HIV und Drogenpolitik:Russlands hausgemachte Aids-Krise

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YOUNG MAN HELPS A YOUNG WOMAN TO INJECT HEROIN IN ZHUKOVSKY

In Russland sind Heroinsüchtige auf sich allein gestellt, mit verheerenden Folgen.

(Foto: REUTERS)

HIV verbreitet sich in Russland rasant. Schuld ist in erster Linie eine restriktive Drogenpolitik, die nun auch auf die Krim ausgedehnt wird. Mit tödlichen Folgen.

Von Christoph Behrens

Es ist keine Heilung. Dieser Satz besiegelte das Schicksal von 800 Heroinsüchtigen auf der Krim. Viktor Iwanow, Chef der russischen Drogenkontrollbehörde, strich den Abhängigen auf der Halbinsel mit diesen Worten die Behandlung mit dem Ersatzmittel Methadon. Es war eine von Iwanows ersten Amtshandlungen, nachdem Russland die Kontrolle auf der Krim übernommen hatte.

Sogar die Entdeckerin des HI-Virus, die französische Virologin und Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi, versuchte bei der russischen Regierung zu intervenieren. Alles zwecklos, seit Mai bekommen die Patienten kein Methadon mehr. Die meisten verfielen sofort wieder der Sucht nach Opiaten. Mehr als 20 Abhängige seien inzwischen gestorben, berichtet Andrej Klepikow von der Organisation HIV/Aids Alliance Ukraine. Aktivisten sprechen von einer humanitären Tragödie.

Auf der Krim prallen nicht nur die Territorialinteressen zweier Staaten aufeinander, sondern auch zwei Politikstile im Umgang mit Drogen. Die Ukraine macht seit Jahren gute Erfahrungen mit Substitutionsprogrammen für Abhängige. Russland lehnt diese als schädlich ab. Allein die Androhung drakonischer Strafen soll die Russen vom Handel und Konsum illegaler Substanzen abhalten. Therapien für Süchtige oder Ausgabestellen für saubere Spritzen gibt es kaum.

Die Folgen sind in Russland bereits sichtbar: Experten warnen vor einer neuen Aids-Epidemie, die von dem Riesenreich ausgehen könnte. Vor zehn Jahren waren in Russland 170 000 Menschen mit HIV infiziert. Heute sind es 1,2 Millionen. Die Vereinten Nationen führen jede zweite Ansteckung auf verseuchtes Spritzbesteck zurück. Viele der rund zwei Millionen Opiumsüchtigen tragen auch die Infektionskrankheit Hepatitis C in sich, die zu schweren Leberschäden führt.

Mit "schadensreduzierenden Maßnahmen" wie dem Verteilen sauberer Spritzen hätte die Epidemie verhindert werden können, ist Michel Kazatchkine überzeugt, Sondergesandter der Vereinten Nationen für HIV und Aids in Osteuropa. Auf diese Weise gelinge es der Ukraine, Neuinfektionen mit HIV in Schach zu halten. In Russland greife HIV hingegen auch auf andere Bevölkerungsgruppen über.

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