US-Notenbank senkt Leitzins:Riskante Nullzinspolitik

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Mit der historischen Zinssenkung stemmt sich US-Notenbank-Chef Bernanke gegen die Rezession, doch ohne Hilfe der Politik kann er sie nicht bewältigen.

Moritz Koch, New York

Es war ein Tag der beunruhigenden Rekorde in Amerika, wieder einmal. Am Dienstagvormittag meldete das Arbeitsministerium, dass die Verbraucherpreise im November so stark gefallen sind wie noch nie innerhalb eines Monats.

Aufruhr an der New Yorker Börse: Die Notenbank Federal Reserve senkte den Leitzins auf einen historischen Tiefstand. (Foto: Foto: AFP)

Nur Stunden später senkte die Notenbank Federal Reserve den Leitzins auf einen historischen Tiefstand. Erstmals gab sie kein konkretes Ziel an, sondern eine Spanne. Zwischen null und 0,25 Prozent soll der Zinssatz künftig betragen.

Fed-Chef Ben Bernanke stemmt sich mit aller Macht gegen die wohl tiefste Rezession seit 80 Jahren. Längst hat er die Vorsicht über Bord geworfen, mit der Notenbanker normalerweise zu Werke gehen. Bernanke will verhindern, dass das Land in die Deflation abgleitet - um jeden Preis.

Zwar sind die fallenden Preise für viele Amerikaner derzeit eine Entlastung, setzen sie sich aber fest, würden sie den Konsum abwürgen, von dem die USA so abhängig sind. Sinken die Preise von Monat zu Monat, halten die Bürger ihr Geld zurück und die Unternehmen verschieben Investitionen. Die Binnennachfrage kommt zum Erliegen.

Japan ist das warnende Beispiel für Amerika. Dort war Anfang der neunziger Jahre der Wirtschaftsabschwung nur der Auftakt zu einem verlorenen Jahrzehnt. Die japanische Zentralbank erfand damals die Nullzinspolitik, mit der Bernanke heute experimentiert, ohne aber den Verfall der Preise und die Stagnation der Wirtschaft beenden zu können.

Die Ökonomen der Fed glauben, dass nicht die Politik an sich falsch war, sondern die Zimperlichkeit, mit der sie umsetzt wurde. Die Japaner warteten 17 Monate, bevor sie die Zinsen senkten und brauchten mehrere Jahre, bis sie eine Rate von weniger als 0,5 Prozent erreichten. Die Fed hingegen drückte den Leitzins innerhalb von gerade mal 15 Monaten von 5,25 Prozent auf faktisch null.

Auf der nächsten Seite: Warum die US-Notenbank die Rezession nicht allein bewältigen kann.

Doch bei aller Entschlossenheit räumt Bernanke ein: Gegen eine Rezession, die so schwer ist wie diese, ist die Notenbank alleine machtlos. Die Fed braucht die Unterstützung der Regierung - und sie wird sie bekommen. Der künftige Präsident Barack Obama hat bereits angekündigt, seine Amtszeit mit einem Paukenschlag zu beginnen.

Unmittelbar nach seiner Vereidigung am 20. Januar wird er ein gewaltiges Konjunkturprogramm auflegen. Über Summen zwischen 600 und 1000 Milliarden Dollar wird auf den Fluren des Kapitols bereits spekuliert. Das Haushaltsdefizit, das in diesem Jahr mit 438 Milliarden Dollar so hoch war wie niemals zuvor, könnte 2009 vollends aus dem Ruder laufen. Bernanke und Obama sind bereit, das zu akzeptieren.

Anleihen im Ausland

Weil die USA hohe Handelsdefizite erwirtschaften, das Land also mehr ausgibt, als es verdient, wird sich die Regierung Teile des Geldes im Ausland leihen müssen, auch und gerade in Japan. Die Japaner sind nach den Chinesen die zweitwichtigsten Gläubiger der USA. Doch je weiter die US-Zinsen sinken, desto unattraktiver wird es für sie, ihr Geld in Amerika anzulegen.

Fünfzehn Jahre lang konnten japanische Investoren in den USA höhere Zinsen erzielen als in eigenen Land. Dafür tauschten sie Yen gegen Dollar, versorgten die Amerikaner mit Krediten und stützten deren Währung. Dieses System ist nun akut gefährdet. Die Fed hat den Zinsunterschied zwischen Japan und den USA eingeebnet und vielen Investoren den Grund genommen, Dollar zu kaufen.

Die Rolle des Dollars steht auf dem Spiel

Der US-Währung könnte daher eine lange Schwächeperiode bevorstehen. Am Dienstag geriet sie bereits massiv unter Druck. Zwar büßte der Dollar gegenüber dem Euro nur Teile der Gewinne ein, die er in den vergangenen Monaten verzeichnet hatte, aber gegenüber dem Yen stürzte er zuletzt regelrecht ab. Nie war die Zeit für einen Käuferstreik für amerikanische Schuldverschreibungen so reif wie jetzt, urteilen Analysten. Die Rolle des Dollars als Leitwährung stehe auf dem Spiel, meinen einige.

Davon war bisher freilich nicht viel zu spüren. Im Gegenteil: Für die Sicherheiten von amerikanischen Staatsanleihen waren Investoren zuletzt bereit, auf jegliche Verzinsung zu verzichten. Erst wenn sich die Furcht der Anleger gelegt hat und Renditeerwartungen wieder zum entscheidenden Investitionsgrund werden, wird sich die amerikanische Nullzinspolitik auf den Dollar auswirken.

Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Schließlich hat die Finanzkrise eines gezeigt: Fundamentale ökonomische Zusammenhänge lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sie ignoriert. Nicht von der Wall Street und auch nicht von Washington.

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