Geldpolitik in den USA:Der Revolutionär Bernanke

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Wie später über die Geldpolitik von Fed-Chef Bernanke nach dem September 2007 geurteilt wird, ist völlig offen. Angesichts der Dramatik der Lage verdient er jedoch jede Unterstützung.

Nikolaus Piper

Vor vielen Jahren, als Ben Bernanke noch Wirtschaftsprof an der Universität Princeton war, schrieb er einmal einen recht komplizierten Aufsatz über die "Makroökonomie der Weltwirtschaftskrise". Der Aufsatz beginnt mit einem gar nicht komplizierten und sehr pathetischen Satz: "Die Große Depression zu verstehen, das ist der Heilige Gral der Makroökonomie." Diesen Satz sollte im Hinterkopf behalten, wer in diesen Tagen das Drama der internationalen Geldpolitik beobachtet.

Fed-Chef Ben Bernanke testet die Grenzen der Geldpolitik und die seines Amtes. (Foto: Foto: AP)

Ein neuer Akt in dem Drama hat am Donnerstag begonnen, als die Europäische Zentralbank die Zinsen um 0,75 Prozent senkte, so stark wie noch nie in ihrer Geschichte. Die Bank von England machte Geld so billig wie zuletzt 1939, und die amerikanische Notenbank Federal Reserve dürfte bei ihrer letzten Sitzung vor Weihnachten, vielleicht sogar noch früher, den Leitzins unter die Marke von 1,0 Prozent drücken.

Der spannendste Teil des Dramas hat aber gar nichts mit Zinsen zu tun. Ben Bernanke erweiterte in den vergangenen Monaten die Methoden der Geldpolitik auf eine zuvor unvorstellbare Weise. Die Federal Reserve rettete Banken, sie hat das Risiko für Wertpapiere in Billionenhöhe übernommen, und sie versucht, Hypotheken- und andere Zinsen für langfristige Kredite direkt zu beeinflussen.

Bernanke testet die Grenzen der Geldpolitik und seines Amtes. Seine Kritiker werfen ihm mal Machtmissbrauch vor, mal, dass er immer einen Schritt hinter der Krise zurückbleibe; seine Befürworter glauben, dass ohne Bernanke alles noch schlimmer wäre. Dass die Welt also den Punkt erreicht hätte, den der Notenbankchef um jeden Preis verhindern will: den Beginn einer großen Depression.

Nach Überzeugung Bernankes haben zwei entscheidende politische Fehler aus dem Börsenkrach von 1929 die Katastrophe der Weltwirtschaftskrise gemacht: Dass die Federal Reserve die Geldmenge schrumpfen ließ und so eine Deflation auslöste. Und dass die Regierung große Banken zusammenbrechen ließ, was zu einem allgemeinen Vertrauensverlust im Bankensektor führte. Diese Analyse geht im Kern auf den Ökonomen Milton Friedman zurück, der damit die zuvor herrschende Überzeugung aushebelte, schuld an der Weltwirtschaftskrise sei die Sparpolitik der Regierungen gewesen. Friedmans und Bernankes Sicht gilt heute als Standardlehre.

Seit September 2007 versucht der Chef der Fed, Konsequenzen aus seinen Lehren zu ziehen. Er begann mit aggressiven Zinssenkungen, zu einem Zeitpunkt, als man in Europa sich noch eher wegen der Inflation sorgte und auch in Amerika viele warnten, die Notenbank belohne mit ihrer Politik des leichten Geldes nur unverantwortliche Spekulanten an der Wall Street. Als nächsten Schritt ging er die beginnende Vertrauenskrise zwischen den Banken an, er drängte ihnen Kredite regelrecht auf - mit dem Hauptziel, dem Notenbankkredit alles Anrüchige zu nehmen. Im März brach die Fed dann das große Tabu und riskierte das Geld der Steuerzahler bei der Rettung der Investmentbank Bear Stearns.

Lesen Sie weiter, warum das normale Kreditgeschäft zusammengebrochen ist.

Die nächste Wende kam am 14. September. An diesem Sonntag lehnte Bernanke die Rettung von Lehman Brothers ab. Der Zusammenbruch von Lehman war ein kritischer Punkt für den Fed-Chef und dessen Analyse, denn seither ähnelt die Lage der Weltwirtschaft auf bedrückende Weise dem, was einst in den dreißiger Jahren John Maynard Keynes beschrieben hat.

Keynes, gegen dessen Lehre Friedman sich einst wandte, sprach von einer "Liquiditätsfalle": Gerät die Wirtschaft in so eine Falle, dann ist die Furcht vor der Zukunft so groß, dass niemand mehr investiert und Risiken aufnimmt, egal wie niedrig der Zins ist. Alle horten nur noch Geld. Genau in so einer Liquiditätsfalle befinden sich die Finanzmärkte jetzt. Das normale Kreditgeschäft ist praktisch zusammengebrochen, die Anleger fliehen in Staatspapiere und andere sichere Anlagen und akzeptieren dafür sogar negative Renditen.

Es ist eine Situation, in der, nach Keynes, die Geldpolitik wirkungslos ist und der Staat mit zusätzlicher Nachfrage auftreten muss. Das ist die - in diesem Falle sehr gute - Begründung für Konjunkturprogramme. Bemerkenswert ist nun, dass, ganz unabhängig von den Zusatzausgaben der Regierungen, Bernanke die These von der Wirkungslosigkeit der Geldpolitik nicht akzeptiert.

In der vorigen Woche teilte die Fed zum Beispiel mit, sie werde Kredite aufkaufen, die von den Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac - beide stehen unter staatlicher Zwangsverwaltung - garantiert werden. Ziel der Aktion ist es, die Hypothekenzinsen direkt zu beeinflussen, sodass die Hausfinanzierung billiger wird und mehr Käufer auf den Immobilienmarkt kommen. In einer Rede kündigte Bernanke den umfassenden Ausbau derartiger Kreditprogramme an. Es komme darauf an, die Banken zu umgehen und den Kunden direkt Liquidität zukommen zu lassen - ein Vorgang, der bis vor kurzem noch als Ungeheuerlichkeit gegolten hätte.

In ein paar Jahren werden Legionen von Wissenschaftlern die Krisenpolitik Bernankes analysieren. Sie werden ihm vermutlich in einem Punkt ein vernichtendes Zeugnis ausstellen: Er stützte viel zu lange die laxe Politik seines Vorgänger Alan Greenspan, er verschloss wie dieser die Augen vor der Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt. Wie das Urteil der Geschichte über Bernankes Geldpolitik nach dem September 2007 ausfällt, ist offen. Angesichts der Dramatik der Lage verdient er jedoch bis auf weiteres für seine Innovationen jede Unterstützung, auch die des künftigen Präsidenten Barack Obama.

© SZ vom 06./07.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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