Rainer Schmidt:Nicht behindert, sondern begabt

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Rainer Schmidt wirbt für einen unverkrampften Umgang mit der eigenen Unvollkommenheit. Er will den Leuten keine Stärke einreden, die sie nicht haben. (Foto: IMAGO)

Er war Tischtennisprofi und Pfarrer. Heute erklärt er, wie Motivation geht.

Von Thomas Hahn

Tischtennis war für Rainer Schmidt zunächst ein Spiel von einem anderen Planeten. Er versuchte es zum ersten Mal im Alter von zwölf Jahren, in den Ferien in Österreich, aber er stellte schnell fest, dass er den Schläger nicht halten konnte. Rainer Schmidt ist ohne Hände und mit zu kurzen Armen geboren, es leuchtete ihm ein, dass sein Körper für Tischtennis nicht funktionierte. Er stellte sich neben die Platte, wenn die anderen spielten, und zählte die Punkte. Doch noch in denselben Ferien sprach ihn ein Urlauber an, ob er nicht mitspielen wolle. Er könne den Schläger nicht halten, sagte Rainer Schmidt.

Am nächsten Tag kam der Urlauber wieder, mit Schnüren und Schaumstoff und befestigte einen Schläger am Armstumpf von Rainer Schmidt. Danach konnte er mitspielen - und bald darauf richtig durchstarten. Rainer Schmidt wurde später Weltmeister und Paralympics-Sieger im Tischtennis.

Motivation wächst von ganz allein, das hat Rainer Schmidt, 49, als Sportler gelernt, und er hat es zum Teil seines Berufslebens gemacht, diese Lehre weiterzugeben. Seine Athleten-Karriere hat er vor sechs Jahren bei den Paralympics in Peking beendet, seither geht er ganz auf in seinen verschiedenen Redner-Jobs. Schmidt hat Theologie studiert, er war Pfarrer in Altenberg, derzeit arbeitet er als Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut in Bonn, aber er ist auch Kabarettist, Moderator und Referent. Vor zwölf Jahren bat ihn die Evangelische Akademie in Bad Boll darum, einen Vortrag vor Schwerbehinderten-Vertretern aus Industrie und öffentlichem Dienst zu halten zum Thema "Behinderung als psychologisches und theologisches Phänomen". Seither wird er immer wieder für Vorträge gebucht. Motivation ist dabei immer ein wichtiges Thema für ihn. Allerdings Motivation als Ehrgeiz, der sich am Machbaren orientiert. "Ich habe sehr wenig mit dem Thema Verführung zu tun", sagt Rainer Schmidt.

Profisport ist ein ständiger Balanceakt in den Grenzbereichen menschlicher Leistungsfähigkeit. Motivation, Selbstbewusstsein und Glaube an den Sieg sind wichtige Bausteine des Erfolgs, gerade in der Wirtschaft lässt man sich deshalb gerne von früheren Spitzenathleten Lektionen im Gewinnen erteilen. Leute wie der britische Modefußballer David Beckham, das Eishockey-Idol Wayne Gretzky oder der frühere deutsche Handball-Nationalspieler Jörg Löhr sind heute als Motivationstrainer tätig. Und Sportler mit Behinderung bringen einen zusätzlichen Aspekt in die Erfolgsschule ein. Bevor sie ihre Medaillen erkämpfen konnten, mussten sie schließlich die Hürden einer nicht immer barrierefreien Gesellschaft überwinden.

Rainer Schmidt ist nicht Beckham. Seine paralympischen Erfolge haben ihn nicht zu einem internationalen A-Prominenten gemacht. Er kann kein Millionenvermögen als Zeichen seines Erfolgs und seiner Tüchtigkeit vorweisen. Und sein Name ist auch nicht so markant, dass er als Verkaufsargument funktionieren könnte. Rainer Schmidt muss seine Zuhörer über Inhalte und Geschichten erreichen. Erfahrungen aus Leben und Sport hat er mit seinem Wissen aus dem Theologie-Studium zusammengebunden und daraus eine Botschaft entwickelt, die auf dem Boden der Tatsachen bleibt. Nichts ist unmöglich? "Totaler Quatsch", sagt Rainer Schmidt, "ich kann mit meinen 49 Jahren nicht mehr Fußball-Weltmeister werden. Der Zug ist abgefahren." Er wirbt für einen unverkrampften Umgang mit der eigenen Unvollkommenheit. Er will den Leuten keine Stärke einreden, die sie gar nicht haben, sondern er möchte, dass sie die Sinne auf ihre natürlichen Kräfte richten.

Selbstbewusstsein ist für Schmidt der Mut, sein eigenes Talent zu entdecken. "Ich habe mich auf Tischtennis gestürzt, weil ich da gemerkt habe, ich bin nicht behindert, sondern begabt." Und Motivation hat er als eine Regung kennengelernt, die allmählich Fahrt aufnahm. Erst wollte er nur mitspielen können. Dann wollte er besser spielen können, noch besser, noch besser, und irgendwann wollte er Paralympics-Sieger werden. Schwierig, aber erreichbar sollten seine Ziele sein. "Motivationshemmer sind Überforderung und Unterforderung. Der größte Motivator ist die Herausforderung", sagt Rainer Schmidt. Reich ist er mit dieser Lehre nicht geworden. Aber immerhin ein Tischtennis-Champion ohne Hände.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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