Reden wir über Geld: Eppler:"Ich kann kein Brot wegwerfen"

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Erhard Eppler über seine Erlebnisse während der Weltwirtschaftskrisen 1929 sowie 2009 und darüber, warum er so viel vom Schweizer Franken hält.

Von Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Im Jahr 2009 sprach die SZ mit Erhard Eppler unter anderem über seine Erfahrungen mit Not und Hunger:

Erhard Eppler: "Was würdest du machen, wenn du auch von Haus zu Haus betteln gehen müsstest?" (Foto: Foto: AP)

Erhard Eppler, 82, reist zum Interview aus seiner Heimat Schwäbisch Hall an. Der SPD-Veteran ist viel unterwegs in letzter Zeit. Aber er ist ja auch der Junior der "AG 80 plus". Dazu gehören, so sagt er, neben ihm auch noch Egon Bahr, 87, und Hans-Jochen Vogel, 83. Letzteren will er anschließend im Altenheim besuchen. Also, auf geht's.

SZ: Herr Eppler, reden wir über Geld. Sie erleben schon die zweite Weltwirtschaftskrise. Welche Erinnerung haben Sie an die erste große Krise 1929?

Erhard Eppler: Mindestens ein Dutzend Bettler klopften pro Tag an unsere Haustür in Schwäbisch Hall. Meine Mutter hat denen Fünf- und Zehn-Pfennig-Stücke gegeben, was damals viel Geld war, Anfang der dreißiger Jahre. Geld war unglaublich knapp und wichtig. Aber auch kaufkräftig. Ich habe damals, als ich in die Schule kam, für vier Pfennige eine Brezel bekommen. Der Pfennig war etwas wert - das hat sich bei mir eingeprägt.

Sie waren damals ein kleines Kind. Haben Sie die Geldknappheit auch in Ihrer Familie gespürt?

Ja. Wir waren damals sechs Kinder, später sieben. Mein Vater war ein sparsamer Schwabe. Es war nicht leicht, er wollte sich ja auch noch ein Haus ersparen - ohne jedes Vermögen.

Haben Sie die Bettler vor Ihrer Tür als beängstigend empfunden?

Ich hatte schon das Gefühl, das dürfte es nicht geben. Eigentlich müssten die was zum Arbeiten haben. Und die Allermeisten wollten das ja auch. Manche kamen und fragten: Haben Sie etwas für mich zu tun? Gibt es Holz zu hacken oder den Garten umzugraben?

Haben Sie diese Not verstanden?

Eppler: Ich hab mich sogar in die Leute hineinversetzt: Was würdest du machen, wenn du auch von Haus zu Haus betteln gehen müsstest? Ich war froh, dass ich es nicht musste. Aber ein Kind mit fünf, sechs Jahren produziert daraus keine Theorien. Ich hatte einfach Mitleid.

Was würden Sie sagen: Hat Sie die Zeit der Krise nach 1929 geprägt?

Nicht so sehr. Viel mehr geprägt hat mich die Knappheit im Zweiten Weltkrieg.

Erzählen Sie.

Ich hab einen Sold bekommen, war nicht viel, ich war nur einfacher Soldat, am Schluss dann Gefreiter. Wenn man mit dem Geld in ein Gasthaus ging, bekam man ohne Essensmarken nichts. Die hatte man als Soldat nicht, weil man in der Kaserne verpflegt wurde.

Welche Knappheit im Krieg meinen Sie genau?

Ich habe vor allem Hunger erlebt! Und das hat natürlich bis heute Folgen. Ich kann kein Brot wegwerfen. Wer im Krieg gehungert hat, guckt ein Stück Brot anders an. Manchmal esse ich auch ziemlich hartes Brot. Und wenn es zu hart ist, kriegen es meine Enten im Garten. Die müssen die Schnecken wegfressen, damit mein Salat etwas wird.

Wann haben Sie am meisten gehungert?

Nicht im Krieg, sondern als ich anfing zu studieren in Frankfurt am Main. Das war 1946. Da saß ich in den Vorlesungen und hab nur darüber nachgedacht, wo ich mittags in einer Volksküche eine Suppe bekomme.

Was für eine Suppe?

Mittags gab es immer diese Maisgriessuppe - nur leider bestand sie vor allem aus Wasser. Wenn ich sie gegessen hatte, war mein Bauch für zehn Minuten voll, und dann hatte ich wieder Hunger.

Wie haben Sie als Student gelebt?

In Frankfurt-Rödelheim bei einer Familie. Bei denen hat es immer gebrutzelt, es hat immer nach Gebratenem gerochen. Das hat meinen Hunger verstärkt, aber ich hab nie was davon abgekriegt.

Haben Sie von Ihren Eltern Geld bekommen?

Geld war kein Problem. Geld gab es zu Hause genügend, nur konnte man nichts damit machen. Erst mit der Währungsreform wurde das anders.

Haben Sie die Währungsreform in Frankfurt erlebt?

Nein. Ich hatte ein Stipendium in der Schweiz. Ich hab erst dort gelernt, was Geld ist. Dort konnte man mit dem Franken etwas erreichen. Ich habe damals in Bern für zwei Franken in der Stunde Gärten umgegraben und Parkwege gesäubert, um dann mit 20 Franken ein großes Paket mit Zucker und Margarine an meine Mutter zu schicken, für die drei kleinen Mädchen, die sie noch zu Hause hatte. Da hab ich gespürt, was Geld wert ist. Und deshalb ist für mich bis heute der Schweizer Franken das klassische Geld.

Es gab einen klaren Gegenwert.

Ja, und dieser Gegenwert entschied über Hunger oder nicht Hunger.

Hat Geld bei Ihrer Berufswahl eine Rolle gespielt?

Nein. Ich hab ja Englisch, Deutsch, Geschichte studiert. Ich hätte an der Universität bleiben können, hab das aber dann nicht gemacht, weil ich in die Politik gesprungen bin.

Wie schwer empfinden Sie die jetzige Wirtschaftskrise?

Seit Gründung der Bundesrepublik ist dies jetzt die ernsthafteste Krise. Wenn ich jetzt sehe, wie mit Hunderten von Milliarden jongliert wird, dann wird mir schwummrig. Ich finde überhaupt, dass die Relationen total durcheinandergeraten sind. Als ich Minister war, war es einigermaßen klar, ein Minister verdient das Fünffache eines Arbeiters. Und ein Vorstandsvorsitzender verdient wiederum das Fünffache eines Bundesministers, also das 25-Fache eines Arbeiters. Das war unter Adenauer so, das war unter Brandt so.

Wann fing es Ihrer Meinung nach an, ungerecht zu werden?

Ich unterscheide nicht zwischen gerecht und ungerecht.

Sondern?

Zwischen einer hinnehmbaren Ungerechtigkeit und einer nicht mehr hinnehmbaren. Dass der Junggeselle einen Porsche fährt und der Vater von fünf Kindern einen Golf, das ist zwar vielleicht ungerecht, aber es ist hinnehmbar. Und dann gibt es eine Ungerechtigkeit, die politisch relevant wird, weil die Menschen sagen: In so einer Gesellschaft wollen wir nicht leben. Zum Beispiel, wenn ein Bankchef das 200-Fache seiner Angestellten verdient. Und dann 2000 Menschen entlässt.

Sie meinen Josef Ackermann, den Chef der Deutschen Bank.

Ja.

Seit wann empfinden Sie diese nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit?

Das ist mit der marktradikalen Welle gekommen, die in den angelsächsischen Ländern schon in den Achtzigerjahren begonnen hat.

Mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan.

Ja, und die dann nach der Implosion des Kommunismus über Europa hinwegschwappte.

Fühlen Sie sich heute bestätigt, als einer, der schon immer für einen starken Staat eingetreten ist?

Ich bin seit etwa zehn Jahren zu der Überzeugung gekommen, dass die große Gefahr des 20. Jahrhunderts die überbordende Macht des Staates war; und dass die große Gefahr des 21. Jahrhunderts der handlungsunfähige, hilflose, erpressbare Staat ist. Heute bin ich da noch sicherer.

Verspüren Sie Genugtuung, weil Banker beim Staat um Geld betteln?

Ich neige nicht zur Schadenfreude. Außerdem haben die vielleicht Hintergedanken.

Welche denn?

Na, sie holen sich den Staat als Sanitäter, der soll ihre Wunden verbinden, und dann machen sie genauso weiter wie vorher. Soweit ich noch etwas tun kann, will ich genau dies verhindern. Der Staat muss der Arzt sein, der dem Patienten Ratschläge gibt.

Wie?

Ja nun, die Vorstellung, dass der Markt immer klüger ist als die Politik, das müssen wir uns abschminken. Jetzt muss die Politik das ausbügeln, was deregulierte Märkte angerichtet haben.

Die Deregulierung war Plan der Politik.

Die Politik wurde verführt, oft erpresst, von Medien getrieben.

Und hat nichts dagegen getan.

Nicht nichts, aber nicht genug. Wir können froh sein, dass wir jetzt den Staat noch haben.

Wohl wahr, aber viele Politiker saßen auch in den Aufsichtsgremien von Landesbanken, haben zugesehen und nichts gemacht. Woher nehmen Sie den Glauben, dass der Staat es richtet, wenn er doch selbst versagt hat?

Die Landesbanken sind für mich überhaupt kein Argument.

Wieso?

Ich stelle mir vor, ich wäre im Aufsichtsrat einer Landesbank gewesen. Was hätte ich wohl getan, wenn gestandene Banker mir gesagt hätten: Wir haben dies und das da angelegt, das ist sicher. Und die Ratingagenturen hätten das auch gesagt. Ich hätte doch nicht beweisen können, dass das nicht stimmt.

Genau deshalb hat der Staat als Regulierer des Finanzmarktes versagt.

Das sagen jetzt genau die Leute, die, wenn man reguliert hat, laut aufgeschrien haben. Die gesamte Ideologie war ja: Der Markt macht es schon allein. Diejenigen, die gesagt haben, der Markt macht es nicht allein, die hat man für verrückt erklärt. Ich habe da Erfahrung.

Selbst in der SPD.

Manchmal selbst in der eigenen Partei.

Was ist jetzt zu tun?

Eines sicher nicht: Wer jetzt Steuersenkungen verlangt für die Zukunft, der programmiert die Inflation.

Ihre SPD facht genau dieses Wahlkampfthema an.

Das stimmt nicht. FDP und CSU haben gewaltige Steuersenkungen versprochen. Die Frage ist: Welche Partei ist am besten geeignet, mit der Krise umzugehen? Die FDP sicher nicht . . .

... die gewinnt aber in Umfragen.

Das liegt daran, dass die Union und die SPD die FDP schonen, weil sie beide glauben, sie könnten sie mal brauchen.

Zum Beispiel Ihr Kanzlerkandidat Steinmeier.

Ich will darüber jetzt nicht philosophieren. Der kann sich die Welt auch nicht malen.

Schade.

Also, die FDP hat ihre marktradikale Position nicht verändert.

Aber Steinmeier dient sich doch der FDP an. Wie passt das zusammen?

In der Sache tut er es nicht - siehe Reichensteuer.

Zum Schluss noch eine Klischeefrage: Sind Sie ein typischer Schwabe, was das Geld angeht?

Ich fürchte ja. Wie mein Vater auch. Man könnte mir nicht den Vorwurf machen, den Helmut Schmidt mal Willy Brandt gemacht hat, dass er nämlich Millionen und Milliarden nicht auseinanderkennt. Im Falle von Brandt war der Vorwurf übrigens falsch. Und bei mir wäre er völlig absurd: Als Schwabe kenne ich selbst den Unterschied zwischen einem und zwei Euro genau, auch zwischen 20 und 50 Cent.

© SZ vom 24.04.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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