Meilensteine der Transplantationsmedizin:Wo sich der Tod mit dem Leben vermählt

Organ- und Gewebespenden haben der Medizin zu enormen Fortschritten verholfen. Tausende Mensche entkamen dem sicheren Tod oder erhielten durch eine Transplantation ihren Lebensmut zurück. Doch nicht jeder ärztliche Eingriff war erfolgreich. Über die Möglichkeiten und Grenzen von Organverpflanzungen.

Berit Uhlmann

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Quelle: AFP

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"An keinem anderen medizinischen Frontabschnitt haben die Ärzte in diesem Jahrhundert ähnlich eindrucksvolle Siege über den Tod errungen", schrieb der Spiegel im letzten Jahr des vergangenen Jahrhunderts über die Transplantationsmedizin - und fügte an: "Nirgendwo sonst werden aber auch die Schattenseiten der modernen Medizin so scharf sichtbar wie auf dem Gebiet der Organverpflanzung". Denn von Anfang an sind die Übertragungen von Fremdorganen mit ethischen Bedenken und äußert unwillkommenen Gedanken an das Tabuthema Tod verbunden. Ein Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Transplantationsmedizin.

Erste Versuche: Vorläufer der Transplantationsmediziner sind  altindische Heiler, die versuchen, Verstümmelte durch Hauttransplantationen zu behandeln. Allerdings stammt die Haut vom Patienten selbst. Im alten Rom experimentieren Mediziner mit Zahntransplantationen. Sklaven müssen ihre Zähne dafür hergeben.

Theodor Kocher

Quelle: SZ

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1883: Ein Kunstfehler führt zur Geburt der modernen Transplantationsmedizin: Der Schweizer Chirurg Theodor Kocher (im Bild) hatte junge Patienten von ihrem Kropf befreit und dabei die gesamte Schilddrüse entfernt. Die Folgen waren verheerend: Die Patienten blieben in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zurück. Als Reaktion auf seinen Fehler pflanzt der Arzt einem seiner früheren Patienten Schilddrüsengewebe in den Hals. Der Eingriff geht als die erste Organtransplantation in die medizinischen Annalen ein. Dem Patienten halfen dieser und folgende Eingriffe jedoch nur wenig.

Operation in einem Lazarett an der Kanalküste, 1940

Quelle: Scherl

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1937: In den 30er Jahren versuchen Ärzte, schwere Verbrennungen durch Hauttransplantationen zu behandeln. Doch regelmäßig stoßen die Verwundeten die fremde Haut wieder ab. Nur in einem Fall berichten Mediziner von einem Erfolg: Sie hatten einem Mann 1937 Haut von seinem eineiigen Zwillingsbruder verpflanzt. Das Gewebe wuchs an. 

Erst ab 1940 beginnen Ärzte langsam zu verstehen, dass das Immunsystem ein fremdes Organ für einen massiven Feind hält und mit allen Mitteln bekämpft, es sei denn, das Fremdgewebe ist - wie bei eineiigen Zwillingen - nahezu mit dem körpereigenen identisch.

Erste Transplantation

Quelle: Brigham and Women’s Hospital

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1954: Dem Chirurg Joseph Murray aus Boston glückt die weltweit erste  Nierentransplantation (im Bild zu sehen). Sie ist zugleich die erste Übertragung eines kompletten Organs. Auch Murray löst das Problem der Abstoßung nicht, sondern umgeht es nur: Spender und Empfänger sind eineiige Zwillinge.

Der Eingriff kann dennoch als Erfolg gelten. Der Nierenempfänger lebt noch sieben Jahre lang, er heiratet die Krankenschwester, die ihn nach der OP betreute und wird zweifacher Vater. Sein Bruder lebt mehr als 50 Jahre problemlos mit nur einer Niere.

1962: Murray verpflanzt erstmals die Niere eines Toten. Der Empfänger erhält das  Medikament Azathioprin, das die Immunabwehr so unterdrückt, dass  Abstoßungsreaktionen ausbleiben. Als der Patient die magische Ein-Jahres-Grenze überlebt, ab der eine Spende als erfolgreich gilt, wird der Weg auch für die Verpflanzung anderer Organe frei.

WIENER OPERNBALL LUGNER

Quelle: DPA

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1967: Das Ereignis konnte sich in seiner Bedeutung mit der Mondlandung messen: Der Südafrikaner Christiaan Barnard verpflanzt das erste menschliche Herz - ein Organ, dem von altersher eine besondere Symbolik zukommt und das stärker noch die Frage aufwirft, wie die Psyche eines Menschen wohl mit einer solch intimen Gabe zurechtkommt. Barnard avanciert zum Medienstar, der die ethischen Bedenken zuweilen mit recht derben Späßen  ("Ich bin ein neuer Frankenstein") zu zerstreuen sucht. Auf dem Bild ist er 1999 beim Wiener Operball zu sehen.

Sein Patient, der Lebensmittelhändler Louis Washkansky, lebt nur drei Wochen mit dem Herz eines jungen Unfallopfers. Er stirbt an einer Lungenentzündung - als Folge der starken Immunsuppression.

Zwei Wochen später verpflanzt Barnard erneut ein Herz. Dieses Mal unterdrückt er die Abwehr des Patienten weniger stark, der Kranke lebt noch 18 Monate, ehe er das Organ abstößt.

Im gleichen Jahr gelingen auch die ersten erfolgreichen Leber- und Lungentransplantationen.

Verbesserte Medikamente zur Immunsuppression führen in den folgenden Jahren zu immer mehr und erfolgreicheren Transplantationen So lebte ein Amerikaner mindestens 42 Jahre lang beschwerdefrei mit der Niere seiner Schwester. Den Rekord nach einer Herztransplantation dürfte ebenfalls ein Amerikaner halten: Er lebte 31 Jahre mit dem Spenderorgan.

Themenpaket Organspende - Herztransplantation

Quelle: dpa

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Mitte der 80er Jahre: Die Erfahrungen der Transplantationsmedizin eröffnet der Chirurgie neue Wege. Ärzte beginnen, bei komplizierten Operationen Organe vorübergehend aus dem Körper zu lösen und auf dem Tisch zu operieren, um auch an Stellen heranzukommen, an die sie im Körper kaum gelangen können.

Diese so genannte Autotransplantation wurde erstmals vom amerikanischen Chirurgen Denton Cooley an einem Herzen vorgenommen; der Patient starb kurz darauf. Obgleich selten, wird das Verfahren mittlerweile erfolgreich bei sehr schweren Operationen von Herz und Leber angewendet.

CLINT HALLAM WILL HAND AMPUTIEREN LASSEN

Quelle: DPA

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1998: Französische Ärzte transplantieren erstmals eine Hand. Der Patient, der Neuseeländer Clint Hallam, wird allerdings nicht glücklich mit der Spende eines Toten. Er gelingt ihm nicht, die neue Hand als Teil seines Körpers zu akzeptieren; er setzt die immunsuprressiven Medikamente ab. Etwa drei Jahre nach der Verpflanzung müssen Äzrte die Hand wieder entfernen. Das Bild zeigt ihn acht Monate nach der Transplantation.

DENIS CHATELIER, erster Patient dem beide Hände und Unterarme transplantiert wurden

Quelle: REUTERS

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2000: Denis Chatelier erhält als erster Patient zwei neue Hände. Französische Ärzte nähen sie dem 33-Jährigen in einer 17-stündigen Operation an. Das Foto zeit Chatelier ein Jahr nach seiner Operation. Er führt heute ein normales Leben und engagiert sich in Behindertenprojekten.

THEO KELZ SHOWS HIS TRANSPLANTED HANDS AT INNSBRUCK UNIVERSITY CLINIC

Quelle: REUTERS

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2000: Auch dies ist eine Erfolgsgeschichte: Der österreichische Sprengstoffexperte Theo Kelz erhält ebenfalls zwei neue Hände, nachdem er seine eigenen bei einer Bombenentschärftung verlor. Von Anfang an betrachtet er die neuen Körperteile als seine eigenen. Sechs Jahre später umrundet er mit dem Motorrad die Welt. Zehn Jahre nach dem Eingriff empfindet er sein Leben als fast genauso wie früher. Er arbeitet jetzt in der Einsatzzentrale der Polizei und engagiert sich als Streitschlichter.

Themenpaket Organspende - Nierentransplantation

Quelle: dpa

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2004: Organspenden werden mittlerweile so häufig vorgenommen, dass es längst nicht mehr genug Organe für alle Patienten gibt. Vor allem Kranke mit seltenen Blutgruppen müssen sehr lange auf ein Spenderorgan warten. Vor diesem Hintergrund ist es ein Erfolg, dass Freiburger Mediziner nun erstmals in Deutschland eine Nierentransplantation vornehmen, bei denen die Blutgruppen von Spender und Empfänger nicht kompatibel sind. Der Mediziner Günter Kirste fischt mit einer Art Blutwäsche die Antikörper gegen das Fremdblut aus dem Blut des Empfängers und behandelt ihn anschließend mit einer intensiven Immunsuppression.

Im gleichen Jahr verpflanzen Münchner Chirurgen um Heinrich Netz einem Säugling mit Blutgruppe 0 ein Herz mit Blutgruppe A. Bei Neugeborenen ist die Inkopatibilität weniger riskant, weil das Immunsystem noch unreif ist, erläutert der Arzt.

Isabelle Dinoire: erste Gesichtstransplantation der Welt dank Organspende

Quelle: AFP

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2005: Die Französin Isabelle Dinoire erhält als erste Patientin der Welt Teile eines fremden Gesichts. Die 38-Jährige war nach einem Hundeangriff entstellt, ihr werden nun Nase, Lippen und Kinn übertragen. Drei Jahre später zieht sie Bilanz: "Dieses Gesicht ist meins". Schon ein Jahr nach der Operation kann sie wieder lächeln. Aus dieser Zeit stammt die rechte Aufnahme. Das linke Foto zeigt die Patientin drei Monate nach der Operation.

Mit Gesichts- und Handtransplantationen stoßen Mediziner zugleich in neue ethische Grenzbereiche vor. Denn die Empfänger müssen lebenslang sehr starke Immunsuppressiva nehmen, wodurch die Gefahr von gefährlichen Infektionen oder Tumoren steigt. Dieses Risiko nahm die Medizin bis dahin nur in Kauf, wenn die Transplantation Leben rettet. Ein neues Gesicht oder eine neue Hand sind aber nicht lebensnotwendig. Da andererseits Menschen an Entstellungen immens leiden, schlagen Ärzte diesen Weg häufiger ein.

Pk nach Transplantation von zwei Armen

Quelle: dpa

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2008: Münchner Chirurgen verpflanzen zum ersten Mal auf der Welt komplette Arme. Der Patient, der 54-jähriger Landwirt Karl Merk, hatte seine Arme bei einem Arbeitsunfall verloren. Da er keine Prothesen tragen konnte, hatte er von sich aus um eine Transplantation gebeten.

Die Ärzte übertragen 15 Stunden lang Haut, Bindegewebe, Nerven, Muskeln und Knochen. Ein Jahr später kann Merk seine Arme heben und die Finger der linken Hand ein wenig bewegen. Aus dieser Zeit stammt das Foto, das zeigt, wie der Patient seinen Tastsinn schult.

An illustration depicting the laryngeal-trachea transplant performed on patient Brenda Charett Jensen is shown in this undated publicity photograph

Quelle: REUTERS

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2011: Kalifornische Ärzte übertragen einer 52-jährigen Patientin erstmals Kehlkopf und Luftröhre, nachdem diese bei einem chirurgischen Eingriff verletzt wurden. 18 Stunden dauert die Operation, dreizehn Tage später kann die Frau mit ihrer eigenen Stimme sprachen - Es sind die ersten Worte nach elf Jahren. Zuvor konnte sie sich nur mithilfe eines elektronischen Kehlkopfs verständlich machen.

MOST EXTENSIVE FULL FACE TRANSPLANT

Quelle: AFP

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2012: Die 23. Gesichtstransplantation der Welt ist die bislang aufwändigste Operation dieser Art. 36 Stunden operieren Chirurgen in Baltimore den US-Amerikaner Richard Norris, dessen Antzlitz nach einer Schussverletzung zerstört war. Es war die erste Transplantation bei der auch Zähne und Zunge eines Spenders übertragen wurden.

© Süddeutsche.de/beu/holz
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