KiGGS-Studie:Kindergesundheit: Ganz gut, aber nicht spitze

Lesezeit: 3 min

Noch immer sind viele Kinder und Jugendliche in Deutschland übergewichtig und bewegen sich zu wenig. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Grundsätzlich attestiert die aktuelle Studie dem Nachwuchs in der Bundesrepublik zahlreiche Fortschritte.
  • Das relevanteste und zugleich traurigste Ergebnis aber bleibt: Der sozioökonomische Status beeinflusst die Gesundheit von Kindern in Deutschland nach wie vor am stärksten.
  • Heranwachsende aus den am schlechtesten gestellten 20 Prozent der Familien haben demnach die höchsten Risiken für Übergewicht, Rauchen, Zuckerkonsum, Bewegungsmangel.

Von Kathrin Zinkant

Jede Gesellschaft will nur das Beste für ihre Kinder. Vor allem, wenn es um die Gesundheit geht. Dass dafür noch einiges mehr getan werden kann und muss, zeigt die neue Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Kiggs.

Die einzige umfassende Untersuchung zur gesundheitlichen Verfasstheit Heranwachsender in der Bundesrepublik wird seit 2003 vom Robert-Koch Institut (RKI) durchgeführt. Am Donnerstag stellten Wissenschaftler des RKI die ersten Resultate der jüngsten Erhebung in Berlin vor.

Grundsätzlich attestiert die aktuelle Studie dem Nachwuchs in der Bundesrepublik zahlreiche Fortschritte. Zwar haben die Mütter von knapp elf Prozent der Kinder bis zu einem Alter von sechs Jahren während der Schwangerschaft geraucht. Das sind aber nur noch halb so viele, wie es in der Basiserhebung der Studie vor 15 Jahren der Fall war. Zugleich greifen Jugendliche sehr viel seltener selbst zur Zigarette: Die Zahl der täglichen und gelegentlichen Raucher zwischen elf und 17 Jahren ist von 21,4 Prozent auf 7,3 Prozent gesunken.

Gesundheit
:Armut bedeutet Stress, Lärm und Zucker

Die Gesundheit von Kindern ist stark von der Teilhabe an der Gesellschaft abhängig. Das sollte in Debatten um die Frage, wer eigentlich arm ist, berücksichtigt werden.

Kommentar von Felix Hütten

Auch dicker werden die Kinder in Deutschland auch nicht mehr. Die Zahl der übergewichtigen und adipösen, also fettleibigen Kinder hat sich auf einem Niveau von 15 Prozent eingependelt. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist die Fettleibigkeit unter in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen mit 5,9 Prozent nur etwa halb so häufig. Der tägliche Konsum von zuckerhaltigen Getränken ist ebenfalls deutlich zurückgegangen, von gut 28 auf knapp 17 Prozent bei den Mädchen und von 34 auf etwa 22 Prozent bei den Jungen.

Der sozioökonomische Status zehrt noch immer am stärksten an der Gesundheit der Kinder

Wohl keine dieser Entwicklungen ist zufällig: Maßnahmen wie die Verbannung von zuckerhaltigen Getränken und Raucherecken aus den Schulen, die vielerorts nach der Basiserhebung eingeführt wurden, haben Wirkung entfaltet. "Daten für Taten", nennt das Bärbel-Maria Kurth. Die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie am RKI ist seit Beginn verantwortlich für Kiggs und hatte zuvor mehrere Jahre für die Finanzierung der Basiserhebung gekämpft.

Für die aktuelle Erhebung - die zweite Welle - haben die Forscher nun erstmals auch Längsschnittuntersuchungen durchgeführt, die nicht nur eine Aussage über den Ist-Zustand der heutigen Kinder erlauben, sondern auch darüber, wie sich Heranwachsende weiter entwickeln. Dazu wurden 11 000 Teilnehmer der Basiserhebung erneut befragt und untersucht. Die Ergebnisse bieten gerade für die Themen Übergewicht und Rauchverhalten interessante Einblicke.

In beiden Fällen existiert ein Zeitfenster: Demnach bleiben vor allem jene Kinder später dick, die bereits mit Übergewicht eingeschult wurden. Und wer vor dem 18. Lebensjahr mit dem Rauchen anfängt, hat später die größte Mühe, wieder aufzuhören. Das gilt besonders für männliche Jugendliche, die nur in knapp jedem zehnten Fall von den Zigaretten loskommen. Bei den Mädchen schafft das jede fünfte Raucherin.

Das relevanteste und zugleich traurigste Ergebnis aber bleibt, dass der sozioökonomische Status die Gesundheit von Kindern in Deutschland nach wie vor am stärksten beeinflusst. Gemessen wird dieser Status in der Kiggs-Studie neben dem Haushaltseinkommen auch am Bildungsniveau der Eltern und an der Zahl der Kinder in der Familie. Heranwachsende aus den am schlechtesten gestellten 20 Prozent der Familien haben demnach die höchsten Risiken für Übergewicht, Rauchen, Zuckerkonsum, Bewegungsmangel und, wie aus anderen Studien bekannt, psychische Probleme. "Das zieht sich durch alle Parameter", sagt Bärbel Kurth. Dabei verbesserten sich die Zahlen zwar auch für die unterste sozioökonomische Schicht. Die Diskrepanz zu den höheren zwei Schichten bleibe aber gleich oder wachse. Geld allein werde diesen Trend nicht brechen.

"Es ist eine Frage der Teilhabe", sagt Kurth. Gemeint sind damit vor allem der Zugang zu Sportangeboten und Bildung. Die Weichen für diesen laut Kurth "wirksamsten, aber schwierigsten Part" müssen nun Politiker stellen. Die hätten nach der Basiserhebung großes Interesse an den Ergebnissen gehabt, so Kurth. "Ich gehe davon aus, sie interessieren sich immer noch." Der kleine Wink mit dem Zaunpfahl ging wohl auch in Richtung Gesundheitsministerium, wo am Mittwoch der neue Amtsinhaber Jens Spahn vereidigt wurde.

Er und die Amtskolleginnen aus den Ressorts Bildung und Forschung, Arbeit und Familie können von Kiggs viel lernen. Zumal die Daten erst zu einem Bruchteil ausgewertet sind. "Das ist ein einmaliger Schatz, ein wichtiger Schatz", sagte der Präsident der RKI, Lothar Wieler. "Je früher wir dafür sorgen, dass sich das Verhalten der Kinder ändert, desto gesünder werden diese Kinder als Erwachsene sein."

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Medizin
:Arm und stumm

Menschen werden krank, weil sie arm sind - und sie werden arm, weil sie krank sind. Um diesen Kreislauf zu beenden, braucht es mehr als nur gute Ärzte.

Reportage von Felix Hütten

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: