Es gibt Menschen, denen man ihre Wichtigkeit nicht ansieht. So verhält es sich auch mit der Krebsmedizinerin Suzanne Topalian von der Johns Hopkins University in Baltimore, einer feinen, leisen Amerikanerin, deren freundliches Gesicht alterslos wirkt - und die bis vor kurzem wohl wenigen Menschen außerhalb der Forschung bekannt war. Doch jetzt hat das Wissenschaftsjournal Nature sie zu eine der zehn wichtigsten Persönlichkeiten des Jahres 2014 gekürt.
Wer sie einmal erlebt hat, im November etwa, als sie auf einer Konferenz in Berlin einen Vortrag hielt, weiß warum. Im bis dahin eher heiteren Publikum erzeugte Topalian binnen 15 Minuten eine Mischung aus Betretenheit - und fassungslosem Staunen. Die Forscherin stellte neue Ergebnisse der Immuntherapie gegen Krebs vor, zeigte Fotos und Röntgenaufnahmen von Studienteilnehmern. Und so schockierend die Bilder waren, so klar zeigten sie, wie Tumore und Metastasen von Todgeweihten dahinschmolzen und sogar ganz verschwanden. Es wirkte auf die Zuschauer wie eine Vision. Schwer zu glauben war es dennoch.
Denn der Krebs hat seinen Schrecken nicht verloren: Jeder vierte Todesfall in Deutschland ist einer bösartigen Neubildung zuzuschreiben, mehr als 1,5 Millionen Menschen leben hier mit einer Krebsdiagnose, und noch immer heißt das übliche Therapieschema: Operation. Chemotherapie. Bestrahlung. Zwar haben neue Arzneien Fortschritte gegen vereinzelte Krebsarten erzielt. Von "Durchbrüchen" wollen viele Ärzte und Patienten aber schon lange nichts mehr hören. Und trotzdem, seit einiger Zeit fällt der Begriff wieder häufiger. Immuntherapien sollen dem Krebs auf neue Weise und in vielen Geweben entgegentreten. Demnach können vor allem Antikörper, wie sie der Körper sonst gegen Bakterien oder Viren herstellt, das Immunsystem von Patienten in die Lage versetzen, den Krebs aus eigener Kraft zu zerstören.
Es ist ein heikles Versprechen. Als das Wissenschaftsjournal Science die Immuntherapie schon im vergangenen Jahr zur "Errungenschaft des Jahres 2013" kürte, betonte die Redaktion deshalb, es sei keine leichtfertige Wahl gewesen. Man wolle keinesfalls falsche Hoffnungen schüren. Doch der neue Ansatz gegen Krebs stützt sich auf ein zunehmend solides Fundament. Patientenstudien in zahlreichen anerkannten Fachjournalen haben auf den Onkologie-Konferenzen dieses Jahres weiter Aufsehen erregt. Und im laufenden Jahr wurden immer neue klinische Prüfungen veröffentlicht. Die US-Arzneimittelbehörde FDA ließ im September einen immuntherapeutischen Antikörper im beschleunigten Verfahren für die Behandlung von Melanomen zu, schon im Juni hatte sie einem ähnlichen Präparat einen Sonderstatus verliehen, der die Zulassung erleichtert. Es wird immer deutlicher, dass die Immuntherapie die Krebsmedizin grundlegend verändern könnte - für manche Patienten vielleicht sogar drastisch.