SZ-Serie: Schatzsucher:Die Droge des Möglichen

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Auf der Suche nach Tutanchamun oder dem Nazigold: Bei der Jagd nach Schätzen und Mythen geht es Glücksjägern und Spinnern oft mehr um die Nachforschung als um das Finden.

A. Hagelüken und H. Wilhelm

Allein diese Zahl regt die Phantasie an, stärker, als mancher verkraften kann. Auf dem Grund der Weltmeere liegen drei Millionen Wracks, schätzt die UN-Kulturorganisation Unesco.

Nachgebildete Beigaben aus dem Grab des ägyptischen Herrschers Tutanchamun: Die Entdeckung der Gruft verhalf Howard Carter zu Weltruhm. Der Brite öffnete 1922 das beinahe unversehrte Grab des Tutanchamun und barg unter anderem den Sarg des ägyptischen Königs. (Foto: Foto: dpa)

Das bedeutet drei Millionen Möglichkeiten, Gold zu finden, Münzen, Edelsteine oder andere Wertsachen. Theoretisch. Lohnend ist vielleicht die Bergung jedes zehnten Wracks, glauben Fachleute. Vielleicht mehr, vielleicht viel weniger, wer soll das wissen, es sind ja alles nur Schätzungen.

Die Suche nach Schätzen findet seit Jahrhunderten in einem sagenumwobenen Reich der Schätzungen statt, im Vagen, Möglichen. Für diese Möglichkeiten lassen viele alles stehen und liegen.

Ewig auf der Suche

Sie verlassen ihre gut bezahlten Jobs als Profi-Taucher, Werber oder Vertriebsleiter, geben ihr Unternehmen auf, beseelt von einem Kindheitstraum, der Gier nach Reichtum, der Lust auf Abenteuer. Sie tauchen ins Reich der Schätzungen ab, wo sie sich nur an staubigen Büchern, fleckigen Seekarten und Geraune orientieren können. Wenige werden reich. Viele bleiben ewig auf der Suche - und arm.

Wer zählt die Unglücklichen, die ihre Ersparnisse, Ehepartner und am Ende sogar den Verstand verloren haben? So wie Georg Stein, ein niedersächsischer Apfelbauer, der sein Leben der Suche nach dem Bernsteinzimmer hingab. 1987 schleppte er sich erschöpft in einen Wald in Niederbayern. Und schlitzte sich den Bauch auf.

In 23 Folgen hat die SZ ein halbes Jahr lang die Welt der Schatzsucher dargestellt. Von den legendären Figuren wie Heinrich Schliemann (Troja) und Howard Carter (Tutanchamun) über die vergebliche Suche nach Atlantis oder dem Nazigold bis zu den Abenteurern der Gegenwart, die alte Geheimnisse mit neuester Technik entschlüsseln wollen.

Wühlen in der heimischen Erde

Was ist den Schatzsuchern gemeinsam? Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt? Oder ist das gar keine relevante Frage? Für viele scheint der größte Reichtum das Fieber der Suche zu sein, die Droge des Möglichen. "Es geht vor allem ums Suchen, nicht so sehr ums Finden", erklärt der Kunstsammler und Verleger Tete Böttger, auch er ein ewig Suchender, nach dem Bernsteinzimmer.

Mehrere zehntausend Deutsche wühlen in der heimischen Erde mit Metallsonden nach Wertvollem, einige hauptberuflich. Die Aussichten sind gut, theoretisch: Mehr als 1500 Tonnen Edelmetalle und Edelsteine ruhen allein in deutschen Böden und Gemäuern, vermuten Archäologen. Reichtümer, die Menschen über die Jahrhunderte in Panik vergruben, bevor sie vor Soldaten flohen oder ins Gefängnis gesteckt wurden.

Wer heute auf solche Schätze stößt, lässt die Komplikationen nicht hinter sich - sie beginnen erst. Er muss seinen Fund melden, sonst macht er sich strafbar. Kulturell uninteressante Wertobjekte gehören nur zur Hälfte ihm, zur Hälfte kassiert der Besitzer des Grundstücks. Und Kulturdenkmäler sind in den meisten Bundesländern sogar automatisch Eigentum des Staates. Nur: Manche Hobbygräber ignorieren das einfach. So stießen vor zehn Jahren zwei Männer auf die beinahe 4000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra, die älteste bekannte Darstellung von Sternen. Statt den Millionenfund zu melden, verkauften sie ihn unter der Hand weiter für 31.000 Mark. Der Preis: Eine Bewährungsstrafe.

Das Vorgehen solcher Hobbygräber ärgert vor allem Archäologen, weil die Schatzgierigen oft genug historische Gegenstände beschädigen. Die Himmelsscheibe von Nebra hat eine Delle, weil die Raubgräber mit einem Hammer auf das Bronzestück schlugen.

Noch wertvoller als die meisten Schätze auf Land sind Wracks auf dem Meeresgrund. Hier wird die Suche noch mehr zum Abenteuer, nicht selten auf Leben und Tod. Der Amerikaner Mel Fisher tauchte fast zwei Dekaden nach einer spanischen Galeone aus dem 17. Jahrhundert, verlor dabei in den Meerestiefen viel Geld und seinen Sohn - und entdeckte 1985 doch Gold und Edelsteine im Wert von 400 Millionen Dollar.

Die Jagd auf Wracks ist ein Rennen gegen Rivalen und die Uhr, bei der zehntausende Quadratkilometer Meeresgrund abgegrast werden. Die Arbeit mit großen Schiffen in ungeheuren Tiefen kostet an einem Tag leicht bis zu 10 000 Euro. Nicht selten vergehen Jahre, bevor die Abenteurer etwas finden. Als Investment ist die Schatzsuche mehr als riskant.

Jahre bis zur Verwertung

Wie ein Fieberdiagramm schwankt der Aktienkurs des Marktführers Marine Odyssey, eine der weltweit 100 Firmen, die sich auf Wrackjagd spezialisiert haben. Marine Odyssey lässt mehrere Mitarbeiter alte Akten und Archive rund um den Erdball durchkämmen und schickt Schiffe mit 30 Mann Besatzung los. Die Meldung eines Fundes lässt den Kurs springen, doch danach dauert es wegen Auseinandersetzungen mit Regierungen meist Jahre, bis sich der Fund verwerten lässt.

Seit Jahren streiten die Staaten in der Unesco, wem Wracks gehören: Dem Land, in dessen Gewässern der Schatz ruhte? Oder dem Land, unter dessen Flagge das Schiff einst versank? Manche Regierungen ändern binnen weniger Jahre die Regeln mehrfach, wie Nikolaus Graf von und zu Sandizell lernen musste, der unter dem plötzlichen Wechsel der Gesetze erst in Portugal und dann auf den Kapverdischen Inseln litt - und es deshalb vorzog, in seinem nächsten Suchgebiet Mozambique gleich hochrangige Politiker an seinen Erlösen zu beteiligen, um Ärger zu entgehen.

Sind Schätze ein Geschäft? Das Suchen übt den Reiz auf viele Schatzsucher aus, ihre bürgerliche Existenz zu verlassen. Galeonenfinder Mel Fisher betrieb ein gut gehendes Tauchgeschäft, bevor er sich versunkenen Schiffen verschrieb.

Wettrennen mit Rivalen

Marine-Odyssey-Gründer Greg Stemm besaß eine Werbeagentur, bevor ihn eine Barbekanntschaft auf den Cayman Islands zur Schatzsuche verführte. Und Nicki Sandizell vertrieb Druckmaschinen, bevor er sich in die Tiefe verabschiedete, ins Reich der Schätzungen und des Möglichen. Ihnen gemein ist: Wer sich länger in dem Geschäft hält, verfügt meist über beträchtlichen Charme, Geldgeber mit dem Virus der Wrackjagd zu infizieren und bei Laune zu halten.

Häufig geht es bei dem Ganzen um ein Wettrennen mit Rivalen, noch häufiger ist der potentielle Millionenfund von einem Mythos umgeben - und fast immer sind es Männer, die dieser nervösen Mischung aus Konkurrenz und Kult erliegen. Für "Schatzsucher" listet die Suchmaschine Google fast 190.000 Einträge, für das weibliche Pendant weniger als ein Zehntel davon.

Viele verlieben sich in den Mythos des Schatzes und schöpfen daraus endlose Energie. Heinrich Schliemann las im 19. Jahrhundert als kleiner Junge Homers Epos vom Kampf um Troja und wollte die antike Stadt finden, um jeden Preis. Er hob kiloweise reines Gold, behängte seine Frau mit dem "Schatz des Priamos", löste damit bei den Deutschen Altertumsfieber aus - und entdeckte in Wahrheit eine Stadt, die tausend Jahre älter ist als Troja.

Jahrelanges Geraune

1500 Tonnen Edelmetalle allein in deutschen Böden, drei Millionen Wracks auf dem Meeresgrund: Schatzsuche ist unendlich. Nach einem Fund wartet immer schon der nächste, auf den staubige Bücher weisen.

Zwischen Indonesien und Malaysia soll im Jahr 1512 die portugiesische Flor de la Mar versunken sein, nach einem Beutezug beladen mit Gold und Edelsteinen. Angeblich ist die Ladung acht Milliarden Euro wert, das wäre der größte Schatz der Welt, in der Szene raunt man seit Jahren davon. Nur weiß niemand, wo genau der Schatz liegt. Eine solche Suche ist Wahnsinn. Bestimmt werden sich trotzdem bald Menschen aufmachen, ihr Glück zu versuchen. Vermutlich werden sie nichts finden. Doch wer weiß? Im Reich der Schätzungen ist alles möglich.

Mit dieser Folge endet die Serie.

© SZ vom 02.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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