sueddeutsche.de: Marschiert Athen in Richtung Inflation oder Deflation?
Randale in Griechenland: Die Bevölkerung wehrt sich mit Protesten gegen das radikale Sparpaket. Am Mittwoch eskalierte die Gewalt - drei Menschen kamen ums Leben.
(Foto: Foto: dpa)Flassbeck: Inflation ist lächerlich. Ich würde mir wünschen, dass alle, die dieses Wort in den vergangenen drei Jahren in den Mund genommen haben, jetzt mal für fünf Jahre dazu schweigen - das wäre ein toller Beitrag. Es besteht vielmehr die große Gefahr einer Deflation in Europa. Spanien und Portugal werden sich überlegen, ob sie auch dieser Panikreaktion der Märkte ausgesetzt sein könnten. Prophylaktisch könnten sie anfangen, den Gürtel massiv enger zu schnallen. Aber das ist alles viel zu früh. Wir haben keine Erholung in Europa, die das rechtfertigt.
sueddeutsche.de: Daraus folgt?
Flassbeck: Es besteht die große Gefahr einer zweiten Rezession, die Gefahr eines sogenannten Double Dip und dann einer Deflation. Und da man sich in Berlin weigert, über das eigentliche Thema Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zu reden und eine konstruktive Lösung in den nächsten zehn Jahren anzudenken, ist die Gefahr einer Deflation noch viel größer. Alle Länder werden wie verrückt sparen, die Haushalte werden zwar nicht konsolidiert, gleichzeitig wird aber über Lohnsenkung eine Deflation produziert. Das ist das schlimmste aller Szenarien.
sueddeutsche.de: Bricht die Eurozone auseinander?
Flassbeck: Diese Überlegung muss man einbeziehen. Vielleicht brechen der Norden und der Süden auseinander. Am besten wäre es, wenn Deutschland ausscheidet.
sueddeutsche.de: Warum?
Flassbeck: Das wäre der am wenigsten dramatische Fall, weil der von den Märkten nicht brutal ausgenutzt werden könnte. Deutschland würde ausscheiden und eine neue Währung einführen. Die würde dann stark aufwerten. Unser Wettbewerbsvorteil wäre über Nacht futsch, aber das könnte der Beginn der Möglichkeit eines neuen harmonischen Zusammenlebens in Europa sein.
sueddeutsche.de: Und der starke deutsche Export würde kippen.
Flassbeck: Deutschland würde seine Exportmärkte über Nacht verlieren, keine Frage. Aber die wird Deutschland ohnehin verlieren. Deutschland kann nur wählen zwischen einem geordneten Übergang, bei dem die anderen die Chance haben, sich allmählich an Deutschland heranzurobben und einem ungeordneten Übergang. Eine andere Wahl gibt es auf dieser Welt nicht.
sueddeutsche.de: Ist das Projekt Europa nicht ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil es keine gemeinsame Fiskalpolitik gibt?
Flassbeck: Eine gemeinsame Fiskalpolitik ist viel weniger wichtig als eine gemeinsame Lohnpolitik. Wenn man keine eigene Währung mehr hat, muss man die Löhne koordinieren. Das ist versäumt worden. Es gab von Anfang an nur ein Gucken auf die Staatsdefizite, aber das reicht bei weitem nicht aus. Das sieht man jetzt.
sueddeutsche.de: Sie wollen am liebsten die Löhne erhöhen. Was sagen Sie den Arbeitgebern, die immer noch am Subventionstropf hängen und vom Staat Kurzarbeitergeld kassieren?
Flassbeck: Bei höheren Löhnen steigt die Nachfrage. Wie wollen wir sonst mehr Inlandsfrage bekommen? Das deutsche Wirtschaftswunder beispielsweise war ein Lohnwunder. Ein Land kann nicht nur exportieren, das funktioniert nicht. Entweder wir begreifen das jetzt, oder es wird uns mit Gewalt begreiflich gemacht.
sueddeutsche.de: Der Euro schwächelt und fällt nach gut einem Jahr unter die psychologisch wichtige Marke von 1,30 Dollar. Die Exporteure dürften vor Freude in die Hände geklatscht haben.
Flassbeck: Das ist die typisch deutsche Hoffnung nach dem Motto: "Jetzt zeigen wir es den Amerikanern oder den Chinesen." Das ist alles keine Lösung. Die deutschen Forschungsinstitute haben es allerdings geschafft, in ihre Prognose für dieses Jahr von 1,5 Prozent Wachstum wieder 0,9 Prozent dem steigenden Exportüberschuss zuzuschreiben. Das sind 30 Milliarden Euro - die gleiche Summe muss man im Rest der Welt abziehen. Wir können nicht dauernd andere Länder in die außenwirtschaftliche Verschuldung treiben, weil wir nur am Export hängen. US-Präsident Obama hat angekündigt, die Exporte um 15 Prozent pro Jahr zu erhöhen - wie soll das gehen, wenn der Dollar jetzt wieder stärker wird? Also wird es den nächsten Crash dort geben.