Historische Entscheidung:US-Zinsen sinken fast auf null Prozent

Lesezeit: 3 min

Die US-Notenbank hat den Leitzins auf eine Zinsspanne zwischen 0,0 und 0,25 Prozent gesenkt und weitere Schritte zur Stützung der Finanzmärkte angekündigt. Die Aktienkurse an Wall Street und der Euro schießen in die Höhe.

Nikolaus Piper

Unter dem Eindruck einer sich verschärfenden Rezession macht die amerikanische Notenbank Federal Reserve Geld so billig wie noch nie in ihrer Geschichte. Der Offenmarktausschuss der Fed senkte den Leitzins stärker als erwartet von 1,0 auf einen Zielkorridor von null bis 0,25 Prozent. Die Börse reagierte mit einem Kurssprung.

Broker beobachten das Geschehen an der Wall Street. (Foto: Foto: AP)

In ihrer Erklärung, die am Ende einer zweitägigen Sitzung mit der für Fed-Verhältnisse ungewöhnlichen Verspätung von fast 15 Minuten veröffentlicht wurde, versucht die Federal Reserve eindringlich, die Finanzmärkte zu beruhigen und neues Vertrauen zu schaffen. Die Notenbank werde alles tun, "um die Wiederherstellung nachhaltigen Wachstum und Preisstabilität zu fördern," heißt es darin.

"Im Besonderen geht der Offenmarktausschuss davon aus, dass die schwachen Bedingungen der Wirtschaft für einige Zeit außerordentlich niedrige Leitzinsen rechtfertigen." Eine vergleichbare Versicherung, dass sich die Finanzmärkte auf eine lange Phase billigen Geldes einstellen können, hatte es vorher noch nie gegeben. Zusätzlich senkt die Fed den Diskontsatz, zu dem sich Banken direkt bei ihr Geld leihen können, um 0,75 Punkte auf 0,5 Prozent.

Die Notenbank bestätigt, dass sie ihr Programm zum Aufkauf von Hypotheken- und anderen Krediten fortsetzen wird und dass sie sich darauf einstellt, dies sogar noch auszuweiten. Ziel ist es, den Markt für Hausfinanzierungen wieder in Gang zu bringen und den Verfall der Immobilienpreise zu stoppen.

Im kommenden Jahr wird sie in einem weiteren Programm Kredite für Verbraucher und Kleinunternehmen zur Verfügung stellen. Sie prüfe außerdem die "möglichen Vorteile" eine Kaufs von Staatsanleihen durch die Notenbank. Ein solcher Schritt würde zu niedrigeren langfristigen Zinsen führen.

Einstimmige Entscheidung

Schließlich kündigt die Fed noch weitere, nicht spezifizierte Maßnahmen an: "Die Federal Reserve wird weiterhin Schritte prüfen, um ihre Bilanz zu nutzen, um die Kreditmärkte und die Wirtschaft zu stützen." Das bedeutet, dass sie sich darauf einstellt, noch weitere Klassen von Wertpapieren aufzukaufen und dabei das Geld der amerikanischen Steuerzahler zu riskieren.

Notenbankchef Ben Bernanke hat bei seinem beispiellosen Kurs gegen die Wirtschaftskrise offenbar die gesamte Zentralbank hinter sich. Die Entscheidung über die Zinssenkung fiel im Offenmarktausschuss einstimmig. Damit haben auch die Anhänger einer strengen Geldpolitik ihre Bedenken hintangestellt. Die Gefahr einer sich verstärkenden Abwärtsspirale wird demnach als größer eingeschätzt als die des Inflationspotentials, das durch die Aktionen der Fed aufgebaut wird. Zum Teil hat sich die Notenbank mit ihrer Zinssenkung allerdings auch nur der Realität angepasst. Die Anleger fliehen zurzeit in kurzfristige amerikanische Schatzanweisungen, weshalb deren Rendite in den vergangenen Tagen oft negativ wurde.

Eine Nullzinspolitik hat unter den Notenbanken bisher nur die Bank von Japan betrieben. Es gelang ihr allerdings während der gesamten neunziger Jahre nicht, die Deflation in dem Land zu stoppen. "Die Fed hat sich entschlossen, sämtliche Kanonenkugeln gleichzeitig abzufeuern," erklärte der Wirtschaftsprofessor Alan Blinder von der Universität Princeton, ein ehemaliger Vizepräsident der Fed. William Poole, der frühere Chef der Federal Reserve Bank von St. Louis, sagte dem Fernsehsender Bloomberg TV: "Die Fed hat die Botschaft vermittelt, dass sie so lange Geld drucken wird, bis sie die Wirtschaft wieder wachsen sieht."

Als Reaktion auf die Entscheidung erlebte die New York Stock Exchange eine Kursrally. In Erwartung einer Zinssenkung hatten sich die Börsen zuvor schon weltweit erholt. In Frankfurt schloss der Dax mit einem Plus von 1,61 Prozent bei 4730 Punkten. Der Dow Jones stieg im späten Handel um 360 Punkte oder 4,2 Prozent auf 8924 Punkte. Auch der Kurs des Euro schoss um knapp drei Prozent in die Höhe und erreichte die Marke von 1,41 Dollar.

Inflation sinkt

Zuvor hatten neue Konjunkturdaten gezeigt, wie schnell sich die Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten verschlechtert. Wie das Wirtschaftsministerium in Washington mitteilte, sind im November 19 Prozent weniger neue Häuser gebaut worden als im Jahr zuvor - der stärkste Rückgang seit es eine entsprechende Statistik gibt. Die Verbraucherpreise sind im November um 1,7 Prozent gefallen, es ist der zweite Rückgang in Folge. Hauptursache ist der Absturz der Benzinpreise um fast 30 Prozent, aber auch ohne diesen Effekt ist jeder inflationäre Druck verschwunden.

Die Kern-Inflationsrate (ohne Energie und Lebensmittel) liegt bei null Prozent. Viele Ökonomen sehen diese Entwicklung mit Sorge. Sie halten immer noch eine deflationäre Spirale wie in den dreißiger Jahren für möglich. Diese Sorge dürfte auch hinter der aggressiven Geldpolitik der Notenbank stehen. In der Erklärung des Offenmarktausschusses hießt es, der inflationäre Druck in Amerika werde in den kommenden Quartalen weiter sinken.

© SZ vom 17.12.2008/vw/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: