Karies bei Kindern:Da ist was faul

Lesezeit: 3 Min.

Zähneputzen in der Kita: Vielen anderen Kindern droht eine Karies-Erkrankung. (Foto: Inga Kjer/dpa)

Während Erwachsene immer gesündere Zähne haben, greift Karies bei Kindern um sich. Eltern sollten deswegen schon mit ihren Säuglingen zum Zahnarzt gehen, fordern Fachleute. Einige Gruppen sind besonders gefährdet.

Von Guido Bohsem und Nina von Hardenberg, Berlin

Die Zähne des kleinen Jungen waren kaum noch zu erkennen. Wo sich bei anderen Kindern der Blick auf eine Kette kleiner weißer Perlen öffnet, steckten in seinem Mund unförmige, schwarze Stümpfe. Ein Gebiss, wie man es sonst nur auf den Schockfotos sieht, die man von Zigarettenpackungen kennt. Die Kauflächen der Backenzähne waren von schlimmster Karies zerfressen, die oberen Schneidezähne nur noch Ruinen. Er vermied es, beim Lachen den Mund zu öffnen. Keine drei Jahre war der Junge alt, und doch schämte er sich schon wegen seiner braunschwarzen Zähne vor den anderen Kita-Kindern im bürgerlichen Bezirk Berlin-Charlottenburg. Zahnschmerzen, für die allermeisten seiner Freunde ein unbekanntes Problem, waren ihm alles andere als fremd.

Der Junge litt an "Nuckelflaschenkaries" oder "frühkindlicher Karies der zweiten Stufe", wie man einen derart starken Befall des Milchzahngebisses bei unter Dreijährigen wissenschaftlich korrekt nennt. Jetzt schlagen die wichtigsten Zahnarzt-Organisationen des Landes Alarm. Frühkindliche Zahnschäden wie bei dem Charlottenburger Kita-Kind nähmen weiter zu. "Karies ist die häufigste Erkrankung von Kleinkindern im Vorschulalter", sagte Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Süddeutschen Zeitung. "Das macht mir Sorgen." Auch der Vize-Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dietmar Oesterreich, hält die Entwicklung für verheerend. "Wir kommen da nicht voran."

Meistens vergehen Jahre, bevor die Eltern mit ihren Kindern zum Zahnarzt gehen. Dann sei die Zerstörung manchmal so weit fortgeschritten, dass mehrere Zähne gefüllt oder sogar gezogen werden müssten, sagt Oesterreich. Schon für einen Erwachsenen wäre das unangenehm. Für kleine Kinder aber ist es eine Tortur. Weil sie den Schmerz nicht gut verarbeiten und nicht lange genug still sitzen können, ist eine Vollnarkose bei ihrer Zahnbehandlung meistens unumgänglich.

Im Vergleich zur Karies an den bleibenden Zähnen hat die Milchzahn-Karies in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Zwischen zehn und 15 Prozent der Kleinkinder leiden in Deutschland schon daran. Es lassen sich regional deutliche Unterschiede feststellen. So waren beispielsweise in Brandenburg 12,7 Prozent betroffen, in Hessen 11,4 und in Schleswig-Holstein 7,5 Prozent.

Vor allem aber kann man an den Gebissen der Kleinkinder den Status und den Bildungsgrad der Eltern ablesen. "Zwei Prozent der Kinder vereinen 52 Prozent des Kariesbefalls auf sich", schreiben die Zahnarzt-Organisationen. Die Eltern dieser Kinder seien oft jünger als 20 Jahre und hätten einen niedrigeren Sozialstatus als Eltern nicht erkrankter Kinder. Viele der betroffenen Jungen und Mädchen stammten aus Familien mit Migrationshintergrund.

Die Karies verursachenden Bakterien werden meist schon in den ersten Monaten von der Mutter auf das Kind übertragen. Einmal infiziert, sorgen süße Tees oder Säfte aus der Nuckelflasche, aber auch Schokoladen-Snacks, Kuchen und Kekse für den Ausbruch der Erkrankung. Vor allem durch das permanente Saugen an der Flasche werden die oberen Schneidezähne konstant mit süßen Getränken umspült, was ein idealer Nährboden für Karies ist. Verstärkt wird das falsche Ess- und Trinkverhalten meistens noch dadurch, dass die Zähne schlecht und in manchen Familien auch gar nicht geputzt werden.

Erschütternde Folgen

Die Folgen der frühkindlichen Karies sind erschütternd. Die zerstörten Zähne können Entzündungen und Schmerzen hervorrufen. Fallen die betroffenen Milchzähne zu früh aus, kann sich der Kieferknochen an der Stelle wieder schließen und die bleibenden Zähne am Durchbruch hindern. Auch können sich die bleibenden Zähne infizieren und damit langfristig Schaden nehmen. Die Kinder leiden unter gestörtem Kau- und Schluckverhalten, lernen schlechter sprechen und werden von anderen Kindern ausgegrenzt.

Weil die betroffenen Kinder bei den Besuchen von Zahnmedizinern in Kindergärten oft nicht erreicht werden, plädieren die Ärzte für ein neues Konzept. Sie schlagen vor, die Kontrollen des frühkindlichen Gebisses in ihren Aufgabenbereich zu verlagern. Derzeit sei dies von den Krankenkassen erst ab einem Alter von 30 Monaten vorgesehen. Bis dahin sind die Kinderärzte zuständig. Nach Eßers Worten ist das viel zu spät. Bei gezielter Vorsorge seien die Zahnärzte in der Lage, frühkindliche Karies zu vermeiden und erste Erkrankungen schmerzfrei zu heilen. "Dazu müssen wir die Kinder aber ab dem sechsten Lebensmonat sehen, also ab dem Durchbruch des ersten Zahnes." Mit einer solch frühzeitigen Pflichtuntersuchung hätten Kinder aus unterschiedlichen sozialen Umfeldern Chancen auf gesunde Zähne.

Die Krankenkassen stehen den Forderungen der Zahnärzte skeptisch gegenüber. Es gebe keine alles verändernde Maßnahme, um frühkindliche Karies zu reduzieren, sagte eine Sprecherin des Spitzenverbandes. "Rivalisierende Konzepte verschiedener ärztlicher Professionen helfen da nicht." Kinder- und Zahnärzte sollten vielmehr besser zusammenarbeiten.

© SZ vom 07.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Expertentipps zur Erziehung
:"Übers Zähneputzen sollten Eltern nicht verhandeln"

Manche Kinder verweigern, sobald sie die Zahnbürste sehen, andere halten nie drei Minuten durch: Kinderzahnärztin Jutta Hübner erklärt im Interview, wie Eltern Streit ums Zähneputzen vermeiden und es von Anfang an zum festen Ritual machen.

Von Katja Schnitzler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: