Steuerskandal:Deutsches Sittengemälde

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Brisante Unterlagen bringen weitere Details der Liechtenstein-Affäre ans Licht: Staatsanwälte ermitteln in 966 neuen Fällen - und zeichnen ein Sittengemälde deutscher Steuersünder.

H. Leyendecker und J. Nitschmann

In den vergangenen Wochen suchte der Rostocker Oberstaatsanwalt Peter Lückemann im Internet nach einer übersichtlichen Deutschland-Karte. Schließlich wurde der 45-jährige Strafverfolger fündig und kopierte den Plan in seinen Dienst-Computer. Dann schaute er, wo die mehr als zwanzig deutschen Generalstaatsanwaltschaften ihren Sitz haben. Er ordnete den Behörden insgesamt 966 neue Steuerstrafverfahren zu, die aber alle von anderen Staatsanwaltschaften bearbeitet werden sollen.

Tatort Liechtenstein: 966 neue Fälle beschäftigen die deutschen Staatsanwaltschaften (Foto: Foto: ddp)

Es geht wieder mal um den Verdacht der Steuerhinterziehung im großen Stil, das Anlagevermögen wird auf eine Milliarde Euro geschätzt. Wieder ist der Tatort Liechtenstein. Alle potentiellen Täter hatten Konten bei der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) in Vaduz. Die Karte ist ein Panorama der Vermögensverhältnisse in dieser Republik geworden: Die meisten Einträge finden sich im Süden, im Südwesten und entlang des Rheins. In München 220, in Stuttgart 171 und in Frankfurt 87. In Ostdeutschland hingegen ist weitgehend Ebbe.

Der neue Liechtenstein-Skandal kommt in einem Moment, da die Bochumer Staatsanwaltschaft und die Wuppertaler Steuerfahndung die Ermittlungen gegen Kunden einer zweiten liechtensteinischen Großbank, der LGT-Gruppe, mit Wucht vorantreiben. Etwa 800 Verfahren müssen bewältigt werden, darunter der Fall des Ex-Postchefs Klaus Zumwinkel, der angeklagt werden soll. Mehr als 150 Millionen Euro Steuern wurden in dem Bochumer Komplex bereits nachgezahlt. 300 Selbstanzeigen von LGT-Kunden liegen vor, 350 weitere Selbstanzeigen beziehen sich zwar auf Liechtenstein, nicht aber auf den LGT-Fall.

Unterlagen unterschiedlicher Qualität

Den LGT-Schatz hatte ein untreuer Bankangestellter dem Bundesnachrichtendienst (BND) ausgehändigt, der die Datensammlung an die Wuppertaler Steuerfahndung weiterreichte. Die Unterlagen der LLB, die mehrheitlich im Besitz des Fürstentums ist, waren ebenfalls von einem Mitarbeiter gestohlen worden; sie vagabundierten jahrelang und wurden Anfang August bei einem Prozess in Rostock gegen drei mutmaßliche Erpresser dem Vorsitzenden Richter überreicht.

Von der Qualität her unterscheiden sich die Unterlagen: Die auf DVDs abgelegten LGT-Daten umfassen Depotauszüge, Vermerke und sogar Korrespondenzen - ein Pharaonengrab. Bei den LLB-Unterlagen hingegen handelt es sich lediglich um Kopien von Kontobelegen und Adressen. Auf den LLB-Konten, die den Zeitraum 1999 bis 2003 umfassen, waren Beträge zwischen 200.000 Euro und knapp sechs Millionen Euro deponiert. Im LGT-Fall geht es auch um Summen in zweistelliger Millionenhöhe.

Steuerfahnder des Finanzamtes Ribnitz-Damgarten haben in den vergangenen Wochen mehr als 2000 Kontenbelege gesichtet und sich auch mit Spezialisten der Wuppertaler Steuerfahndung über das Vorgehen beraten. Die Rostocker gehen generell von einem Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung aus und haben dafür drei Gründe:

"Zusammenhängende Straftat"

Erstens - in Liechtenstein ist Hinterzieherei deutscher Kunden gewissermaßen systemimmanent. Zweitens - die LLB hat kürzlich den Kunden geraten, sich für den Fall der Fälle mit Beratern zusammenzusetzen. Drittens - die Bank hat den Erpressern viele Millionen gezahlt, um die gestohlenen Kontounterlagen zurückzubekommen.

Während die Bochumer Staatsanwaltschaft das LGT-Verfahren zentral führt, verteilt die Rostocker Staatsanwaltschaft alle Verfahren, weil es im eigenen Gerichtsbezirk keinen einzigen Verdächtigen gibt. Die Bochumer Ermittler, die neulich wieder in Nordfranken und im Südwesten durchsuchten und sich nächste Woche gen Norden wenden werden, verweisen bei der Frage nach der Zuständigkeit darauf, es gebe auch im eigenen Gerichtsbezirk etliche Verfahren.

Generell handele es sich um eine "zusammenhängende Straftat" mit einem Tatort im Ausland. Wegen der "Einheitlichkeit der Rechtspflege" müsse eine Zersplitterung vermieden werden, deshalb sei Bochum auch für Fälle am Bodensee zuständig. Der "staatliche Strafverfolgungsanspruch" müsse effektiv und ökonomisch durchgesetzt werden.

© SZ vom 25.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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