Hamburg:Autos unerwünscht

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Hamburg schafft Platz: Wo jetzt freie Flächen sind, sollen 7000 Wohnungen entstehen, außerdem ein Geschäftszentrum mit 4000 bis 5000 Arbeitsplätzen. Die Grundstücke gehören der Stadt und sind derzeit an Landwirte verpachtet. (Foto: Ulli Mueller; IBA Hamburg/Falc)

In der Metropole entsteht noch ein neues Stadtviertel, das größte nach der Hafencity. Das Projekt Oberbillwerder soll europaweit Maßstäbe setzen, stößt aber auch bei vielen auf Ablehnung.

Von Sabine Richter

Hamburgs Pläne für einen neuen Stadtteil, den 105., werden konkret. Die Wettbewerbsverfahren für Oberbillwerder, zweitgrößtes Stadtentwicklungsprojekt nach der Hafencity, sind abgeschlossen, vor Kurzem wurde der Masterplan präsentiert. In dem 124 Hektar großen Gebiet nördlich der S-Bahn-Station Allermöhe im Bezirk Bergedorf im Osten Hamburgs sollen einmal knapp 7000 Wohnungen und - in einem Quartiers- und Geschäftszentrum mit Markthalle - wohnverträgliche 4000 bis 5000 Arbeitsplätze entstehen.

Der Senat möchte hier "europaweit Maßstäbe für die Stadtentwicklung" setzen. Oberbillwerder soll ein Quartier für unterschiedliche, nach Herkunft, Einkommen, Alter und Lebenslage gut gemischte Bevölkerungsgruppen werden und mit Bauprojekten von privaten und städtischen Bauträgern, Genossenschaften und Baugemeinschaften eine lebendige Nachbarschaft schaffen. Dazu zählen neben Wohnungen auch vielfältige Angebote für Arbeit, Bildung und Freizeit sowie öffentliche Räume mit hoher Aufenthaltsqualität.

Autos sollen nur eine Nebenrolle spielen; die existierende Landschaftsstruktur aus geraden Entwässerungsgräben und zwei Sportparks soll den neuen Stadtteil prägen.

Noch ist die dafür vorgesehene Fläche tatsächlich nicht viel mehr als eine große, grüne Wiese, wenig bekannt bei den Hamburgern, aber schon lange im Fokus der Stadtentwickler. Denn in einer Viertelstunde ist man mit der S-Bahn in der Hamburger Innenstadt, in fünf Minuten im Zentrum des etablierten und lebendigen Stadtteils Bergedorf, und mit dem Fahrrad soll man - wenn alle Radschnellrouten ausgebaut sind - bequem in 30 Minuten in die City radeln können.

Manche kritisieren das Vorhaben als überdimensioniert, es zerstöre die Kulturlandschaft

Deshalb macht sich der Senat daran, Stadt an einem ganz neuen Ort zu wagen. Vor zwei Jahren wurde die IBA Hamburg GmbH mit der Entwicklung eines Masterplanes betraut. Der Ideenwettbewerb brachte vier Entwürfe hervor. "The Connected City", der Siegerentwurf des dänisch-niederländisch-deutschen Planungsteams (Adept Aps, Karres+Brands und Transsolar Energietechnik) fand mit 18:2 Stimmen in der Jury eine breite Mehrheit. "Die Erfordernisse der besonderen Marschlandschaft werden genauso berücksichtigt wie die Verbindung zu den benachbarten Quartieren", lobte Bergedorfs Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Es entstünde eine neue Vielfalt, ohne etwas zu zerstören. "Das Besondere an dem Entscheidungsprozess war die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, die sich mit Anregungen, Ideen und Kritik eingebracht haben", lobte Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen.

Der Siegerentwurf für Oberbillwerder stößt aber auch auf viel Ablehnung: Die Linke und die Dorfgemeinschaft Billwärder stimmten als Jury-Mitglieder gegen die "Connected City". Sie lehnen das "überdimensionierte, von Hamburg aus geplante Großprojekt" grundsätzlich ab. Es zerstöre die Kulturlandschaft, so Ernst Heilmann, Die Linke. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ist erwartungsgemäß begeistert: "Mit diesem Projekt wollen wir die Latte ganz weit nach oben legen. Das wird ein Quantensprung, etwas grundlegend Neues, Kreatives, kein Quartier nach Baukastensystem".

In der Tat könnte Oberbillwerder Maßstäbe setzen. Auf 124 Hektar Wiesen und Feldern sollen in den nächsten 15 Jahren gut 700 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche entstehen, 7000 Wohnungen in unterschiedlichen Bautypologien. Der größte Teil der Bauten soll fünf- bis sechsgeschossig werden, der Rest Reihen- und Einfamilienhäuser. Baugemeinschaften sind willkommen, etwa 20 Prozent der Fläche sollen für sie reserviert werden. 3000 der 5000 Arbeitsplätze bringt allein die neue Infrastruktur. Eine Stadtteilschule und ein Gymnasium mit Schulcampus, zwei Grundschulen, bis zu 14 Kindertagesstätten und 14 Sozialeinrichtungen sehen die Entwürfe vor. Die Flächen von Schul- und öffentlichen Sportanlagen sollen mehrfach genutzt werden können.

Wer sein Fahrzeug abstellen will, muss ins Parkhaus fahren

Familienfreundlich und bezahlbar soll der Stadtteil werden, CO2-neutral und autoreduziert. Die Erschließung hat Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Personennahverkehr in den Fokus genommen. Der Kfz-Verkehr wird über eine Haupt-Ringstraße geführt und über drei Anbindungen an das vorhandene Straßennetz angeschlossen. Öffentliches und privates Parken ist in mehreren Quartiersgaragen vorgesehen, Parkplätze werden aber Mangelware sein. In elf Parkhäusern stehen nur 3500 Plätze zur Verfügung. Im Ort selbst sollen Autos halten, aber nicht abgestellt werden können. Um den Verkehr zu minimieren, sind vielfältige Mobilitätsangebote auf Quartiersebene und "City Hubs" zur Anlieferung von Waren und Paketen vorgesehen. Während die Bau- und Nutzungsdichte an der S-Bahnstation deutlich höher ist, nimmt sie zum ländlich geprägten Stadtrand deutlich ab. Hier entstehen neue Kleingartenanlagen, Townhouses und naturnahe Spielplätze, die einen behutsamen Übergang in die historische Kulturlandschaft Billwerders ermöglichen. Im Osten entsteht ein Aktivitätspark als zentrale öffentliche Sportanlage, im Westen ein "blauer Sportpark", der bei Starkregen geflutet werden kann. Zwei Kanäle durchziehen das Gebiet. Sie dienen neben größeren Überflutungsflächen der Entwässerung des tendenziell feuchten Areals. Um Wasserschäden auszuschließen, wird das gesamte Wohngelände eineinhalb Meter aufgeschüttet.

"Es sollen nicht die Gebäude im Mittelpunkt stehen, sondern die Menschen und das Lebensgefühl", sagt Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg GmbH. Bis Ende 2018 soll der Masterplan fertig sein. Für die weitere Realisierung hat der Senat im Januar eine zusätzliche Gesellschaft gegründet, die IBA Projektentwicklungsgesellschaft GmbH und Co. KG. Läuft alles nach Plan, kann 2023 mit dem Bau der ersten Wohnungen begonnen werden.

Die Grundstücke gehören seit etwa 100 Jahren der Stadt, die Pachtverträge mit den ansässigen Landwirten laufen für den geplanten Baugrund in vier Jahren aus. Ihnen werden jetzt Ersatzflächen angeboten.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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