Amazonas-Volk:Nie gesehene Bakterienvielfalt

Amazonas-Volk: Die Proben einiger Yanomami aus dem Amazonasgebiet lieferten Forschern Auskunft über die Artenvielfalt von Bakterien.

Die Proben einiger Yanomami aus dem Amazonasgebiet lieferten Forschern Auskunft über die Artenvielfalt von Bakterien.

(Foto: Ariana Cubillos/AP)

Der erste Kontakt mit der westlichen Welt verblüffte ein abgeschieden lebendes Amazonas-Volk. Männer in weißen Kitteln wollten Stuhlproben von ihnen. Nach deren Analyse waren auch die Wissenschaftler erstaunt.

Von Hanno Charisius

Vielleicht kann man sich das, was 2009 eine Gruppe von Yanomami im Amazonasgebiet erlebt hat, so vorstellen: Man läuft durch seinen Wald, da schweben plötzlich unbekannte Wesen aus der Luft heran, die einem mit weißen Stäbchen über die Haut wischen. In den Mund wollen sie die Dinger auch stecken. Dann fragen sie nach einer Stuhlprobe.

Obwohl sie praktisch abgeschnitten vom Rest der Welt lebten, traf es die Ureinwohner nicht vollkommen unvorbereitet. Sie wussten durch benachbarte Gruppen, dass es draußen, außerhalb ihres Waldes Menschen gibt, die anders aussehen als sie selbst und sich ziemlich merkwürdig verhalten. Und so stimmten sie schließlich zu, dass die Fremden die Bakterien auf und in ihren Körpern untersuchen durften. Das Ergebnis war ziemlich interessant.

Die Regierung Venezuelas lässt regelmäßig die riesigen Waldgebiete per Helikopter nach unbekannten Dörfern und Volksgruppen absuchen, die bislang isoliert leben. Nach einem ersten Kontakt, der in der Regel durch benachbarte Yanomami hergestellt wird, bietet die Regierung medizinische Versorgung an. Sie möchte schneller sein und die Indigenen vor Infektionen und Erregern schützen, die illegale Goldgräber oder Holzfäller in die entlegenen Regionen schleppen.

2009 flog der venezolanische Arzt Óscar Noya Alarcón mit in den Wald und fragte die Yanomami nach Proben ihrer Notdurft. Vorher musste er ihnen allerdings erklären, wonach er sucht, denn die Waldbewohner fanden sein Ansinnen zunächst ziemlich befremdlich. "Wir erklärten auf einer Versammlung der Dorfbewohner, dass es in ihrem Darm eine riesige Zahl von Lebewesen gibt, die so klein sind, dass man sie nicht bloßem Auge sehen kann", erzählt Noya Alarcón. Schließlich willigten 34 Yanomami ein, eine Probe ihrer Fäkalien für die Forschung zu spenden. Manche erlaubten auch Abstriche mit Wattestäbchen von der Haut und aus der Mundhöhle.

In diesen Proben hat nun eine Gruppe von Genetikern und Mikrobiologen die größte Artenvielfalt von Bakterien entdeckt, die jemals auf und in Menschen beschrieben wurde. Sie fanden nahezu doppelt so viele Mikrobenspezies bei den Waldbewohnern als bei US-Amerikanern, berichteten die Wissenschaftler am Samstag im Fachblatt Science Advances.

Im Darm der Waldbewohner leben doppelt so viele Mikrobenarten wie bei Nordamerikanern

Außerdem staunen die Autoren in ihrem Beitrag darüber, dass sie bei ihren Untersuchungen auf Gene stießen, die Bakterien resistent gegen Antibiotika machen. Das allein wäre wenig überraschend, viele Mikroben, die im Boden leben, produzieren einen Schutz gegen ihre eigenen biologischen Kampfmittel. Doch die Forscher fanden zudem Gene, die Mikroben vor Antibiotika schützen, die im Labor vom Menschen entwickelt wurden. Eine gute Erklärung gibt es bislang nicht für den Fund, nur die Spekulation, dass die Bakterien womöglich über universelle Abwehrstrategien verfügen.

Für Forscher wie Maria Dominguez-Bello von der New York University sind solche Erstkontakte mit isolierten Bevölkerungsgruppen seltene Glücksfälle. Auf der ganzen Welt sucht sie nach Menschen, die noch keinerlei Kontakt mit einem westlichen Lebensstil hatten, die keine modernen Arzneimittel kennen, keine Kaiserschnittgeburten, kein gereinigtes und gechlortes Wasser und keine sterile Fertignahrung. Dominguez-Bello und ihre Kollegen fahnden nach der ursprünglichen Bakterienausstattung des Menschen. Aus diesem sogenannten Mikrobiom wollen sie herauslesen, welche Bakterien Menschen in der westlichen Welt durch ihre Lebensweise bereits verloren haben.

Auf dem menschlichen Körper und vor allem im Verdauungstrakt leben geschätzt 100 Billionen Mikroben, die sich in einige Hundert Arten einteilen lassen. Die Lebensgemeinschaft aus Mensch und Bakterien hat sich über Jahrmillionen hinweg entwickelt, beide profitieren voneinander. Seit Kurzem mehren sich nun die Hinweise, dass es üble Folgen haben kann, wenn manche dieser Untermieter aussterben. Vieles spricht dafür, dass es Asthma, Allergien, Autoimmunleiden, Übergewicht und Stoffwechselkrankheiten begünstigt.

Dominguez-Bello, die die Analyse des Yanomami-Mikrobioms koordiniert hat, sieht in den neuen Daten einen weiteren Beleg für die Hypothese, dass die westliche, übersaubere Lebensweise für die Artenarmut im Verdauungstrakt von Europäern und Nordamerikanern verantwortlich ist. Erst am Donnerstag wurden Daten aus Papua-Neuguinea bekannt, die in dieselbe Richtung weisen: Die Proben, die aus einer ländlichen Region stammen, weisen deutlich mehr Mikrobenarten auf als das durchschnittliche Mikrobiom von Nordamerikanern. "Aber wir wissen noch nicht, was den Artenschwund auslöst", sagt der Mikrobiologe Jens Walter von der University of Alberta, der die Untersuchung in Papua-Neuguinea geleitet und an der Analyse der Yanomami-Proben mitgewirkt hat.

Genauso wenig ist bekannt, wie ein gesundes Mikrobiom zusammengesetzt ist, ob es bei jedem Menschen gleich oder - was wahrscheinlicher ist - bei jedem etwas anders aussieht. Um solche Fragen zu beantworten, suchen Walter und Dominguez-Bello nach möglichst unverfälschten Mikrobiomen. Die New Yorker Biologin spekuliert, dass die Mikrobenbesiedelung der Yanomami dem Mikrobiom der Jäger und Sammler ähnelt, die sich vor Tausenden Jahren rund um den Globus verbreitet haben.

Durch die medizinische Betreuung nimmt die Artenvielfalt in den Yanomami vermutlich bald ab

Mit ihren Kollegen versucht sie, die Artenvielfalt zu dokumentieren, bevor sie auch in den heute noch isolierten Regionen verloren geht. Das Verschwinden der Mikroben lässt sich vielleicht in dem neu entdeckten Yanomami-Dorf erstmals nahezu in Echtzeit verfolgen. Ein bis zwei Mal pro Jahr fliegen Regierungsmitarbeiter dort hin, um zu schauen, ob medizinische Hilfe nötig ist. "Wir geben zwar nur sehr gezielt Antibiotika", sagt Noya, "aber wir sollten beobachten, was sich durch den Kontakt im Mikrobiom dieser Menschen verändert."

Womöglich helfen die Proben der Yanomami nicht nur dabei, die Ursachen für das Artensterben im Darm besser zu verstehen, sondern eines Tages auch, die ursprüngliche Vielfalt wieder herzustellen. Wenn es wirklich so sei, dass der Artenschwund Menschen krank macht, sagt Jens Walter, "vielleicht kann man die Gesundheit wieder verbessern, indem man das Mikrobiom restauriert."

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