Serie: Auf Wohnungssuche:Leben mit Schwester und Schwager

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In Warschau sind viele Unterkünfte klein, veraltet und beherbergen oft mehrere Generationen. Das liegt vor allem an den hohen Kosten.

Von Florian Hassel

Die Eigentumswohnungen der Wohnanlage "Residenz Mokotów" sind keine Schnäppchen. Ein Quadratmeterpreis von durchschnittlich 15 000 Złoty, umgerechnet gut 3400 Euro, ist schon ein Wort - erst recht in einem Land, in dem der Durchschnittspole umgerechnet nur rund 1000 Euro nach Hause trägt. Doch von 144 Wohnungen hat der Investor Dom Development bereits 128 verkauft. "Die Kunden kamen, sahen und kauften", sagt ein Mitarbeiter. Der Vorteil der brandneuen Wohnanlage: Sie liegt in Wierzbno, einem lebendigen Warschauer Stadtteil mit vielen Geschäften und Restaurants, Parks und Sportanlagen. Vom Zentrum der polnischen Hauptstadt mit seinem Wahrzeichen, dem 237 Meter hohen Kulturpalast im Stil der Stalin-Zeit, ist die Residenz Mokotów, direkt neben einer U-Bahn-Station gebaut, nur zehn staufreie Fahrminuten entfernt - für Wohnungsinteressenten im staugeplagten Warschau ein immer wichtiger werdender Aspekt.

Polen, dessen Wirtschaft als einziges EU-Land seit mehr als einem Jahrzehnt jedes Jahr wächst, boomt und baut: Einkaufszentren und Lagerräume, Bürogebäude, Einfamilienhäuser, Wohnanlagen für Käufer und Mieter. "Sie bauen wie die Wahnsinnigen", stellte die Wirtschaftszeitung Rzeczpospolita fest. Am meisten baut Warschau, Polens Hauptstadt mit 1,75 Millionen Einwohnern. Auf den ersten Blick erstaunt der Boom. Schließlich wohnen nur 16 Prozent der 38 Millionen Polen zur Miete - in Deutschland sind es 47 Prozent. Doch die Statistik verzerrt. Gewiss, schon zu kommunistischen Zeiten sicherten sich ab Anfang der 60er-Jahre viele Polen durch die Beteiligung an einer Genossenschaft eine eigene Wohnung. Und nach Ende des Kommunismus übernahmen Millionen Polen ihre Wohnung für vergleichsweise wenig Geld aus Staatsbesitz. Doch viele Häuser und Wohnungen sind klein, veraltet oder beides - und beherbergen oft mehrere Generationen: Eine Familie, in der ein Ehepaar die Zweizimmerwohnung mit Großvater oder -mutter teilt, dazu mit der frisch verheirateten Tochter samt Mann und erstem Kind, ist in Polen nicht selten.

Gerade junge Polen zieht es vom Land in die attraktiven Städte. Doch finden sie nicht leicht einen gut bezahlten Job, der ihnen Aus- und Umzug in die eigenen vier Wände erlaubt. Ein junges Paar, bei dem ein Partner 1000 Euro verdient, der andere vielleicht gut 550 Euro, gehört schon zu den Privilegierten - kann sich aber trotzdem erst mal nur eine 35-Quadratmeter-Wohnung am Stadtrand von Warschau leisten, für 350 bis 400 Euro Miete. Doch im Stadtzentrum kosten Wohnungen für Zuziehende deutlich mehr. Dem Vergleich "Preise und Löhne 2015" der Schweizer Bank UBS zufolge ist Wohnen in Polens Hauptstadt für ihre Bewohner, gemessen an ihrem Einkommen, doppelt so teuer wie etwa für die Berliner. Für junge Familien immerhin subventioniert die Regierung einige Tausend Wohnungsmieten.

Glückliche Warschauer haben ihre Wohnung geerbt und tauschen und kaufen sich weiter nach oben, typischerweise bis zur Dreizimmerwohnung von 70 Quadratmetern, der mit Abstand beliebtesten Wohnungsgröße. Dafür zahlen sie durchschnittlich 1700 Euro pro Quadratmeter, meist auf Kredit. Nach oben sind die Grenzen offen, etwa in manchen neuen Wolkenkratzern im Stadtzentrum. Oder im vornehmen Villenvorort Konstancin.

Zu kommunistischer Zeit waren Wohnblöcke genormt. Ein Vierteljahrhundert Kapitalismus später sind neue Wohnanlagen in Warschau moderner, aber architektonisch ebenfalls nicht sehr abwechslungsreich. Das Design der Residenz Mokotów, mit viel Glas, Metall und Sandstein und einem begrünten Innenhof, wiederholt sich so oder ähnlich in etlichen anderen neuen Wohnanlagen Warschaus, einschließlich Tiefgarage, Rund-um-die-Uhr-Concierges und Überwachungskameras - Ausdruck eines gestiegenen Abgrenzungs- und Sicherheitsbedürfnisses, nachdem vor allem im frühen polnischen Kapitalismus der 90er-Jahre Wohnungseinbrüche und Carnapping für Schlagzeilen sorgten.

Etliche Internet-Angebote gibt es in der Realität gar nicht oder sind längst vergeben

Ob Mieter oder Käufer: Wer in Warschau etwas sucht, hat im Internet scheinbar die Qual der Wahl. Allerdings wird die Freude über das Angebot oft schnell getrübt: Etliche Wohnungen oder Häuser gibt es in der Realität gar nicht oder sie sind längst vergeben. Die Anzeigen dienen vielen der erbittert konkurrierenden Makler nur als Lockvogelangebote. Gezeigt werden dann andere Wohnungen - oft enttäuschend unattraktiv. Wer mit Sack und Pack umziehen will, sortiert zahlreiche Wohnungen schon deshalb aus, weil sie ohne Keller vermietet werden oder nur mit Möbeln oder gewöhnungsbedürftigem Ostblock-Design.

Seriöse Makler bekommen Kunden oft durch Empfehlung. Marek Skrzydelski etwa vermittelt seit zwei Jahrzehnten Häuser und Wohnungen an amerikanische oder deutsche Geschäftsleute oder Diplomaten. Die wollen in der Regel in immer die gleichen Stadtteile: nach Mokotów und Wierzbno, ins familienfreundliche Wilanów oder ins Stadtzentrum mit Botschaften und Ministerien. Im Stadtviertel Solec, nahe der Weichsel, zeigt Skrzydelski einem Interessenten eine 100-Quadratmeter-Wohnung mit Blick auf einen idyllischen Park. Wie das gesamte Zentrum Warschaus hat auch Solec im Zweiten Weltkrieg Tod und Zerstörung durch Wehrmacht und SS erlebt. Auf dem Parkgelände etwa standen früher Häuser und Handwerksbetriebe, die im Warschauer Aufstand 1944 dem Erdboden gleichgemacht wurden.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Makler Skrzydelski arbeitet im Auftrag eines Warschauer Geschäftsmanns, der die Wohnung mal als Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft gekauft hat und jetzt an Ausländer vermietet. 1800 Euro Monatsmiete sollen es für die drei sonnendurchfluteten Zimmer mit Parkblick sein. Aber das ist in Warschau meist nur ein erstes Angebot, auf das man nicht eingehen sollte. Bei einer teuren Wohnung wie dieser lässt sich der Vermieter in Warschau meist herunterhandeln; gerade von Mietern, die sich wie viele Polen nicht nur für ein Jahr festlegen wollen, sondern gleich für mehrere Jahre.

Vermittelt Skrzydelski einen neuen Mieter, zahlt ihm der Vermieter eine Monatsmiete Provision - und der Mieter eine zweite Monatsmiete. Freilich schrumpft das lukrative Geschäft mit zahlungskräftigen Ausländern: Durch härtere Konkurrenz, und weil zuziehende westliche Manager in Warschau heute oft durch gut ausgebildete junge Polen ersetzt werden.

Viele Ausländer kommen dennoch gern nach Warschau: als Finanziers von Bürogebäuden oder Einkaufszentren oder als Käufer von Wohnungen oder Häusern, angelockt von Polens vorerst ungebrochenem Konsum- und Wirtschaftsboom und, angesichts niedriger Zinsen für Anleihen, getrieben vom Mangel an anderen Anlagemöglichkeiten. Ein Londoner Banker hatte zum Beispiel klare Wünsche: ein Haus im Zentrum Warschaus, Altbau, mit Charakter und Geschichte. Makler Skrzydelski fand eines von 1926, gebaut von hohen Offizieren des damals erst wenige Jahre wieder unabhängigen Polen. Kaufpreis: gut vier Millionen Złoty, knapp eine Million Euro. Ist der Kauf abgeschlossen, will der Banker das Haus vermieten. Wer kauft, zahlt einem Makler je nach Verhandlung 1,5 bis drei Prozent des Kaufpreises.

Ein Ende des Booms ist in Warschau nicht in Sicht, jedenfalls nicht, solange Polens Wirtschaft weiterwächst. Sollte aber die Wirtschaft in Deutschland ins Straucheln kommen - wichtigster Handelspartner Polens und allein über Zulieferbetriebe für die Autoindustrie Arbeitgeber für Hunderttausende - könnte das Warschaus großteils auf Pump finanzierten Bau- und Immobilienboom bremsen oder gar jäh stoppen. Erste Warnzeichen gibt es: Die Rzeczpospolita berichtete etwa über leer stehende Logistik- und Einkaufszentren in der Provinz. Und Polens Nationalbank sieht ein Viertel der Kredite, die Unternehmen für den Wohnungsbau aufgenommen haben, als potenziell gefährdet an.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher sind erschienen: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6. 11.), Sydney (13. 11.), London (20. 11.), Tokio (27. 11.), Wien (11. 12.), Goma (2./3. 1.), Tel Aviv (8. 1.), Paris (15.1.), Brüssel (22. 1.), New York (29. 1.), Vancouver (5. 2.), Zürich (12. 2.), Rom (26. 2.), Moskau (4. 3.), Stockholm (1. 4.), Istanbul (6. 5.) und Los Angeles (20. 5.)

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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