Die als Mittel gegen Malaria bekannten Medikamente Hydroxychloroquin und Chloroquin bleiben in den Schlagzeilen. In der ersten Phase der Corona-Pandemie wurden die Arzneien von US-Präsident Donald Trump empfohlen, ohne dass es seriöse Belege für ihre Wirksamkeit gab. Bald darauf erschienen Studien, die davor warnten, die Mittel bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 zu nehmen. Das Risiko für tödliche Zwischenfälle, besonders für Herzrhythmusstörungen, sei zu groß und damit der Schaden größer als der potenzielle Nutzen. Jetzt gibt es massive Kritik an der größten dieser Studien, die am 22. Mai im Fachblatt Lancet erschienen ist. Die Datenbasis sei zu schlecht, kritisieren Forscher in Briefen und Stellungnahmen.
Forscher beendeten ihre Studien, weil sie den Ergebnissen der Kollegen vertrauten
Die Herausgeber des Lancet haben inzwischen selbst ihre Bedenken angezeigt und einen Warnhinweis veröffentlicht, eine "Expression of Concern". Demnach gebe es "erhebliche wissenschaftliche Fragen zu den Daten". Ihre Herkunft sei nicht eindeutig, auch die Vergleichbarkeit der Gruppen nicht immer gewährleistet. Unabhängige Gutachter wurden eingeschaltet, deren Bewertung "bald erwartet" werde. Sollten sich gravierende Mängel in der Datengrundlage finden, wäre damit die Aussagekraft der gesamten Studie hinfällig.
In der Untersuchung wurden 15 000 Patienten in 671 Kliniken auf sechs Kontinenten mit Hydroxychloroquin und Chloroquin allein oder in Kombination mit einem Antibiotikum behandelt und mit Kontrollen verglichen. Das Risiko, unter der Therapie mit Hydroxychloroquin und einem Antibiotikum zu sterben, war mit 23,8 Prozent mehr als doppelt so groß wie in der Kontrollgruppe. Andere Forscher, aber auch die WHO unterbrachen oder beendeten daraufhin ihre Studien zu dem Thema.
Im Mittelpunkt der Kritik steht die Firma Surgisphere, ein in Chicago ansässiges Unternehmen, das für klinische Studien die Patientendaten zu erheben und analysieren hilft. Gerade bei multizentrischen oder gar internationalen Studien mit Tausenden von Teilnehmern greifen Forscher auf solche Dienstleister zurück - ähnlich wie die Autoindustrie auf Zulieferer.
Surgisphere hat kürzlich eine Stellungnahme veröffentlicht. Demnach seien die Daten für die Lancet-Studie aus elektronischen Patientenakten übernommen und von Analyse-Tools ausgewertet worden. Zudem solle die Beobachtungsstudie über Patienten mit Covid-19 "nicht überinterpretiert werden". Die Forschung sei weder von Pharmafirmen noch von anderer Seite unterstützt worden, und man sei "stolz, zum Wissen rund um Covid-19 in dieser Zeit großer Unsicherheit beizutragen".
Inzwischen gibt es ähnliche Kritik an einer Studie im New England Journal of Medicine zu ACE-Hemmern, wonach die Blutdrucksenker nicht das Risiko bei Covid-19 erhöhen. Auch hier bestehen Zweifel an den - ebenfalls von Surgisphere - erhobenen Daten; auch das angesehene Fachblatt erklärte eine "Expression of Concern".
Für Ärzte und Forscher sind die massiven Zweifel ärgerliche Rückschritte auf der Suche nach einer Therapie gegen Covid-19. "Wer so etwas Brisantes ohne solide Grundlage herausbringt, verschwendet die Zeit von vielen Leuten, die das aktuelle Geschehen verstehen wollen", sagte Harvard-Epidemiologe Miguel Hernán dem Fachblatt Science. Andere Forscher sind empört, dass sie "inmitten einer Pandemie mit Hunderttausenden Toten von zwei führenden Fachblättern so hinters Licht geführt werden", wie Carlos Chaccour, Gesundheitswissenschaftler aus Barcelona, beklagt.