Neues Stadtbauprojekt:Der Gerade, der Krumme und der Bucklige

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Das Projekt CityLife wird die Mailänder Skyline verändern. Die Öffentlichkeit spart indes nicht mit Kritik.

Von Henning Klüver

Mailand wächst in die Höhe. Ein Reihe von Großprojekten zeigt, dass die Stadt sich als Stadt gleichsam wiederentdeckt. Jahrzehntelang brach liegende, ehemals industriell genutzte Flächen werden in öffentlich zugängliche urbane Landschaft umgewandelt. Und das nicht im Randbereich, sondern auch in zentralen Lagen. Am Garibaldi-Bahnhof/Porta Nuova entsteht gerade auf 290.000 Quadratmetern (das entspricht einer Fläche von 40 Fußballfeldern) ein völlig neues Stadtviertel mit Hotels, Büro- und Wohnräumen sowie einem Mode- und Informationszentrum.

Ein neues Stadtviertel mit Hotels, Büros und Wohnungen sowie einem Mode- und Informationszentrum soll in Mailand entstehen. Dafür ist eine Fläche von mehr als 290000 Quadratmeter vorgesehen. Vor allem die geplanten Hochhäuser mit ihrer ungewöhnlichen Formensprache regen die Mailänder zu kontroversen Diskussionen an. Doch es soll nicht alles zugepflastert werden. Etwa die Hälfte der Fläche wird nicht bebaut. Das ganze Projekt ist eingebettet in eine Parklandschaft. Der Autoverkehr bleibt ausgespart oder wird unter die Erde verbannt. (Foto: Visualisierung: CityLife)

Dazu gehören mehrere Hochhäuser von bis zu 144 Metern Höhe, wobei fast die Hälfte der gesamten Bodenfläche für eine neue Parkanlage, Fußgängerzonen und Fahrradwege reserviert bleibt. In drei Jahren sollen die Arbeiten abgeschlossen werden. Gleich nebenan wächst in diesen Monaten das zukünftige Verwaltungszentrum der Region Lombardei rund um einen Zentralbau von 161 Metern in atemberaubendem Tempo in die Höhe - bereits Ende kommenden Jahres sollen die Schlüssel übergeben werden. Damit wird Mailands bislang höchster Bau, der Grattacielo Pirelli (127 Meter) an der Stazione Centrale, gleich mehrfach in den Schatten gestellt.

Aber es geht noch höher hinaus. Das Aushängeschild der Mailänder Stadtplanung - aber wohl auch das bislang umstrittenste Projekt - hat jetzt seinen Anfang auf dem alten Messegelände am westlichen Rand der Innenstadt genommen. Auf dem rund 255.000 Quadratmeter großen Areal errichtet das Konsortium CityLife unter anderem drei Hochhäuser von 216 Metern (Architekt Arata Isozaki), 185 Metern (Zaha Hadid) und 156 Metern (Daniel Libeskind). Ihrer jeweiligen Form nach hat sie der Volksmund in "der Grade", "der Krumme" und "der Bucklige" getauft.

Berlusconi will nicht so hoch hinaus

Darf man so hoch bauen in dieser Stadt? Widerspricht das nicht Mailänder Stil und Tradition? Vor allem in der Lokalpresse kocht immer wieder eine Debatte hoch, in die sich kürzlich sogar Silvio Berlusconi einschaltete, der die Türme gern ein bisschen kleiner hätte. Aber die Bürgermeisterin Letizia Moratti, obgleich sie zur selben politischen Partei gehört und von Berlusconi für diese Amt ausgewählt wurde, bleibt (bislang) in der Sache hart. Das Projekt sei nach einer internationalen Ausschreibung durch eine Fachjury entschieden und dann vom Stadtrat genehmigt worden. Das könne man jetzt nicht so einfach rückgängig machen.

Möglich wurde die Planung durch den Umzug der Mailänder Messe in ein neues, von Massimiliano Fuskas entworfenes Messezentrum vor den Toren der Stadt. Zur Finanzierung ihrer neuen Messe hat die Messegesellschaft daraufhin das alte Gelände im Stadtbereich an den Gewinner der Ausschreibung, das Konsortium CityLife, für 523 Millionen Euro verkauft. CityLife will, alles in allem, hier zwei Milliarden Euro investieren.

Zum gesamten Projekt, das die drei internationalen Stararchitekten Isozaki, Hadid und Libeskind zusammen mit ihrem italienischen Kollegen Pier Paolo Maggiora entworfen haben, gehören noch ein Bau für das geplante Museum der Gegenwartskunst, die Umstrukturierung eines historischen Pavillons der alten Messe in ein Kulturzentrum für Kinder und Familienaktivitäten (Palazzo delle Scintille) und Wohnblocks mit rund 1300 Appartements in drei Bereichen jeweils hinter den Hochhaustürmen. In denen ist geplant, Hotels und Büros unterzubringen. Auf einer Platzanlage zwischen den Hochhäusern soll neben dem U-Bahn-Bahnhof "Tre Torri" der neuen Linie 5 ein Bereich mit Geschäften, Restaurants und Sozialeinrichtungen (Kindergarten, Stadtbibliothek) entstehen.

Das ganze Projekt ist eingebettet in eine Parklandschaft, und somit wird das Areal zu einer einzigen Fußgängerzone. Der Autoverkehr bleibt ausgespart oder wird, wie die Garagenplätze, unter die Erde gelegt. Diese Parkanlage ist jedoch ins Zentrum der Debatten gerückt. In der Öffentlichkeit ist man sich weitgehend einig, dass es besser gewesen wäre, den Park und den bebauten Bereich klar von einander zu trennen - wie es etwa der Wettbewerbsentwurf von Renzo Piano vorgesehen hatte. Doch es ging hier auch ums Geld, und das Angebot von CityLife war schlicht höher als das der anderen Konkurrenten.

Nach ersten Protesten unter anderem von zwei Bürgerkomitees wurde das Areal erweitert, so dass jetzt die Parkfläche 160.000 Quadratmeter und damit mehr als die Hälfte der Gesamtfläche ausmacht. Doch vielen Kritikern ist das nicht genug. Die Stadtöffentlichkeit zeigt sich gespalten - und das ist sicher auch die Folge einer vernachlässigten Kommunikationspolitik des Baukonsortiums wie der Stadtverwaltung bereits in der Ausschreibungsphase.

Überflüssige Klage

In einem unabhängigen Gutachten hat jetzt der deutsche Landschaftsarchitekt Andreas Kipar (Mailand / Duisburg) geschrieben, dass die Parkanordnung unter den vorgegebenen Bedingungen ("ein unglücklich geborenes Kind") inzwischen akzeptabel sei. Er widerlegt in seiner Expertise auch den Protest der Bürgerkomitees, dass die Hochhaustürme zuviel Schatten werfen würden. Er schlägt jedoch ein Qualifizierungsverfahren für die Gestaltung des Parks vor. Eine Ausschreibung, zu der vier oder fünf anerkannten Architekturbüros eingeladen werden könnten, die dann ihre Entwürfe auch der Öffentlichkeit vorstellen und mit den Bürgerkomitees diskutieren würden. Kipar plant außerdem, das CityLife-Projekt in ein System von Fuß- und Fahrradwegen zu integrieren ("Raggi verdi"), das strahlenförmig Innenstadt und Peripherie miteinander verbinden möchte.

Bürgermeisterin Moratti, die das Projekt zur Chefsache erklärt hat, ist noch unentschieden. Sie muss sich auch noch mit einer ziemlich überflüssigen juristischen Klage des italienischen Architekturverbands auseinander setzen, weil die Planung des neuen Museums für Gegenwartskunst ohne öffentliche Ausschreibung an Daniel Libeskind vergeben wurde. Inzwischen sind auf dem Gelände die alten Messegebäude abgerissen worden, die Bodensanierung ist fast abgeschlossen und bald sollen die Ausschachtarbeiten beginnen. In vier bis fünf Jahren will man fertig werden. Wenn die Besucher dann 2015 zur Expo, zur Weltausstellung, nach Mailand kommen, werden sie sich über die neue Skyline der Stadt die Augen reiben. Eine Skyline mit dem Geraden, dem Krummen und dem Buckligen.

© SZ vom 03. 07. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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