Neue Daten aus Liechtenstein:Plastiktüte mit Brisanz

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Im Rostocker Prozess um die Erpressung der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) sind Bankdaten von 1850 wohlhabenden Bundesbürgern aufgetaucht - die meisten Steuerflüchtlinge. Der LLB-Fall könnte größer werden als der LGT-Fall, der mit Zumwinkel begann.

Hans Leyendecker und Uwe Ritzer

Raum 201 des Rostocker Landgerichts war früher der Festsaal der örtlichen Stasi-Zentrale. Dort, wo einst die Spitzel feierten und tanzten, findet seit April der Prozess gegen drei Männer statt, die versucht haben sollen, die Liechtensteinische Landesbank (LLB) mit den Daten deutscher Kunden zu erpressen.

Der Hauptangeklagte mit seinen Anwältinnen im Landgericht Rostock beim Prozess gegen mutmaßliche Erpresser der Liechtensteinischen Landesbank LLB . (Foto: Foto:)

Als die Steuer-Feste Vaduz geknackt wurde

Das Verfahren gegen einen vierten Angeklagten wurde abgetrennt. An jedem Verhandlungstag setzt sich auch ein Advokat aus Zürich in den Zuhörerraum und macht sorgfältig Notizen. Er schreibt im Auftrag der Bank mit. Das Geldhaus in Vaduz ist schließlich für seine Akkuratesse bekannt. Für die Aufzeichnungen vom vergangenen Freitag werden sich eines Tages vielleicht liechtensteinische oder Schweizer Historiker interessieren. Ausgerechnet am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, ist möglicherweise die Steuer-Feste Vaduz geknackt worden.

Es war gegen zehn Uhr, als die Hamburger Anwältin Leonore Gottschalk-Solger mit einer prall gefüllten schwarzen Plastiktüte in der Hand zum Richtertisch schritt. Die erfahrene Juristin, Jahrgang 1936, die schon arabische Flugzeugentführer, RAF-Terroristen, große Wirtschaftskriminelle, gewöhnliche Säuremörder und schillernde Kiez-Größen verteidigte, hatte zuvor in einem Beweisantrag die Vernehmung von 1850 weiteren Zeugen gefordert.

Kontodaten von 1850 wohlhabenden Bundesbürgern

Als sie nach vorne ging, nahm sie nicht das Raunen im Saal wahr, sondern sinnierte nur darüber, "wie schwer doch Papier sein kann". Die mehr als 500 Blätter, die sie schleppte, wiegen im doppelten Wortsinn eine Menge. In der Tüte steckten Kontounterlagen, Belege, Aufzeichnungen aus Handakten und vielerlei sonstige Dokumente über geheime Konten von 1850 wohlhabenden Bundesbürgern, von denen die meisten gemeine Steuerflüchtlinge sind. Auch ihre Geheimcodes sind jetzt nicht mehr geheim. Staatsanwalt Martin Fiedler, Jahrgang 1972, geht davon aus, dass die Belege echt sind. Über den Daumen gerechnet schätzt er den dokumentierten Vermögenswert auf drei bis vier Milliarden Euro.

In ihrem Beweisantrag hatte Anwältin Gottschalk-Solger gefordert, dass die Kunden in dem Prozess Auskunft darüber geben sollten, ob ihr in Liechtenstein verstecktes Vermögen Schwarzgeld war und ob die Landesbank davon wusste. Natürlich werden nicht alle 1850 geladen werden. Das hätte nicht mal die Stasi gemacht. "GS", wie die Hamburger Juristin nach den Initialen ihres Doppelnamens genannt wird, will nur eine mildere Strafe für den von ihr und der Kollegin Astrid Denecke vertretenen Hauptbeschuldigten.

Der LLB-Fall wäre größer als der LGT-Fall

Der heißt Michael Freitag und ist kein sehr umgänglicher Zeitgenosse. Zu seinem Lebenslauf gehört die Beteiligung an zwölf Banküberfällen, die Entführung eines Kaufmannssohns, er hat auf einen Polizisten geschossen und soll auch mal einen Bordellbesitzer erschossen haben, was ihm nicht nachgewiesen werden konnte. Diesmal droht ihm Sicherungsverwahrung. Eine Tüte hergeben oder für immer weggesperrt werden - war das die letzte Alternative?

Die Übergabe in Saal 201 könnte eine Lawine lostreten, die aus Sicht der Liechtensteiner jede Aussicht auf ein schnelles Ende des geschäftsschädigenden Wirtschaftskrimis unter sich begraben würde. Seit Monaten ermitteln Bochumer Staatsanwälte und ein Großaufgebot von Steuerfahndern gegen Hunderte deutscher Steuerhinterzieher, die sich viele Jahre bei der liechtensteinischen LGT-Bank sicher gefühlt hatten. Umfangmäßig würde der LLB-Fall den LGT-Fall um ein Mehrfaches übertreffen.

Im LGT-Fall hatte der Bundesnachrichtendienst von einem Ex-Mitarbeiter der Bank für 4,6 Millionen Euro Kundendaten gekauft und an die Wuppertaler Steuerfahndung weitergereicht. Die LGT-Bank gehört der Fürstenfamilie und wird deshalb auch Fürstenbank genannt. Jetzt wird es auch für Kunden der Bank, die mehrheitlich dem Land gehört, eng. Wenn die Fürstenbank und die Landesbank Steuerhinterzieher anziehen, dann darf auch angesichts der gebotenen Unschuldsvermutung ein fragwürdiges System vermutet werden.

Volkszorn gegen das Steuerparadies

Beide Fälle könnten beachtliche politische Folgen haben. In Berlin bereitet Finanzminister Peer Steinbrück Sanktionen gegen das Fürstentum vor. Es schützt seit Jahrzehnten deutsche Steuerhinterzieher, weil Vaduz in diesen Fällen keinerlei Amtshilfe gewährt. Die Geldverwalter würden eher ein verfängliches Papier hinunterschlucken als Steuerbeamten den Namen eines Klienten zu nennen. Soviel Verschwiegenheit findet ein Teil der deutschen Elite vorbildlich, der ehrliche Steuerzahler findet ihn vermutlich eher kriminell.

Seit der frühere Deutsche-Post-Chef und LGT-Kunde Klaus Zumwinkel Mitte Februar aufflog, richtet sich der Volkszorn nicht nur gegen die Abzocker aus der Oberschicht, sondern auch gegen das Steuerparadies der Sünder. Den Offshore-Finanzplatz endlich auszutrocknen, dessen Geldhäuser in Deutschland immer noch mit Slogans wie "Liechtenstein in Ihrer Nähe" werben, könnte auch im anlaufenden Wahlkampf Punkte bringen. Liechtenstein steht für Betrug durch Leute wie Zumwinkel und für das Versagen der deutschen Elite.

Massiver Druck vom US-Senat

Wenn heute in Deutschland "die da oben" angeprangert werden, folgt das Wort Liechtenstein auf dem Fuß: "Die da oben in Liechtenstein" wäre der Sammeltitel für die Skandale unserer Tage. Fachleute schätzen, dass es in Liechtenstein 20.000 Stiftungen deutscher Steuerflüchtlinge gibt. Das Grummeln der Deutschen ist aber nichts verglichen mit dem Druck, den derzeit der amerikanische Senat macht. Er will, koste es, was es wolle, das 160,4 Quadratkilometer große Schlupfloch stopfen, dessen Bewohner so viel Wert auf Diskretion legen.

Die Geschichte, die fürs erste in Saal 201 des Rostocker Landgerichtes endete, begann im August 2000 in Vaduz, als einer der vermeintlich so treuen LLB-Angestellten eine brisante Sammlung begann. Insgesamt 2325 mal holte Roland Lampert in den folgenden zweieinhalb Jahren die Konto- und Depotverbindungen deutscher Kunden auf seinen Computer und druckte sie aus. Als Gruppenleiter in der Wertschriftenverwaltung hatte der gelernte Kaufmann auch zu anonymen Konten und vertraulichen Passwörtern ungehinderten Zugang.

18 Millionen Schweizer Franken gefordert

Lampert sammelte die Blätter in Koffern. Als er Anfang 2003 überraschend kündigte, flog alles auf. Das Entsetzen in der LLB über die Tat an sich war groß, aber auch die Verwunderung. Lampert, ausgerechnet Lampert! Dieser unauffällige, biedere Familienvater mit der Doppelhaushälfte in einem bürgerlich-braven Vaduzer Wohnviertel. Fast wäre die LLB billig davongekommen. Als Gegenleistung für die Herausgabe der brisanten Kundendaten verlangte Lampert zunächst nur die Reduzierung seiner Hypothek.

Die Landesbank spielte mit und verhandelte monatelang auf eigene Faust und ohne die Polizei einzuschalten mit dem Erpresser. Sie bot ihm unter anderem eine lebenslange Rente. Immer wieder traf sich ein LLB-Vorstandsmitglied mit Lampert, dem dabei die Sprengkraft des Materials in seinen Koffern bewusst geworden sein muss. Von Treffen zu Treffen schraubte er seine Forderungen nach oben auf zuletzt 18 Millionen Schweizer Franken.

Polizei-Aktion im Ausflugslokal

Das war selbst den großzügigen LLB-Verantwortlichen zu viel. Eine anständige Bank lässt sich schließlich nicht erpressen. Sie rief die Polizei, die Lampert am 8. Mai 2003 in einer filmreifen Aktion in einem Ausflugslokal überwältigte. 2003 wurde er wegen teils versuchter, teils vollendeter Erpressung zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Inzwischen wurden weitere sechs Jahre draufgelegt.

Im Nachhinein erwies es sich als Verhängnis, dass Liechtenstein so klein ist. Das Fürstentum verfügt nur über ein Untersuchungsgefängnis und hat keinen ordentlichen Knast. Lampert landete im österreichischen Garsten hinter Gittern, wo er offenbar mit den entsprechenden Kreisen in Kontakt kam. Die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag spekulierte neulich, Lampert habe womöglich "die brisanten Kundendaten einem aus dem Gefängnis heraus operierenden Verbrechersyndikat verkauft".

Eine Mutmaßung. Sicher ist, dass die Unterlagen irgendwie in die Hände des nunmehr in Rostock angeklagten Freitag gelangten. Der wusste mit den sensiblen Daten gleich etwas anzufangen. Er spielte Klingelmännchen für Erwachsene. Freitag besuchte mit einem Komplicen deutsche LLB-Kunden, zeigte ihnen ihre Kontoauszüge und verabschiedete sich wieder. Ihm war klar, dass die Kunden gleich bei der Bank anrufen würden. Die LLB reagierte erwartungsgemäß und hochprofessionell.

Ein Züricher Anwalt traf sich im Auftrag der Bank in Hamburg mit einem Vertreter der Wirtschaftsdetektei Espo, die auch ehemalige Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) beschäftigt. Profis eben. Im Juni 2005 kamen zwei der Detektive in Lübeck mit Freitag zusammen, den sie, wenn sie unter sich waren, nur "Glatze" nannten. "Glatze" Freitag war begeistert. Die kapierten, wie es laufen musste. Natürlich habe er alle Unterlagen und natürlich sei er auch zu vielem Bösen bereit. Ein guter Anwalt habe neulich mal einen Bremer Finanzbeamten gefragt, ob der an solchem Material interessiert sei: "Brennend".

Ware gegen Geld

Also beschloss die LLB, das Geschäft nach den Regeln des Kapitalismus zu regeln: Ware gegen Geld. In insgesamt drei Tranchen sollten 13 Millionen Euro an Freitag gezahlt und gegen alle Kundendaten getauscht werden. 7,5 Millionen Schweizer Franken betrug die erste, vier Millionen Euro die zweite Tranche. Zwei Drittel der Daten wurden übergeben. Der letzte Teil des Geschäfts sollte im Sommer 2009 abgewickelt werden. Die Bank wusste, dass mit Freitag nicht zu spaßen war. Bei einer Zeugenvernehmung sagte später ein LLB-Geldmanager, es sei wichtig gewesen, "dass eine endgültige Regelung gefunden wurde". Auch Lampert sollte einen Teil der Zahlungen erhalten.

Die Erpressung wäre vermutlich geräuschlos abgelaufen, wenn Freitag seinen Part auch professionell zu Ende gebracht hätte. Eigentlich wollte er das erpresste Geld nach Liechtenstein schaffen. Aber weil ein Vaduzer Treuhänder zu viel Honorar verlangte, war ihm das zu teuer. Er schaltete seine Mutter ein. Die ging mit einem Anwalt, gegen den seither in Rostock ermittelt wird, zur dortigen Filiale der Commerzbank, um knapp 1,4 Millionen Euro auf ein Konto einzuzahlen. Einfach so. Das Geld sollte später an Sohn Michael, der im thailändischen Phuket in Saus und Braus lebte, überwiesen werden. Da hätte die Mutter auch gleich eine Selbstanzeige wegen Geldwäsche machen können. Die Bank rief die Polizei, "Glatze" kam nach Deutschland und wurde festgenommen.

Poker um die Unterlagen

Eher zufällig stießen die Ermittler auf Freitags E-Mail-Verkehr mit Liechtenstein. Da erst dämmerte ihnen, welches Geschäft da gelaufen war. Daraus wurde dann der Fall schwerer "gewerbs- und bandenmäßiger Erpressung", der seit mehr als zwanzig Sitzungstagen in Saal 201 verhandelt wird. Schon vor dem ersten Verhandlungstag begann ein neuer Poker um die Unterlagen.

Freitag beteuerte zwar, keine Kontrolle mehr über die Belege zu haben, doch konnte man ihm glauben? Strafverfolger Fiedler war skeptisch. Eine der beiden Anwältinnen Freitags sprach bei Axel Nawrath vor, der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ist. Wenn ihr Mandant eine geringere Strafe erhalte, könne die deutsche Steuerverwaltung möglicherweise die Datensätze erhalten, sagte sie. Nawrath erklärte sich für nicht zuständig. Im März telefonierte eine der Anwältinnen mit dem stellvertretenden Chef der Bochumer Staatsanwaltschaft, Hans-Ulrich Krück, dessen Behörde das Verfahren gegen die Kunden der Fürstenbank LGT betreibt. Auch der winkte ab. Seine Behörde habe auf den Rostocker Fall keinen Einfluss.

Freitag wurde leicht nervös. Schriftlich forderte er einen ihm bekannten Anwalt auf, die Unterlagen seinen Verteidigerinnen zu übergeben. Und wie der Zufall in diesem Krimi so spielt - am 20. Mai 2008 tauchte das Konvolut auf. Nicht bei Freitag, sondern bei der LLB in Vaduz. Das letzte Drittel. Die Bankiers waren hochzufrieden. Ob sie wieder gezahlt haben, wollen sie nicht sagen. Auch der freundliche Absender fällt unter das Bankgeheimnis. Ein LLB-Sprecher sagte nur, die Unterlagen seien von unbeteiligten Dritten übergeben worden.

Wie dann doch Freitags Anwältinnen an das gesamte Material kamen, wollen sie nicht verraten. Anwaltsgeheimnis. In einschlägigen Kreisen geistert die Theorie, ein österreichischer Kumpel, mit dem Freitag in Frankreich mal in Auslieferungshaft saß, sei behilflich gewesen. An diesem Montag wollen sich Staatsanwaltschaft und Steuerfahnder in Rostock zusammensetzen und beraten, wie der Fall angepackt werden soll. Zunächst sollen die Unterlagen auf Echtheit geprüft werden.

LLB-Kunden aus Süddeutschland

Die überreichten Kopien, von denen wiederum Abzüge gemacht wurden, werden zudem beim Landeskriminalamt kriminaltechnisch untersucht. Wer hatte die Ware in der Hand? Der Lieferant habe "alles mögliche zusammenkopiert", sagt ein Ermittler. Dann werden bei einzelnen Finanzämtern sogenannte Verprobungen gemacht. Wenn die Unterlagen echt sind, woran wenig Zweifel bestehen, soll die Rostocker Steuerfahndung das Material sichten und dann an die jeweils zuständigen Kollegen im Bundesgebiet weiterreichen, heißt es. Anders als im Bochumer Fall der LGT-Bank soll es kein zentral geführtes Verfahren geben. Viele der LLB-Kunden, darunter auffällig viele Mediziner, stammen aus Süddeutschland und dem Rheinland.

Anwältin Gottschalk-Solger hat die Unterlagen natürlich schon einmal gesichtet, Sie war ein bisschen sorgenvoll, ob Mandanten oder Bekannte heimlich nach Liechtenstein stiften gegangen waren. Was hätte sie dann gemacht? Hätte sie die Freunde gewarnt und wie hätte sie sich bei Klienten verhalten sollen? Gottseidank, es war keiner drunter. Sie hat ehrliche Freunde.

© SZ vom 04.08.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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