Stimmgewichte bei der Weltbank:China überholt Deutschland

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Mehr Einfluss für die Schwellenländer: Mit einem historischen Einschnitt verschiebt sich die Macht bei der Weltbank. Die großen Verlierer sind die Europäer.

Nikolaus Piper

Tektonische Verschiebungen messen sich manchmal in winzigen Beträgen. Zum Beispiel am Sonntag bei der Weltbank in Washington. Der Entwicklungsausschuss, das entscheidende Leitungsgremium der multilateralen Organisation, beschloss die Stimmgewichte unter den 186 Mitgliedsstaaten neu zu ordnen. Danach wird sich der Anteil der Volksrepublik China von 2,78 auf 4,42 Prozent erhöhen, der Deutschlands wird von 4,48 auf 4,40 Prozent sinken. Damit löst China die Bundesrepublik offiziell in ihrer bisherigen Rolle als drittstärkste Volkswirtschaft der Erde ab. Die Nummer eins und zwei bei der Weltbank, die Vereinigten Staaten und Japan, bleiben auf ihren Positionen.

Gruppenfoto bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank: Die großen Verlierer sind die Europäer. (Foto: Foto: dpa)

Politisch brisant

Es ist ein historischer Einschnitt. Jahrzehntelang hatten Kritiker der Weltbank verlangt, dass Entwicklungs- und Schwellenländer im Vergleich zu den Industrieländern mehr Einfluss bekommen sollten. Jetzt ist es soweit, aber nicht weil Nordamerika, Europa und Japan sich selbst beschieden hätten, sondern weil die frühere Dritte Welt gegenüber der früheren Ersten Welt so schnell aufgeholt hat. Dabei stammen die Daten für die neue Stimmengewichtung aus dem Jahr 2008. Die Finanzgewichte, die die Industrieländer ungleich stärker getroffen hat als die Schwellenländer, ist also noch gar nicht berechnet.

Die Formel selbst ist so kompliziert, dass selbst Experten der Weltbank Mühe haben, sie Außenstehenden zu erklären. Ihr zugrunde liegt das in Dollar gemessene Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes; die Zahl wird aber modifiziert gemäß der Binnenkaufkraft, die in Ländern mit schwacher Währung naturgemäß höher ist, als der Dollarbetrag dies ausdrücken kann. Am Ende der Rechnung steht eine Prozentzahl, die den Kapitalanteil des Landes an der Weltbank und damit die Stimmrechte angibt.

Die politische Brisanz der Verschiebung wird noch deutlicher, wenn man die Zahlen genauer ansieht. In der Öffentlichkeit heißt es immer, die Industrieländer seien bei der Weltbank bisher über- und die Schwellenländer unterrepräsentiert gewesen. Diese Aussage stimmt aber nicht genau. Tatsächlich entspricht der Anteil der Vereinigten Staaten weitgehend ihrem wirklichen Gewicht in der Weltwirtschaft. Sie haben sogar freiwillig auf ein paar Zehntelprozentpunkte verzichtet, werden aber mit 15,58 Prozent ihre Sperrminorität behalten.

Europäer unterrepräsentiert

Die großen Verlierer sind die Europäer, eine klare Konsequenz aus dem sinkenden ökonomischen Gewicht des alten Kontinents in der Welt. Heikel ist dies vor allem für Frankreich und Großbritannien, die nach Deutschland gemeinsam auf dem fünften Platz folgen. Die beiden Gründungsmitglieder der Weltbank müssen sogar damit rechnen, eines Tages ihren eigenen Exekutivdirektor (Aufsichtsrat) zu verlieren. Es ist auch nicht so, dass die Schwellenländer insgesamt gewinnen.

Der Zuwachs von Brasilien, Indien und Mexiko ist minimal, die entscheidende Verschiebung betrifft ausschließlich China. Nach Meinung von Experten in der Bank hätte der Volksrepublik sogar ein Anteil von sechs Prozent zugestanden; die Regierung in Peking schöpfte ihren Spielraum jedoch nicht aus, vermutlich weil sie erst langsam in ihre neue Rolle hineinwachsen und keine zu große Verantwortung in der Entwicklungshilfe übernehmen will.

Eine ähnliche Verschiebung steht auch bei der Schwesterorganisation der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), an. Auch hier sind die Europäer weit überrepräsentiert und wissen, dass sich dies ändern muss. Sie bestehen jedoch darauf, dass eine Strukturreform im "Paket" beschlossen wird. Zu diesem Paket gehört zum Beispiel das bisher geltende ungeschriebene Gesetz, dass der Chef der Weltbank immer ein Amerikaner (derzeit Robert Zoellick), der des IWF immer ein Europäer sein muss (derzeit der Franzose Dominique Strauss-Kahn). Sie haben also eine Karte in der Hand, mit der sie pokern und vielleicht ihren Einflussverlust begrenzen können.

© SZ vom 26.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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