HIV:Wie Aids die Welt erobern konnte

Aids - das ist immer die Krankheit der anderen. Heute ist es vor allem ein Problem Afrikas, wo die Seuche ihren Ausgang nahm. Doch an ihrer Ausbreitung hatte und hat auch der Westen einen gehörigen Anteil - durch Fehler, Ignoranz und Verschwörungstheorien.

Von Berit Uhlmann

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(Foto: REUTERS)

Aids ist heute vor allem ein Problem Afrikas. 72 Prozent aller Neu-Infektionen konzentrieren sich auf das Gebiet südlich der Sahara. Doch die dramatische Verbreitung der Krankheit wäre ohne den Einfluss und die Ignoranz des Westens kaum denkbar, wie zwei aktuelle Bücher zeigen. 

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Im Sommer 1981 wurde ein Mitarbeiter der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC (Foto) stutzig. Aus Los Angeles waren gleich fünf Anfragen für ein seltenes Medikament eingetroffen - gedacht für die Behandlung einer ungewöhnlichen Form von Lungenentzündung. Noch seltsamer war, dass alle fünf Erkrankten junge, bis dahin gesunde Männer waren. Wie kam es zu der Häufung? Mit dieser Frage begann die Erforschung einer  Krankheit, die später Aids genannt werden sollte - und die doch schon seit Jahrzehnten in der Welt war.

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(Foto: REUTERS)

Nach allem, was Forscher heute wissen, steckten sich Afrikaner um 1920 bei Schimpansen mit dem Immunschwäche-Virus an. Dieser Sprung über die Artengrenze war und ist ein seltenes Ereignis, schreibt der kanadische Epidemiologe und Aids-Forscher Jacques Pepin in seinem Buch: "The Origins of Aids". Denn die Jagd auf Schimpansen war keineswegs eine verbreitete Praxis. Manche Stämme hatten den Verzehr von Affenfleisch sogar mit einem Tabu belegt. Nur eine Handvoll Menschen dürfte sich damals mit dem affentypischen Erreger infiziert haben, rechnet Pepin vor. Denn Nährboden dafür, dass diese wenigen Infektionen sich zur schlimmsten Seuche der Moderne entwickeln konnten, legten im Wesentlichen die europäischen Kolonialmächte.

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Um neue Gebiete zu erschließen und auszubeuten, heuerten die Kolonialherren im großen Stil junge einheimische Männer an. Allein für den Eisenbahnbau arbeiteten mehr als 100.000 Männer. Frauen dagegen waren in den neuen Produktionsstätten und Machtzentren unerwünscht. In ihrem moralischen Eifer übersahen die neuen Machthaber, wozu das ungleiche Verhältnis der Geschlechter führte: Die Prostitution erblühte - und eröffnete der sexuell übertragbaren Immunschwächekrankheit die Möglichkeit, sich rasch zu verbreiten.

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Dass sich das Virus später in Amerika verbreiten konnte, ist ebenfalls einem seltenen Ereignis und besonderen gesellschaftlichen Bedingungen zu verdanken. Als die belgischen Kolonialherren 1960 aus dem Kongo abzogen, hatten sie zwar unzählige Dienstboten und etwa 600 einheimische Priester, aber keinen einzigen Arzt oder Lehrer ausgebildet. Die Vereinten Nationen schickten Personal in das zunehmend im Chaos versinkende Land. Unter den Helfern waren mehrere Tausend Haitianer. Ein einziger von ihnen, soviel legen genetische Analysen und Modellrechnungen nahe, brachte das Virus in seine Heimat mit.

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Dort traf der Erreger auf ein gebeuteltes Land, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach zwei unselige Phänomene seine weitere Verbreitung begünstigten. Homosexuelle Prostitution, zu deren Kunden US-Touristen zählten, und der florierende Handel mit Blutprodukten. Ein US-Geschäftsmann hatte zusammen mit einem korrupten haitianischen Politiker ein Blutspendezentren eröffnet. Bis zu 350 mittellose Haitianer kamen pro Tag in die Einrichtung, um Blutplasma zu spenden. Vieles spricht Pepin zufolge dafür, dass bei der gewerbsmäßigen Blutzapferei die Hygiene vernachlässigt wurde. Die Spender verließen die Einrichtung mit ein paar Dollar in der Tasche - und höchstwahrscheinlich mit dem HI-Virus im Blut. In den folgenden Jahren breitete sich der Erreger in dem Karibikstaat aus. Auf auf dem Foto: Aids-Waisen im Jahr 1999.

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(Foto: REUTERS)

Über welchen Kanal das Virus Anfang der 70er Jahre in die USA gelangte, ist nicht sicher. Klar ist, dass es zunächst in Bevölkerungsgruppen verbreitet war, die als die vier H bekannt wurden: Homosexuelle, Heroin-Abhängige, Hämophilie-Kranke, also Bluter, die häufig Blutspenden erhielten, und Haitianer.

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(Foto: REUTERS)

Gerade die Haitianer sahen sich rasch der - häufig rassistisch getönten - Stigmatisierung ausgesetzt. Ähnlich fühlten sich viele Afrikaner, als später bekannt wurde, wo Aids seinen Ursprung hatte. So verwundert es nicht, dass Leugnungen und Verschwörungstheorien gerade in Ländern mit vielen dunkelhäutigen Menschen auf fruchtbaren Boden fielen - und mitunter eine Allianz mit Schamanentum und Voodoo-Praktiken eingingen. Auf dem Foto: ein südafrikanischer Medizinmann, der seine Methoden am Rande der Weltaiskonferenz im Jahr 2000 präsentiert.

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(Foto: N/A)

Doch diejenigen, die ihre Verschwörungstheorien am effektivsten verbreiteten, waren und sind vor allem Profiteure aus westlichen Ländern, wie die Aids-Forscherin Nicoli Natrass in ihrem Buch "The Aids Conspirancy" berichtet. Es waren demnach der KGB und die Stasi, die das Gerücht streuten, das Virus sei von den USA als Biowaffe konzipiert worden. Dies war nur einer unter vielen Schachzügen im Kalten Krieg, doch er heizte das Klima von Skepsis und Leugnung der neuen Krankheit an. Noch lange, nachdem 1983 das HI-Virus entdeckt wurde (Foto), machten immer wieder Gerüchte die Runde, wonach der Erreger ein Phantom oder zumindest harmlos sei.

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(Foto: dpa/dpaweb)

Zu den Profiteuren der Verschwörungstheorien gehören vor allem Wissenschaftler, die sich durch Opposition zum Mainstreams profilieren wollen und jede Kritik an ihrer Arbeit als Repressalien des Establishments zurückweisen. Bekanntester Vertreter ist der deutsch-amerikanische Wissenschaftler Peter Duesberg, der die Gefährlichkeit des Aids-Virus bestreitet. Auch Heiler verschiedener Couleur schlagen Gewinn aus den Verschwörungstheorien. So prangerte der deutsche Alternativmediziner Matthias Rath (auf der Zeitung zu sehen) Aids-Medikamente als gefährliche Ausgeburten eines "pharmazeutischen Drogenkartells" an - um seine eigenen vermeintlichen Heilmittel zu verkaufen: Vitamine.

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(Foto: REUTERS)

Solch bizarre Ansichten hatten und haben verheerende Folgen: Sie unterminieren das Vertrauen in die Wissenschaft und verhindern Prävention wie Behandlung. Die tragische Konsequenz ließ sich am heftigsten in Südafrika beobachten, wo die Verschwörungstheoretiker auch in der Politik auf offene Ohren stießen. Präsident Thabo Mbeki (auf dem Foto mit einem Anhänger) enthielt seinen Landsleuten 1999 nicht nur Aids-Tests, sondern auch die mittlerweile vielfach erprobten und wirkungsvollen Medikamente vor. Er propagierte stattdessen eine gesunde Ernährung und half unter anderem dem deutschen Mediziner Rath, seine Vitaminpräparate auf den Markt zu bringen.

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(Foto: Reuters)

Drei Jahre lang konnte Mbeki seine Aids-Politik aufrecht erhalten, ehe öffentlicher Druck ihr ein Ende setze. Auf das Konto der öffentichen Leugnung gehen geschätzte 180.000 zusätzliche Neuerkrankungen. 333.000 Todesfälle hätten in dieser Zeit durch Medikamente verhindert werden können.

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(Foto: dpa/dpaweb)

Nicht abzuschätzen ist, welche Folgen die Verschwörungstheorien auf längere Sicht in Südafrika und anderswo haben. Sicher ist: Weltweit leben heute mehr als 33 Millionen Menschen mit dem Virus.

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