Griechenland: Drei Szenarien:...und dann zerbricht der Euro

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Griechenland ruft um Hilfe - doch ob die Rettung aus der Finanzmisere und die Stabilisierung der gemeinsamen Währung gelingt, ist ungewiss. Wie es weitergehen könnte mit Athen - drei Szenarien

Catherine Hoffmann

Die Anleger haben das Vertrauen in Griechenland verloren. Mehrfach hat der schuldengeplagte Staat den wahren Zustand seiner zerrütteten Finanzen verschwiegen. Wie jetzt herauskam, betrug das Haushaltsdefizit im Jahr 2009 13,6 Prozent - noch vor einem Jahr behauptete Athen, es würde sich auf 12,7 Prozent belaufen. An den Finanzmärkten herrscht Panik. Der Euro stürzt auf ein neues Jahrestief. Geldgeber fordern von der griechischen Regierung mittlerweile zehn Prozent Rendite, wenn sie ihr langfristig Geld leihen. Euroländer und Internationaler Währungsfonds ringen um eine Rettung Hellas' - und des Euro. Ob sie gelingt, ist ungewiss. Drei Szenarien, wie das griechische Schauerspiel enden könnte.

Akropolis in Athen: Griechenland bittet die EU-Partner und den IWF um Finanzhilfen - gelingt die Rettung aus der Schuldenmisere? (Foto: Foto: AP)

Weiter wie bisher

Was passiert, wenn Euroländer und IWF einspringen, aber den Griechen vertrauen. Die aber haben Probleme, angemessen zu sparen:

Die griechische Schuldenkrise spitzt sich dramatisch zu, seit die EU-Statistikbehörde offenbarte, dass die Haushaltslage des Landes noch katastrophaler ist, als zuvor bekannt. In Aufruhr versetzt die Finanzmärkte zudem, dass die Ratingagentur Moody's Griechenland herabstufte. Die Renditen für zehnjährige griechische Staatsanleihen ziehen deshalb kräftig an. Rund neun Prozent muss Athen Anlegern inzwischen bieten, mehr als Indonesien oder Südafrika. Die hohen Zinskosten machen alle Hoffnungen zunichte, dass sich die Griechen noch Geld am Anleihemarkt borgen können.

Bis Mitte Mai brauchen die Hellenen mehr als acht Milliarden Euro, allein um auslaufende Anleihen zu bedienen. Zu den gegenwärtig hohen Zinssätzen wäre das ruinös. Dem griechischen Finanzminister Giorgios Papakonstantinou bleibt deshalb nichts anderes übrig, als Euroländer und Internationalen Währungsfonds um einen Notkredit zu günstigen Konditionen zu bitten - so wie er es getan hat.

Die Retter stellen für dieses Jahr bis zu 45 Milliarden Euro in Aussicht - zu vergleichsweise erträglichen Zinsen. Vor die Wahl gestellt zwischen dem Schrecken ohne Ende und dem Ende mit Schrecken, entscheiden sich EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel für Ersteres. Der Schrecken erscheint den Politiker beherrschbar, er lässt sich mit Geld bezwingen. Der Bundestag segnet im Hauruckverfahren die vereinbarten Milliarden ab.

Und tatsächlich: Das Geld sorgt erst einmal für Ruhe. Die Kurse der griechischen Anleihen erholen sich, auch in Lissabon, Rom und Madrid atmen die Politiker auf. Die Regierung um Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat Zeit gewonnen, um das versprochene Sparprogramm durchzuziehen, "um Griechenland vor Schlimmerem zu bewahren", wie er sagt. Der Euro ist aus der Schusslinie - fürs Erste. Doch alle wissen: Ewig reichen die zugesagten 30 Milliarden Euro nicht.

In der ersten Jahreshälfte 2011 müssen sich Griechen und Euro-Partner eingestehen: Griechenland kann die Krise nicht bewältigen. Obwohl Papandreou die finanzielle Notlage dazu nutzt, im Schnellgang einen neuen Notsparplan durchzudrücken, verschlechtern sich die Haushaltszahlen 2011. Beschlossene Pensionskürzungen machen sich zwar sofort bezahlt, andere Reformen wie ein höheres Renteneintrittsalter wirken aber erst nach langer Zeit. Wenn Rentner, Beamte oder Arbeitslose weniger Geld bekommen, geben sie auch weniger aus.

Die Wirtschaft schrumpft, die Steuereinnahmen auch. Und Griechenland muss sich 2011 rund 50 Milliarden Euro beschaffen, um Schulden zurückzuzahlen und das Haushaltsloch zu stopfen. "Dann dürfte die Situation ähnlich aussehen wie heute", sagt Andrew Bosomworth, Leiter des Portfoliomanagements bei Pimco. "Die Kapitalmärkte für Griechenland dürften geschlossen bleiben." Und an den Börsen schwelt die Nervosität. Bis 2014 muss das Land allein 170 Milliarden Euro für die Umschuldung und Zinszahlungen bestehender Anleihen aufbringen, von der Finanzierung neuer Haushaltsdefizite ganz abgesehen. Griechenland bleibt Spielball der Investoren.

Brutale Einschnitte wären nötig. "Griechenland muss billiger werden, um den Tourismus anzukurbeln", sagt Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. "Das Land hat durch eine hemmungslose Kreditaufnahme einen künstlichen Wirtschaftsboom erzeugt, Löhne und Sozialleistungen sind raketenhaft gestiegen." Das griechische Geschäftsmodell sei beschädigt. Um über die Runden zu kommen, wenn die Hilfen versiegen, müsse das Land wieder wettbewerbsfähig werden. Mit dem Euro hat Griechenland jede Möglichkeit verloren, das Ziel durch Abwertung zu erreichen. Nun droht ein äußerst schmerzhafter Anpassungsprozess mit fallenden Löhnen und Preisen, der noch mehr Menschen auf die Straße treiben wird.

"Die Griechen haben noch gar nicht richtig gespart, sondern leben über ihre Verhältnisse", sagt Sinn. Die Anleger fassen deshalb kein Vertrauen. Das belastet auch anderen Mittelmeerländer und den Euro. Ein neuer Notkredit muss her, damit nicht weitere Staaten in den Abgrund gerissen werden. Auf die Euroländer kommen gewaltige Belastungen zu, um kippende Partner zu stützen. Schließlich geraten die Retter selbst ins Visier der Spekulanten.

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Umschuldung

Was passiert, wenn der IWF Griechenland hilft, Gläubiger schröpft und für harte Reformen sorgt:

Politiker wollen den Zusammenhalt der Währungsgemeinschaft um jeden Preis gewährleisten. Doch ohne eine Fiskalunion, also eine gemeinsame Haushaltspolitik, sind sie vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt. Sie sehen sich gezwungen, Griechenland zu helfen, fürchten aber, gutes Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen: Denn wer jetzt Geld gibt, muss befürchten, dass es weniger dazu dient, Griechenland zu sanieren als die Gläubiger herauszupauken, von denen einige im blinden Vertrauen auf die rettende Hand des Staates hochverzinste griechische Anleihen gekauft und das Risiko ausgeblendet haben.

"Der Internationale Währungsfonds wird nicht zulassen, dass sein Geld direkt in die Taschen von Anlegern fließt, die griechische Staatsanleihen gekauft haben", sagt Andrew Bosomworth, der für Allianz Global Investors Anleihefonds managt.

Einen Ausweg sehen mehr und mehr Ökonomen in einem "Haircut". Was so harmlos nach einer flotten neuen Frisur klingt, ist in Wirklichkeit eine Radikalkur: Die Gläubiger Griechenlands sollen pauschal auf einen bestimmten Prozentsatz ihrer Forderungen verzichten. Mit einem Federstrich wären die Hellenen also einen Teil ihrer Schulden los - und all die Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Privatleute, die Athen Geld geborgt haben, wären ärmer. Das Vertrauen der Kapitalgeber würde schweren Schaden nehmen. Ungewöhnlich ist eine solche Maßnahme nicht, Fachleute nennen das beschönigend "Restrukturierung" oder "Umschuldung".

Im Gegenzug gäbe es Kredite, um die größte Not zu lindern - und zwar gleichermaßen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Kapitalmarkt. Ungarn hat vorgemacht, wie so etwas gelingen kann. Doch der IWF ist keinesfalls selbstlos. Der Preis für Hilfe in der Not ist groß - ohne einen radikalen Umbau der Wirtschaft erhält kein Staat Geld aus Washington. Wenn der IWF Geld krisengebeutelte Länder aus der Klemme befreit, fordert er oftmals nicht nur die Beteiligung der Gläubiger - er machte auch eine Abwertung der Währung zur Bedingung für Kredite. Ein entschiedener Sparkurs und marktfreundliche Reformen der Wirtschaft sind ohnehin obligatorisch.

Da das Mittelmeerland aber im Euro bleiben soll und keine souveräne Wechselkurspolitik betreiben kann, bliebe ihm der Ausweg der Abwertung, verbunden mit zweistelligen Inflationsraten versperrt. "Die Kapitalmärkte gehen heute davon aus, dass der IWF in jedem Fall ein Schuldenmoratorium verlangen wird", sagt der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn. "Es ist ja auch nicht einzusehen, dass die Steuerzahler für die griechischen Probleme zahlen und die Gläubiger ungeschoren davonkommen." Griechenland käme gleichsam über Nacht einer erträglichen Schuldenquote näher. Der Schuldenberg betrug im vergangenen Jahr rund 273 Milliarden Euro: Das entspricht 115 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und es liegt weit über der von der EU erlaubten Grenze von 60 Prozent.

"Ein kleiner Kapitalschnitt hilft allerdings nicht viel", sagt Bosomworth. "Es muss ein großer Schritt sein, damit die Finanzierungslast sinkt." Selbst wenn die Gläubiger auf 30 Prozent verzichten und damit auch 30 Prozent weniger Zinsen gezahlt werden müssen, klafft ein riesiges Haushaltsdefizit im Land. Sparen, sparen, sparen, bliebe also erste Pflicht der Regierung. Sollen die Griechen in der Währungsunion bleiben, können sie ihre hohen Lohnstückkosten nicht durch eine Abwertung senken, die Euro-Gehälter müssten schrumpfen, und zwar spürbar. 20 bis 30 Prozent fordern Volkswirte, damit die Griechen mit Deutschland mithalten können, das sich seit einem Jahrzehnt in Lohnzurückhaltung übt. Geschoren würden also nicht nur die Geldgeber, sondern auch die Griechen.

"Ein Schuldenmoratorium wäre ein gefährliches Signal für den Euro-Finanzmarkt", glaubt Bosomworth. "Schwache Staaten müssten spekulative Angriffe fürchten." Und auch sie hätten ihre liebe Not, an Geld zu kommen, wenn Käufer ihrer Anleihen auf einen Kapitalschnitt gefasst sein müssen. Die Zinsen in Portugal etwa würden also weiter steigen. Andererseits wäre das Exempel Griechenland abschreckend. Lissabon, Madrid und Rom würden wohl alles daran setzen, aus eigener Kraft aus der Krise zu kommen - und ihre Finanzen möglichst schnell in Ordnung bringen. Die Banken wären im Falle einer Restrukturierung auf massive Unterstützung angewiesen. Die Abschreibungen auf Staatsanleihen könnten sie wohl kaum schultern.

Chaos

Was passiert, wenn Griechenland pleitegeht und aus der Eurozone ausschert:

Eine rasche Rettungsaktion der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist überlebensnotwendig. Mit jedem Tag, an dem sich Griechenland, Brüssel und Washington mit Beschwichtigungsformeln begnügen und die Deutschen zaudern, steigen die Spannungen. Der Euro stürzt in die Tiefe, die Renditen griechischer Staatsanleihen signalisieren höchstes Pleiterisiko, Portugal, Spanien, Italien und Irland geraten in den Abwärtsstrudel.

Es kommt zur Kapitalflucht, die Griechen ziehen das Geld von den Bankkonten ab - aus Angst, dass die schönen Euro morgen ungefragt auf Drachmen umgestellt werden. Die Stimmung heizt sich immer mehr auf - doch die ersehnte Hilfe bleibt aus. Deutschland, das im ersten Schritt 8,4 Milliarden Euro geben soll, sagt: nein. Angela Merkel weiß: Es wird eine zweite Runde geben, doch niemand weiß, wie hoch die Rechnung am Ende sein wird. Merkel will keinen Präzedenzfall schaffen, der sie zwingt, bald weiteren Wackelkandidaten zu helfen.

Ein Analyst glaubt: "Die Märkte wollen Blut sehen." Wenn Hilfe ausbleibt, werden sie es kriegen. Griechenland bekommt kein Kapital mehr. Die Regierung Papandreou hat keine Wahl, stellt die Zahlungen ein und meldet offiziell Staatsbankrott an. Die Auswirkungen auf den Euro und die EU sind fatal. Der Kurs griechischer Staatsanleihen sinkt ins Bodenlose, Anleger aus aller Welt müssen Milliarden Euro abschreiben.

Als Erste brechen die griechischen Banken unter der Last fauler Staatsanleihen zusammen. Sie lösen Schockwellen in ganz Europa aus und Erinnerungen an die Pleite von Lehman Brothers werden wach. Griechenland steht bei seinen Gläubigern mit rund 300 Milliarden Euro in der Kreide. Die größten Geldgeber sind Banken in Frankreich und der Schweiz, aber auch in den Bilanzen deutscher Institute liegen griechische Papiere im Wert von geschätzt 20 Milliarden Euro. Die größten deutschen Gläubiger sind Hypo Real Estate und Commerzbank. Wieder müssen die Staaten ihre Banken retten - mit noch mehr Geld.

Nicht nur die Banken kippen, auch die Staaten. Sobald die Anleger wissen, dass Europa ein Land bankrott gehen lässt, kaufen sie auch keine Anleihen anderer Staaten mehr, deren Zahlungsfähigkeit sie für gefährdet halten. Es kommt zu spekulativen Attacken auf Portugal, Spanien, Irland und Italien. Ihre Zinsen schießen in die Höhe, bis auch sie zusammenbrechen. Als erstes Land gibt Hellas den Euro ab und kramt seine alte Drachme hervor. "Für Griechenland ist es leichter, den Euro aufzugeben und abzuwerten, als massiv Löhne und Preise zu senken und eine Depression zu durchleben, um sein gigantisches Außenhandelsdefizit zu verkleinern", sagt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Ein Schuldenmoratorium ist nun unausweichlich. Denn die Drachme ist viel zu schwach, als dass sich damit die horrenden Euro-Schulden Athens begleichen ließen, die durch eine Abwertung der neuen Währung in die Höhe schnellen. Griechenland bleibt am Kapitalmarkt geächtet - so wie Russland nach seiner Pleite 1998. Mit dem Ausscheren weiterer Länder zerbricht der Euro. Übrig bleibt eine Kernwährungsunion mit Deutschland und Frankreich.

© SZ vom 24.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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