Im Sommer 1981 wurde ein Mitarbeiter der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC stutzig. Aus Los Angeles waren gleich fünf Anfragen für ein seltenes Medikament eingetroffen - gedacht für die Behandlung einer ungewöhnlichen Form von Lungenentzündung. Noch seltsamer war, dass alle fünf Erkrankten junge, bis dahin gesunde Männer waren. Was war mit ihnen los? Mit dieser Frage begann die Erforschung einer Krankheit, die später Aids genannt werden sollte - und sich zur verheerendsten Infektionskrankheit der vergangenen Jahrzehnte entwickelte. Spätestens als das HI-Virus seinen Siegeszug um die Welt vollzog, war klar, dass all jene unrecht hatten, die Infektionskrankheiten in der medizinisch hochgerüsteten Welt für nahezu besiegt hielten.
HIV blieb kein Einzelfall. Regelmäßig tauchten seitdem Erreger auf, die zuvor unbekannt gewesen waren. Zu ihnen gehören das Sars- und das Mers-Virus, die beide schwere Lungenerkrankungen auslösen können. Immer wieder zeigt sich zudem, dass alte Erreger mit neuer Kraft zuschlagen oder eine Entwicklung nehmen können, mit der niemand gerechnet hatte. Das Zikavirus galt als harmlos, bis im Jahr 2015 plötzlich infizierte Schwangere Babys mit zu kleinen Köpfen und unterentwickelten Gehirnen zur Welt brachten.
Infektionskrankheiten:Auf der Spur der Superspreader
Immer wieder haben einzelne Menschen außergewöhnlich viele andere mit schweren Erkrankungen angesteckt. Was einen Infizierten zu einem solchen Superverbreiter macht, ist noch immer ein Rätsel.
Mittlerweile glaubt kaum mehr ein Experte, dass Infektionskrankheiten schnell aus der Biosphäre verschwinden werden. Zum einen sind die Mikroben so wandelbar, dass sie sich immer wieder an neue Gegebenheiten anpassen können. Zum anderen hat auch der Mensch seine Lebensgewohnheiten in den vergangenen Jahrzehnten enorm verändert und hilft dabei, Erreger über weite Strecken zu verbreiten. In unserer globalisierten Welt können Mikroben von nahezu jedem Ort der Welt innerhalb kurzer Zeit an fast jeden anderen Ort gelangen. Dieses Schreckensszenario wurde Realität, als das Sars-Virus aus einem Hotel in Hongkong binnen Stunden in drei Länder eingeschleppt wurde, von wo aus es sich rasch in anderen Staaten verbreitete.
Auch nach Deutschland werden im ständigen Strom von Reisenden und Waren immer wieder neue Krankheiten importiert, sagt Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München auf dem Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung. So wurden 2016 etwa tausend Fälle von Denguefieber registriert, einer Krankheit, die in schweren Fällen zu inneren Blutungen führen kann.
In Zukunft könnte die Gefahr durch Infektionskrankheiten sogar noch zunehmen. Eine der großen Sorgen von Seuchenschützern ist, dass durch den Klimawandel Überträgertiere aus den Tropen in gemäßigtere Klimazonen vordringen. Bereits jetzt scheint sich in Europa die Asiatische Tigermücke auszubreiten. Das Insekt mit den charakteristisch gestreiften Beinen kann unter anderem das Chikungunya-Virus übertragen. Eine Infektion ruft hohes Fieber, Kopfweh, starke Gelenkschmerzen und bisweilen Bindehautentzündung hervor. In einigen Fällen können Beschwerden monatelang anhalten. In diesem Jahr wurden größere Ausbrüche in Frankreich und Italien registriert. Auch in Deutschland wird die Mücke seit einigen Jahren zunehmend gesichtet, sagt Dobler. Vereinzelte Ausbrüche sind künftig auch hierzulande nicht auszuschließen. Ob sich der Erreger dauerhaft etabliert, ist schwer vorherzusagen. Infektionsgeschehen sind komplex und hängen von vielen Faktoren ab.
Nicht zuletzt der Mensch kann die Lage verkomplizieren. So erleben Seuchenschützer derzeit mit Sorge, dass Menschen zunehmend eine der besten Schutzmaßnahmen verschmähen, die die Medizin zu bieten hat: Impfungen haben in den mehr als 100 Jahren seit ihrer Entdeckung unzählige Menschenleben gerettet. Viele Krankheiten wie die Kinderlähmung oder die Masern sind dadurch so selten geworden, dass Eltern sie nicht mehr fürchten. Das Unterschätzen der Gefahren, Nachlässigkeit, Zweifel oder kategorische Ablehnung führen dazu, dass viele Impfquoten in Deutschland nicht ausreichend hoch sind. So sind bis heute nur knapp 93 Prozent komplett gegen die Masern geimpft, sagt der Mediziner Thomas Löscher. Damit die Krankheit keine Chance mehr hat, sich in der Bevölkerung zu verbreiten, ist jedoch eine Rate von 95 Prozent nötig. Der Erreger kann damit noch immer größere Ausbrüche verursachen, wie vor drei Jahren in Berlin, wo mehr als tausend Menschen erkrankten.
Schutz vor Infektionen:Die größten Impfskeptiker der Welt
Mehr als 40 Prozent aller Franzosen halten Impfungen für unsicher. Frankreich ist nicht das einzige europäische Land, das durch seine Zweifler heraussticht.
Eine Impfpflicht, wie derzeit in Frankreich und Italien eingeführt, hält Löscher dennoch nicht für den richtigen Weg. Er glaubt, dass "positiv zu argumentieren", erfolgversprechender ist. Bei besonders bedrohlichen Ausbrüchen erlaubt es das Infektionsschutzgesetz ohnehin heute schon, Impfungen anzuordnen.
Für viele wichtige Infektionskrankheiten fehlen dagegen Impfstoffe. Trotz langer Forschung gibt es noch immer kein Vakzin, das vor dem HI-Virus schützt. Zur Vorbeugung von Malaria ist zwar vor Kurzem ein erster Impfstoff entwickelt worden, doch er schützt nur 20 bis 50 Prozent der Geimpften und wird derzeit nicht routinemäßig empfohlen. Und die Grippeimpfung hat seit jeher das gleiche Problem: Es gibt kein Vakzin, das gegen alle Virentypen schützt. Jedes Jahr müssen Experten abschätzen, welche Typen in der kommenden Saison am wahrscheinlichsten zirkulieren werden. Nur gegen sie wird dann geimpft. Die Vorhersage gelingt nicht immer; in manchen Jahren schützt die Grippeimpfung daher nicht zuverlässig. Dennoch empfiehlt auch Löscher sie für Ältere, chronisch Kranke, Schwangere und Menschen, die beruflich oder privat viel Kontakt zu Gefährdeten haben.
Auch eine weitere Entwicklung macht Experten weltweit Sorgen: Die wirksamste Waffe gegen Infektionen mit Bakterien versagt immer häufiger, weil die Erreger zunehmend gegen Antibiotika resistent werden. Etwa 25 000 Menschen sterben pro Jahr in der EU an einer Infektion, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft, sagt Sebastian Suerbaum vom Max von Pettenkofer-Institut in München. Ein wesentlicher Grund ist der unsachgemäße Einsatz dieser Medikamente. So wurden lange Zeit in der Tiermast Antibiotika als Leistungsförderer oder rein prophylaktisch verwendet.
Auch in der Humanmedizin werden Antibiotika mitunter bei Beschwerden wie simplen Erkältungen eingesetzt, gegen die sie gar nicht helfen. Und noch immer gibt es Unklarheiten über ihre optimale Nutzung. So wird seit Neuestem diskutiert, ob die alte Empfehlung, Antibiotika immer bis zum Ende der Packung einzunehmen, tatsächlich sinnvoll ist. Womöglich gilt sie nur für einen Teil der Medikamente. Bei anderen könnte die Empfehlung kontraproduktiv sein, warnten vor Kurzem britische Forscher. "Die optimale Dauer der Antibiotika-Therapie ist nicht bekannt", räumt Suerbaum ein. Sicher ist hingegen: Der Mensch tut gut daran, auch weiterhin Respekt vor den mikroskopisch kleinen Erregern zu haben.