Ernährung:Stuss mit Nuss

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Diese Antioxidantien! Diese Radikalenfänger! Wer viel Nüsse isst, lebt - vielleicht - länger. (Foto: imago/Westend61)

Nussesser leben länger, sagt eine aktuelle Studie. Doch Moment, da war was. Genau: Unsinnige Ernährungsforschung. Unserem Autor geht die so langsam auf die Nüsse.

Glosse von Werner Bartens

Immer auf die Nuss. Nikolaus, Weihnachtsmann und Christkind haben es schon lange geahnt. Wenn sie Apfel, Nuss und Mandelkern in Stiefeln, Säcken und auf dem Gabentisch hinterlassen, haben sie eigentlich nur ungesättigte Fettsäuren und Antioxidantien im Sinn. Nüsse sind das neue Superfood, wer sich durch das Angebot der Schließfrüchte knabbert und Haselnuss, Walnuss, Macadamia oder Erdnuss im Beutel hat, dem wird an nichts mangeln.

So muss man das wohl sehen. Wie sonst ist die jüngste Studie im Fachblatt BMC Medicine zu verstehen, die Nüsse als Allheilmittel preist? Chia-Samen, Acai-Beere und auch die olle Goji-Beere, die eigentlich Gemeiner Bocksdorn heißt, müssen einpacken. Die Nuss macht's: 4,4 Millionen vorzeitige Todesfälle könnten verhindert werden, darunter das frühe Ende durch 1,2 Millionen Herzinfarkte, 1,1 Millionen Lungenerkrankungen und 470.000 Krebsfälle. Diabetes tritt ebenfalls seltener auf. Schwer zu toppen. Was war nochmal die Wirkung gegen Falten, für die Potenz, den Haarwuchs und gegen Unterleibsbeschwerden, wenn man ständig Nüsse kaut?

Schafft bitte die Ernährungswissenschaften ab

Was für ein herrlicher Unsinn! Wenn ich eine Wunschliste an Forschung und Fachjournale frei hätte, stände eine Forderung ganz oben: Schafft bitte die Ernährungswissenschaften ab. Das ist nämlich keine Wissenschaft. Liest man die Veröffentlichungen aus diesem Bereich, klingt das wie ein Frühstücksbuffet mit ein paar schwer zu buchstabierenden Zutaten, ob es sich nun um Flavonoide, Anthocyane oder Tocopherole handelt. Ähnlich wie auf den Laufstegen in Paris oder Mailand ist mal das eine, dann das andere in Mode.

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Wird die Konzentration nur hoch genug gewählt, lässt sich mit fast jeder Substanz im Labor ein Blutgefäß elastischer machen oder der Zelltod hinauszögern. Und entsprechend präparierte und gentechnisch anfällig gemachte Mäuse - oder sollte man in diesem Fall lieber Eichhörnchen untersuchen? - werden schon länger leben, die angezüchteten Tumore stärker bekämpfen oder ihren Stoffwechsel optimieren, wenn man ihnen nur die richtige Substanzmischung in unnatürlicher Dosis täglich serviert oder gleich in die Blutbahn spritzt.

Nur: Mice tell lies - Mäuseversuche führen häufig in die Irre, um es freundlich auszudrücken. Und die Bedingungen im Labor lassen sich nun mal selten auf das richtige Leben übertragen. Die Konzentrationen, in denen dort mit Heidelbeer-Extrakten, Nussölen oder Broccoli-Bestandteilen experimentiert wird, lässt sich in keiner Diät erzielen. Und direkt in die Blutbahn nimmt man die diversen Superfood-Kandidaten auch nicht auf.

Wissenschaft macht's möglich, wobei man besser sagen müsste: Pseudo-Forschung

Legendär ist in dieser Hinsicht eine der frühen Studien aus den 90er Jahren im New England Journal of Medicine, einer Fachzeitschrift, die man normalerweise ernst nehmen kann. Sie betonte den herausragenden Nutzen einer Ernährung mit vielen Nüssen für Herz und Kreislauf und Cholesterinwerte. Allerdings, so der Haken, musste man schon fast den gesamten Tagesbedarf an Fetten und Ölen durch Nüsse decken. Wie lebensfern der Anspruch war, zeigte sich erst im Kleingedruckten. Die Studie wurde von der kalifornischen Walnussindustrie gesponsert.

Klinische Studien unterliegen immer dem Einfluss von Störfaktoren, das lässt sich nie ganz ausschließen. Für Ernährungsstudien gilt das aber ganz besonders. Sie sind ein einziger Störfaktor. Wird beispielsweise der Einfluss von Erdbeermarmelade, Knäckebrot oder Ananas auf das Gedächtnis oder die Widerstandskraft gegen Fußpilz untersucht, lässt sich nie unterscheiden, ob Freunde von Marmelade, Knäckebrot und Ananas nicht sowieso gesünder leben, zu einer höheren Bildungsschicht gehören oder früher den Arzt aufsuchen - und aus diesem Grund später oder gar nicht dement oder vom Fußpilz befallen werden.

Wissenschaft macht's möglich, wobei man besser sagen müsste: Pseudo-Forschung. Wer's glaubt, wird selig. Für das eigene Seelenheil warte ich deshalb sehnsüchtig auf die Studie, die den gesundheitlichen Nutzen von Nusspli, Nutella und Marmorkuchen beweist. Diese Antioxidantien! Diese Radikalenfänger! Da muss was dran sein, ich spüre es doch täglich selber, lecker ist es außerdem. Alle anderen Ernährungsstudien können mir gestohlen bleiben. Die gehen mir auf die Nuss.

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