nicht nehmen lassen. Klasse statt Masse - das fordern dagegen Kassen und Opposition.
Die OECD-Experten raten in ihrem Bericht für die Konferenz bei Gesundheitsminister Bahr, dass die Kliniken in Deutschland stärker als bisher auch aufgrund von Daten über den Behandlungserfolg bezahlt werden. "Das würde dazu beitragen, dass den Deutschen auch künftig eine Gesundheitsversorgung zugute kommt, die zu den besten der Welt zählt."