Zensus 2011:Weniger Menschen, mehr Wohnungen, selbes Problem

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Von wegen Wohnungsnot: In Deutschland leben viel weniger Menschen als angenommen, gleichzeitig gibt es deutlich mehr Wohnungen als bislang bekannt. So schlimm kann die Lage auf dem Wohnungsmarkt wohl nicht sein, könnte man meinen. Doch die Zusammenhänge sind komplizierter.

Von Benjamin Romberg

1,6 Millionen Einwohner weniger, 500.000 Wohnungen mehr: Die Zahlen des aktuellen Zensus weichen deutlich von den bisher bekannten Daten ab. Das hat auch Auswirkungen auf die Diskussion um die Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Noch vergangene Woche hatte der Deutsche Mieterbund (DMB) vor einer "neuen Wohnungsnot" gewarnt und der Politik einmal mehr Versäumnisse beim Wohnungsbau vorgeworfen. Durch die neuen Zahlen stellt sich die Lage nun deutlich weniger dramatisch dar. Also alles halb so wild?

Beim DMB ist man erstaunt ob der neuen Daten - vor allem im Vergleich zum Bericht der Bundesregierung über die Wohnungs- und Immobilenwirtschaft in Deutschland vom Dezember ( PDF). Eine Erklärung haben die Interessenvertreter der Mieter noch nicht. DMB-Geschäftsführer Ulrich Ropertz weist allerdings darauf hin, dass sich die Einwohnerzahl vor allem durch Zuwanderung in den vergangenen zwei Jahren sicherlich vergrößert habe. Stichtag für die Erhebung war der 9. Mai 2011. "Man muss die Zahlen etwas fortschreiben", sagt Ropertz im Gespräch mit Süddeutsche.de.

Zudem sei nicht die Zahl der Einwohner, sondern die der Haushalte relevant, um den tatsächlichen Wohnungsbedarf berechnen zu können. Diese Angabe fehle aber im Moment noch und wird wohl erst nach einer ausführlicheren Auswertung 2014 nachgereicht.

Eines steht für den DMB-Geschäftsführer dennoch fest: "Das Angebot hält mit der Nachfrage nicht Schritt." In den Großstädten fehlten 250.000 Wohnungen - unabhängig von den neuen Zahlen. Ropertz weist außerdem auf regionale Unterschiede bei den Daten hin: In Berlin beispielsweise gebe es demnach sogar 40.000 Wohnungen weniger als bislang angenommen. Die Knappheit führe vor allem bei Neuvermietungen zu unverhältnismäßig hohen Mieten.

Hohe Leerstandsquote, wenig Neubauten

Auch beim zuständigen Ministerium hat man keine Erklärung für die enormen Unterschiede bei der Zahl der Wohnungen. Die Daten seien zwar positiv, fest stehe aber auch, "dass es in manchen Ballungszentren wie München zu wenige Wohnungen gibt", sagte ein Sprecher gegenüber Süddeutsche.de.

Der Zensus liefert auch Zahlen zum Wohnungsbau. Die zeigen, dass tatsächlich immer weniger neue Wohnungen in Deutschland entstehen. So wurden von den etwa 41,3 Millionen Wohnungen mehr als zwei Drittel vor 1979 erbaut. Vor allem nach der Jahrtausendwende hat sich am Bestand immer weniger geändert, seit 2009 sind nur noch knapp 400.000 neue Wohnungen entstanden. Zum Vergleich: Zwischen 2001 und 2004 waren es noch viermal so viele. Der Sprecher des Bauministeriums weist darauf hin, dass die Zahl der Baugenehmigungen seit 2009 wieder gestiegen sei. Das wirke sich dann zeitverzögert auch auf die Fertigstellungen aus.

Doch auf den ersten Blick scheint es auch jetzt schon genug Wohnungen zu geben. Der Zensus hat eine Leerstandsquote von 4,4 Prozent im Bundesdurchschnitt berechnet - ein Prozent mehr als bisher angenommen. Fachleute sprechen von einer Fluktuationsreserve von drei Prozent, die nötig ist, damit immer genug Wohnungen zur Verfügung stehen. Der aktuelle Wert liegt also deutlich über dieser Grenze.

Viele Wohnungen ohne Dusche und WC

Problematisch wird es allerdings, wenn man die regionalen Unterschiede betrachtet. In ostdeutschen Städten wie Leipzig, Halle oder Magdeburg gibt es vergleichsweise viele freie Wohnungen. An der Spitze liegt Chemnitz mit 13,7 Prozent. Dagegen liegen die Quoten in Nord- und Süddeutschland sowie einigen Städten in Nordhrein-Westfalen deutlich unter der Marke von drei Prozent. Am schwierigsten ist es demnach in Hamburg und Oldenburg (Niedersachsen), ein Dach über dem Kopf zu finden, hier stehen nur 1,5 Prozent der Wohnungen leer.

Wenig überraschend ist der niedrige Anteil von Eigentümern, die ihre Wohnung selber nutzen. Die Quote lag laut Zensus bei 45,8 Prozent - mehr als die Hälfte der Haushalte ist in Mietwohnungen untergebracht. Dabei gibt es deutliche Unterschiede je nach Region: Mit Abstand am höchsten ist die Eigentümerquote im Saarland mit 62,8 Prozent, gefolgt von Rheinland-Pfalz (57,6) und Niedersachsen (54). In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg gibt es nur 15,6 beziehungsweise 24,1 Prozent Eigentümerwohnungen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Eigentümerquote traditionell deutlich hinter anderen Ländern zurück. In Süd- und Osteuropa leben teilweise zwischen 80 und 90 Prozent der Menschen in Wohnungen, die ihnen selbst gehören ( Gründe dafür werden in diesem SZ-Artikel analysiert).

Die Statistiker haben auch nach der Größe der Wohnungen gefragt. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Wohnung ist hierzulande 90 Quadratmeter groß. Auch hier liegen die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz vorne, in den Stadtstaaten sind die Wohnungen am kleinsten.

Die deutsche Durchschnittswohnung - das kann sowohl eine Etagenwohnung als auch ein Einfamilienhaus sein - verfügt über 4,4 Zimmer. Als "Zimmer" zählen dabei alle Schlaf-, Wohn- und Essräume, sofern sie mindestens sechs Quardratmeter groß sind. Küchen werden unabhängig von ihrer Größe immer mitgezählt, nicht jedoch Bad, Toilette, Flur und Wirtschaftsräume.

Froh darf sich dennoch auch dort jeder schätzen, dessen Behausung immerhin über die grundlegenden sanitären Einrichtungen verfügt. In mehr als 300.000 Wohnungen in Deutschland ist das nicht der Fall - dort gibt es weder Dusche noch Toilette. In mehr als doppelt so vielen Wohnungen fehlt zumindest eines von beidem.

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