SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt:Oh, wie kalt ist Afrika

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Wer in Kapstadt wohnt, erlebt die kollektive Verdrängung: Alle tun so, als gäbe es hier keinen Winter. Heizungen? Fehlanzeige.

Von Tobias Zick

Wer überlegt, wegen der Arbeit oder wegen des Dreiklangs "Wärme, Wein, Wellen" nach Kapstadt zu ziehen, der sollte sich innerlich auf eines einstellen: Es geht manchmal sonderlich zu. Es wird der Moment kommen, an dem man sich darüber wundert, dass die im Voraus bezahlten Einheiten auf dem Stromzähler schon wieder fast verbraucht sind, obwohl man sie gerade erst an der Supermarktkasse nachgeladen hat. Oder man steht an der Tankstelle, und trägt seine Handynummer in eine schon ziemlich lange Liste ein, um an Gas in Flaschen zu kommen, im Vertrauen darauf, dass sich die Kassiererin per SMS meldet, sobald wieder welches vorrätig ist - was gewiss "im Laufe der nächsten Tage" der Fall sein werde.

Strom ist teuer und Gas in Flaschen ist derart knapp, dass man von einem kollektiven Verdrängungssyndrom ausgehen muss: Es konnte ja keiner absehen, dass schon wieder Juli ist.

Ja, dies ist Afrika, und nein, hier ist nicht ständig Sommer. Dies ist der südlichste Zipfel von Afrika, und wenn man von hier aus per Schiff geradewegs gen Süden in See stechen würde, wäre die nächste feste Masse, auf die man trifft, das Eis der Antarktis. Eine halbe Stunde Autofahrt von Kapstadt entfernt leben Pinguine, die Kitesurfer tragen selbst im Hochsommer, also im Januar, Neoprenanzüge. Im Juli wird es um Viertel vor sechs dunkel, und nachts sinken die Temperaturen schon mal auf fünf Grad Celsius. Draußen, wohlgemerkt. Drinnen vielleicht so auf sieben, acht.

Das kollektive Verdrängungssyndrom hat hier auch nahezu alle Architekten aller Epochen befallen, weshalb man sich als Mieter in Kapstadt irgendwann die Frage stellen muss: Wie überstehe ich den Winter in einem Haus ohne Heizung? Drei Lagen Unterwäsche anziehen, einen Stapel Wolldecken über den Kopf ziehen und mehrere Wochen lang tapfer husten und fluchen, wie es viele Einheimische tun? Die Wände mit diesen elektrischen Heizplatten pflastern, die als extra stromsparend beworben werden und tatsächlich weder zur globalen Erwärmung noch zur Erwärmung der Raumluft nennenswert beitragen? Eine Armada dieser wirksameren, aber fantastisch stromfressenden Ölradiatoren kaufen und alle paar Tage an der Supermarktkasse Kilowattstunden nachladen? Oder dann doch einen dieser rollbaren Gasöfen anschaffen, die mit einer Neun-Kilo-Propanflasche von der Tankstelle befeuert werden und einen allabendlich auf der Couch mit dem wärmenden Schauer erfüllen, dass einem das Ding jeden Moment um die Ohren fliegen kann? Es ist der Aspekt, den wohnungssuchende Ausländer in Kapstadt am häufigsten unterschätzen: das Wetter. Vorab schadet es nicht, sich zunächst ganz grundsätzlich in Erinnerung zu rufen, wie ein portugiesischer Seefahrer namens Bartolomeu Diaz schon im 15. Jahrhundert dieses südwestlichen Ende Afrikas nannte: "Kap der Stürme". Die herzzerreißende Lage der Stadt zwischen Bergen und Meer bringt es mit sich, dass in jedem Viertel andere Windgesetze herrschen. Erste Faustregel, grob vereinfacht: Je mehr Aussicht, desto mehr Wind. Sich hier für eine Wohnung oder ein Haus zu entscheiden, bedeutet folglich, Kompromisse zu machen.

Kapstadt liegt am südlichsten Zipfel Afrikas, aber wer daraus schließt, hier wäre es immer schön warm, liegt falsch. Nachts sinken die Temperaturen schon mal auf fünf Grad Celsius. In den Wohnungen sind es dann sieben oder acht. (Foto: Getty Images)

Weil in den vergangenen paar Jahren der Verkehr auf Kapstadts Straßen derart zugenommen hat, dass Berufspendler wichtige Teile ihrer Lebenszeit im Stau verschwenden, sollen sich die Betrachtungen hier auf die einigermaßen innenstadtnahen Gebiete konzentrieren - wo obendrein die Sicherheitslage im Allgemeinen so ist, dass man mit einer der üblichen Alarmanlagen und ein paar Gittern vor den Fenstern hinreichend ruhig schlafen kann. Da wäre also die sogenannte "City Bowl", die von einem Gebirgshalbrund eingefasste "Schüssel" rund um das Geschäftszentrum, die für sich genommen ein eher angenehm überschaubares Großstädtchen bildet. An den Hängen von Tafelberg, Devil's Peak, Lion's Head und Signal Hill sind verschiedene Stadtviertel hinaufgewachsen, die auf den ersten Blick alle eines gemeinsam haben: Je weiter oben, desto spektakulärer die Aussicht. Die Unterschiede spürt man dagegen erst, wenn man ein bisschen Zeit in den verschiedenen Gegenden verbracht hat.

Einen Trost gibt es: Für deutsche Verhältnisse sind die zugigen Wohnungen relativ günstig

Dann nämlich, wenn der Wind kommt, und er kommt sehr oft in Kapstadt. Meistens ist es der "South Easter", der aus Südost über den Tafelberg fegende Wind, der auf seinen letzten Metern den Hang hinab Richtung Innenstadt noch an Fahrt gewinnt. Manche nennen ihn auch den "Kap-Doktor", weil er Abgase und Krankheitskeime stetig aufs offene Meer hinausbläst. Die Nebenwirkungen: Je nach Wohnlage pfeift es mitunter tage- bis wochenlang, und zwar wirklich ununterbrochen, durch alle Ritzen des in der Regel an Ritzen nicht armen Gebäudes. Beim Versuch, sich auf der Terrasse oder im Garten im "Braai", dem südafrikanischen Alltagssport des Fleisch-Grillens, zu üben, fliegt einem stoßweise die Glut um die Ohren. Der Spaziergang mit der Familie fällt aus, weil man befürchten muss, dass es einem die Kinder ins Meer weht. All das kann dazu führen, dass man sich in seiner Freizeit, trotz penetrant blauem Himmel, hinter geschlossenen Fenstern verschanzt - oder ins Auto steigt, um zum Spazierengehen in eine windgeschütztere Gegend zu fahren.

Auch wenn, vom Meer aus betrachtet, die Stadtviertel an den Hängen der "City Bowl" alle ähnlich aussehen: In Vredehoek, ganz im Osten, sind die Mieten vor allem deshalb eher günstig, weil hier der Wind am erbarmungslosesten pustet - bei zugleich unschlagbarer Aussicht über die Innenstadt, über das inzwischen nutzlose WM-Stadion von 2010, das schäumende Meer, die ehemalige Gefängnisinsel Robben Island. Tastet man sich entlang des Schüsselrands weiter westlich, über Oranjezicht Richtung Tamboerskloof, das wegen der großen Deutschen-Dichte auch "Sauerkraut Hill" genannt wird, wird es immer windstiller und zugleich teurer - allerdings tendenziell auch regnerischer, weil der South Easter hier dazu neigt, am Berghang Wolken aufzustauen. Dann wird er zum "Black South Easter", was ausnahmsweise kein Verweis auf die noch immer sehr gegenwärtige Spaltung der Gesellschaft nach Hautfarben ist, sondern schlicht die Verdunklung des Himmels beschreibt.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Wer Wind grundsätzlich nicht ausstehen kann und trotzdem gewichtige Gründe dafür hat, in Kapstadt zu leben, der schaut sich bevorzugt im "Atlantic Seaboard" um, einem schmalen Streifen dicht bebauter Stadtteile entlang der Küste, jenseits der Bergkette und dadurch verlässlich vor dem South Easter geschützt. Sehr urban, dicht besiedelt und zunehmend beliebt, deshalb auch immer teurer - in der Gegend sind die Mietpreise allein in den vergangenen anderthalb Jahren um zwanzig Prozent gestiegen.

Überhaupt sind die Wohnungspreise in Kapstadt in den vergangenen Jahren im landesweiten Vergleich deutlich nach oben geklettert - auch weil immer mehr Südafrikaner, die in der Wirtschaftsmetropole Johannesburg arbeiten, des dortigen Verkehrs überdrüssig sind und den Lebensmittelpunkt ihrer Familien hierher, in diese vergleichsweise entspannte Stadt am Meer, verlegen. Regelmäßiges Wochenend-Pendeln per Flugzeug inklusive.

Andererseits hat die Landeswährung, der südafrikanische Rand, zuletzt stetig an Wert verloren, wodurch aus Sicht von Euro-Ausländern die steigenden Immobilienpreise großenteils schon wieder wettgemacht sind. Und wer in jüngster Zeit mal eine Immobiliensuche in München oder Hamburg erlebt hat, wird den Wohnungsmarkt am Kap als recht entspannte Erfahrung wahrnehmen. Man hat immer noch so etwas wie eine Auswahl.

Margit Papst, eine aus Österreich stammende Maklerin, die seit zwei Jahrzehnten Häuser und Wohnungen in Kapstadt an Ausländer vermittelt (und dafür, wie in Südafrika üblich, vom Vermieter bezahlt wird), hat beispielsweise momentan eine hübsche Wohnung in der City Bowl im Angebot, Art-déco-Bau, frisch renoviert, kleiner Balkon, mittelgute Aussicht, dafür windgeschützte Lage, 93 Quadratmeter. 15 000 Rand Monatsmiete will der Eigentümer dafür haben, etwa 890 Euro, aber es findet sich seit Wochen niemand, der so viel zu zahlen bereit ist. Deshalb hat er die Miete jetzt auf 13 000 Rand gesenkt, 770 Euro. "Ich denke, dafür sollte sich doch jemand finden lassen", sagt Margit Papst. Für eine Wohnung, wie sie in München nur noch in der Fantasie (und selbst dort immer noch zum doppelten Preis) zu haben wäre.

Menschenschlangen, die sich zur Massenbesichtigung durch Wohnungen wälzen; Verzweifelte, die vor dem Makler ihre Würde in den Staub werfen, in der Hoffnung, als Mieter auserwählt zu werden: Solche Szenen sieht Margit Papst seit einiger Zeit immer öfter - im deutschen Fernsehen, das sie hier per Satellit empfängt. "Bei Ihnen in Europa", sagt sie, "geht es ja inzwischen reichlich wüst zu."

Die SZ berichtete in dieser Serie über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Erschienen sind: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6. 11.), Sydney (13. 11.), London (20. 11.), Tokio (27. 11.), Wien (11. 12.), Goma (2./3. 1.), Tel Aviv (8. 1.), Paris (15. 1.), Brüssel (22. 1.), New York (29. 1.), Vancouver (5. 2.), Zürich (12. 2.), Rom (26. 2.), Moskau (4. 3.), Stockholm (1. 4.), Istanbul (6. 5.), Los Angeles (20. 5.), Warschau (17. 6.) und Singapur (15. 7.). Ende der Serie

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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