Manchmal spricht es halt doch jemand aus. Dann wird publik, was manche wissen, etliche ahnen - und noch mehr stillschweigend verdrängen. Die Rede ist von dem Einfluss, den Pharmafirmen auf den Inhalt medizinischer Fachzeitschriften ausüben. Als wichtigste Anzeigenkunden haben sie Macht. Besonders die kleinen, nicht so bedeutenden Journale sind finanziell fast vollständig davon abhängig, dass große Arzneimittelunternehmen und Medizintechnikhersteller bei ihnen inserieren. Ein kritischer Text über ein unwirksames Mittel oder über eine schlechte Untersuchungsmethode wird in diesen Blättern kaum erscheinen - sofern sie auch weiterhin Reklame von der Firma drucken wollen, die hinter den Tests und Therapien steht.
Dieter Köhler wollte diese seit Jahren eingeübte Praxis nicht mehr mitmachen. Der ehemalige Chefarzt und Ex-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie war bis Februar Herausgeber des Blättchens Kompakt Pneumologie. Bei medizinischen Fachblättern ist dieser Titel vor allem eine Ehrenbezeichnung.
Das deutschsprachige Journal, das im Kölner Biermann-Verlag erscheint, spielt in der Welt der Fachpublikationen - man muss es so hart sagen - keine Rolle, bringt es aber auf eine respektable Auflage von 4000 Exemplaren alle zwei Monate. Köhler führt dies auch darauf zurück, dass er den Zusammenfassungen der Fachliteratur, die in der Zeitschrift gedruckt werden, ein Editorial voranstellte. In diesen Einführungsartikeln geißelte Köhler die vollmundigen Ankündigungen mancher neuen Therapien, die sich oft als teurer, aber nicht als besser für die Patienten entpuppten.
Helfen regelmäßige Spritzen, wenn ein Asthma-Patient nicht regelmäßig inhaliert?
Vor Kurzem wurde der streitbare Doktor in seinem Mitteilungsdrang gebremst. Unter dem Titel "Man glaubt es nicht" kritisierte Köhler eine "wissenschaftlich abstruse und moralisch verwerfliche Studie im Auftrag von Novartis". In der Studie sollte Asthma-Kranken, die ihr Steroid-Spray nicht regelmäßig inhalierten, regelmäßig der monoklonale IgE-Antikörper Omalizumab gespritzt werden. Dafür wurden Patienten gesucht, die ihre Probleme, zu festen Terminen zu Hause Medikamente einzunehmen, mit Injektionen zu festen Terminen kompensieren sollten. Es war wenig überraschend, dass sich nur 17 der 104 für die Studie eingeplanten Asthmatiker dazu bereitfanden. Veröffentlicht wurde die Untersuchung trotzdem (Annals of Allergy, Asthma, Immunology, Bd. 114, S. 58, 2015).
Mehr als eine Million biomedizinische Fachartikel erscheinen weltweit jedes Jahr. Damit auch jeder Doktor und Forscher seine Ergebnisse publizieren kann, gibt es mehr als 20 000 Fachzeitschriften in diesem Bereich. Die meisten, sagen Fachleute, sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Da noch immer viele Chefarztstellen und andere Positionen in Medizin und Forschung nach der Masse und nicht der Klasse der Fachartikel besetzt werden, sind dem Mitteilungsdrang der Ärzte kaum Grenzen gesetzt. Dabei gibt es durchaus eine publizistische Hierarchie, die mit Hilfe des sogenannten Impact-Faktors bestimmt wird. Der errechnet sich jedes Jahr neu danach, wie oft Artikel in einer Zeitschrift durchschnittlich in anderen Fachartikeln erwähnt werden und damit als einigermaßen relevant gelten können. Selbstzitate zählen dabei nicht. Während die angesehensten medizinischen Fachblätter wie das New England Journal of Medicine, Lancet, Jama oder das British Medical Journal zumeist auf Impact-Faktoren zwischen 15 und 45 kommen, dümpeln die meisten deutschsprachigen Publikation bei Werten zwischen 0,2 und 1,5. Der Industrieeinfluss auf die Fachblätter ist erheblich. Die kleinen brauchen die Pharmaindustrie als Anzeigenkunden, die großen profitieren davon, wenn eine von der Industrie beauftragte Studie bei ihnen erscheint, weil die Firma dann kostenpflichtige Sonderdrucke in großer Zahl bestellt. Werner Bartens
Köhler stellt in seinem Kommentar naheliegende Fragen, etwa was für Ärzte das seien, die eine solch fragwürdige Studie durchführen, welche Zeitschrift die Publikation annehme und was die Pharmafirma damit beabsichtigte. Und er macht den Vorschlag, dass man für die enormen Antikörper-Behandlungskosten von 30 000 Euro jährlich pro Patient jemanden einstellen könnte, der die Kranken morgens zu Hause besucht und ihnen beim Inhalieren hilft.