Geburten:Alleingelassen in der großen Klinik

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Neun Prozent der Mütter, die an einer Klinik mit mehr als 2000 Geburten pro Jahr entbunden hatten, sprachen von einer mittelmäßigen oder schlechten Erfahrung im Kreißsaal (Symbolbild). (Foto: imago stock&people)
  • Die Erfahrungen von Müttern im Kreißsaal und auf der Wöchnerinnenstation sind umso negativer, je größer die Klinik ist.
  • Das zeigt eine Studie, in der das gemeinnützige Picker-Institut 9600 junge Mütter befragte, die der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt.
  • Eine Zentralisierung der Geburtshilfe kann dem Report zufolge unerwartete negative Effekte haben.

Von Christina Berndt, München

Die Orte, an denen das Leben beginnt, sterben einen schleichenden Tod. Um mehr als 40 Prozent ist die Zahl der Kreißsäle in Deutschland seit 1991 gesunken, und wenn es nach dem Willen zahlreicher Gesundheitspolitiker und Ärztefunktionäre geht, dann werden es bald noch weniger werden. Ziel ist es, die Versorgung der Gebärenden und ihrer Kinder durch größere Geburtskliniken zu verbessern.

Aber wie sehen das eigentlich die Frauen? Und ergeht es ihnen in größeren Kliniken wirklich besser? Diesen Fragen ist das gemeinnützige Picker-Institut nachgegangen, dessen Ziel es ist, die Behandlungsqualität aus Patientensicht zu verbessern. Die Antwort zeigt eine klare Tendenz: Eine Geburt in einer großen Abteilung ist nicht unbedingt eine gute Geburt. "Die Erfahrungen im Kreißsaal und auf der Wöchnerinnenstation sind umso negativer, je größer die Klinik ist", lautet das Fazit.

Für die Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wurden etwa 9600 Wöchnerinnen befragt, die zwischen 2014 und 2017 an 77 deutschen Krankenhäusern verschiedener Größe entbunden hatten. Demnach sprachen neun Prozent der Mütter, die an einer Klinik mit mehr als 2000 Geburten pro Jahr entbunden hatten, von einer mittelmäßigen oder schlechten Erfahrung im Kreißsaal; an Kliniken mit weniger als 1000 Geburten pro Jahr taten dies nur gut fünf Prozent. Auch gaben die Wöchnerinnen der großen Kliniken zu 34 Prozent an, unzureichend Gelegenheit gehabt zu haben, mit Hebammen über Ängste zu sprechen; an einer kleinen Klinik waren dies lediglich 19 Prozent. Ähnlich fielen die Ergebnisse zugunsten der kleinen Stationen aus, wenn es um Informationen zum Stillen und die Erfahrung im Wochenbett ging, um die Frage, ob die Frauen genügend in Entscheidungen einbezogen wurden und ob immer eine Hebamme da war, wenn sie gebraucht wurde ( siehe Grafik).

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Den Gebärenden liege nicht nur eine möglichst gute medizinische Versorgung am Herzen, sagt Maria Nadj-Kittler, eine der Autorinnen der Studie. "Ihnen kommt es darauf an, eine gute körperliche und emotionale Unterstützung rund um die Geburt zu bekommen. Und das geht natürlich nicht, wenn eine Hebamme mehrere Frauen zur gleichen Zeit betreut, wie dies gerade in großen Häusern üblich ist."

Dennoch hält der Trend zur Zentralisierung an. So forderte zuletzt die AOK in ihrem Krankenhausreport 2017 eine Mindestzahl von 500 Geburten, damit Häuser geburtshilfliche Leistungen anbieten dürfen. Eine solche Mindestmengenregelung würde eine weitere Schließung etwa jeder dritten der noch existierenden 700 Geburtshilfen bedeuten. Dabei wird nicht nur mit hohen Kosten argumentiert. Befürworter der Zentralisierung verweisen auch auf die geringeren Risiken für Mütter und Kinder, wenn die Häuser eine Rundumversorgung auch im Notfall bieten können, was an vielen kleinen Geburtskliniken nicht der Fall ist. Auch sei die Qualität nur dann gesichert, wenn ein Krankenhaus - wie bei anderen medizinischen Eingriffen auch, für die eine Mindestmengenregelung gilt - eine nennenswerte Anzahl solcher Eingriffe vornimmt.

Geburten werden immer häufiger rein medizinisch betrachtet, unter dem Aspekt der Risiken

Doch was für Hüftprothesen und Schilddrüsenoperationen sogar wissenschaftlich belegt ist, ist auf Geburten nicht unbedingt übertragbar. "Eine Geburt ist ein physiologischer Prozess mit absolut positiven Aspekten, sie ist erst einmal keine Krankheit", betont Maria Nadj-Kittler. Dennoch würden Geburten immer häufiger rein medizinisch betrachtet, unter dem Aspekt möglicher Komplikationen. "Es benötigen aber nur wenige Frauen die in großen Kliniken vorgehaltene Expertise und die speziellen Gerätschaften." So haben Kinder unter 1500 Gramm Geburtsgewicht bessere Überlebenschancen, wenn sie in einer sehr gut ausgestatteten Klinik zur Welt kommen. Für die allermeisten Mütter aber, sagt Nadj-Kittler, sei es viel wichtiger, eine gute Betreuung zu erhalten.

Eine Zentralisierung der Geburtshilfe kann dem Picker-Report zufolge auch unerwartete negative Effekte haben. So zeige die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, dass medizintechnische Interventionen dort, wo sie leicht verfügbar sind, schneller eingesetzt werden - und zwar auch dann, wenn sie gar nicht erforderlich sind. Auch führten längere Anfahrtswege zur Klinik nicht nur zu größerem Stress bei den Gebärenden, sondern auch dazu, dass sie besonders frühzeitig in die Klinik fahren. "Eine frühe Aufnahme führt aber nachweislich zu vermehrten geburtsmedizinischen Interventionen bis hin zum Kaiserschnitt, ohne dass die Ergebnisse dadurch insgesamt besser wären", sagt Nadj-Kittler. Eine weitere Reduktion der Geburtshilfestationen sei deshalb der falsche Weg, zumal die Zahl der Geburten steige. Sie hatte 2011 ihren Tiefstand mit etwa 660 000 erreicht und lag 2016 wieder ungefähr auf dem Niveau des Jahres 1997 mit knapp 800 000 Geburten.

Soll ein Kind gut ins Leben starten, muss in Hebammen investiert werden

Uwe Hasbargen befürwortet trotz dieses Trends eine weitere Zentralisierung. Für den Leiter der Geburtshilfe am Münchner Universitätsklinikum Großhadern, wo pro Jahr 1700 Kinder geboren werden, überwiegt der Aspekt der Sicherheit. So sei die Neugeborenensterblichkeit in Deutschland im europäischen Vergleich nur Mittelmaß. Das liegt einer Analyse der Stiftung Kindergesundheit zufolge auch an der hohen Zahl unspezialisierter Kliniken. Die Zentralisierung dürfe aber nicht einfach Einsparung bedeuten, sagt Hasbargen: "Es muss gewährleistet sein, dass die großen Stationen personell so gut ausgestattet sind, dass sie den Wegfall der anderen Häuser wirklich auffangen können."

In diesem Punkt sind sich Nadj-Kittler und Hasbargen denn auch einig: Wenn man einen guten Start ins Leben für das Kind und ein positives Erleben für die Mutter gewährleisten wolle, müsse man als allererstes in Hebammen investieren. Genügend Ansprache, Zeit, Einfühlungsvermögen und gemeinsames, nicht angstgetriebenes Abwägen - sobald das bei einer Geburt gewährleistet sei, könne das Haus drumrum ruhig groß und voller im Notfall lebensrettender Technik sein.

Pro und Contra, Geburtshilfe in der Krise - was muss sich ändern? (Video: SZ)
© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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