Gesundheitssystem:Nichts tun - aber sagen, dass man was tun will

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Kopfpauschale, Zusatzbeiträge, Leistungskürzungen: Was eine Gesundheitsreform wirklich bringen könnte.

Guido Bohsem

Wer das Gefühl hat, das gerade Erlebte schon einmal erlebt zu haben, erlebt ein Déjà-vu. Diese Erinnerungstäuschungen überfallen einen spontan. In der Regel kann man sie weder planen noch provozieren. Das gelingt allenfalls Konsumenten psychedelischer Drogen und - erstaunlicherweise - auch den Gesundheitspolitikern der schwarz-gelben Koalition. Sie trafen sich vorigen Freitag in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen, verhandelten bis spät in die Nacht, um dann vor die Kameras zu treten und eine Alles-in-Butter-Botschaft loszuwerden: gute Gespräche auf gutem Weg, wir werden schaffen, was wir uns vornehmen. Wen nun das irritierende Gefühl beschleicht, das schon erlebt zu haben, muss nicht an seinem Realitätssinn zweifeln. Genauso war es auch bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP im Spätherbst 2009.

Die Verhandlungen um die Gesundheitspolitik gehen in die Endrunde, bislang ist nur folgendes herausgekommen: eine zum Zerreißen gespannte Situation im Gesundheitssystem. (Foto: ag.ddp)

Was die Gesundheitspolitik angeht, so kann man nach dem Treffen erleichtert festhalten, dass die wohl längsten und strittigsten Koalitionsverhandlungen aller Zeiten in die Endrunde gehen. Acht Monate dauern sie inzwischen. Bislang herausgekommen ist: eine zum Zerreißen gespannte Situation im Gesundheitssystem, eine verlorene Landtagswahl, ein komplett gescheiterter Reformversuch und ein gewesener Hoffnungsträger im Amt des Gesundheitsministers.

Nach all diesen Kollateralschäden scheinen sich die Gesundheitspolitiker nun endlich auf die akute Problemlage im System zu konzentrieren: das drohende Defizit von elf Milliarden Euro 2011. Das Treffen vom Wochenende war hierfür ein guter Anfang. Enorm wichtig war zunächst einmal die von FDP, CDU und CSU einheitlich verkündete Botschaft an die von Finanz- und Existenznöten geplagten Kassen: "Wir tun was." Die Botschaft richtet sich an die Versicherer, die am Rande des finanziellen Kollaps stehen. Das ist nicht viel, aber immerhin. Mit dieser Zusicherung können die klammen Kassen weiter arbeiten, ohne fürchten zu müssen, dass das Bundesversicherungsamt sie schließt.

An den Finanzmärkten, die das öffentliche Vokabular dieser Tage prägen, würde man von einer "verbalen Intervention" sprechen - man tut zunächst nichts, verkündet aber glaubhaft, demnächst etwas tun zu wollen. Wie das gewaltige Defizit von elf Milliarden Euro beseitigt werden soll, steht nun zumindest in groben Zügen fest. Zwei Milliarden Euro gibt der Bund. Etwa vier Milliarden Euro werden bei Pharmaindustrie, Ärzten, Apothekern, Krankenhäusern und Heilmittel-Erbringern gespart. Es bleiben also fünf Milliarden Euro, für die die Beitragszahler einstehen müssen. Rein rechnerisch kann man ein solches Volumen über die bereits existierenden Zusatzbeiträge abdecken. Jedes Kassenmitglied würde dabei pauschal pro Monat mit acht Euro belastet. In der Praxis dürfte diese Rechnung allerdings nicht aufgehen. Denn während manche Kassen keine zusätzlichen Beiträge brauchen, müssten andere über die acht Euro hinausgehen. In diesem Fall greift ein gut gemeinter, aber untauglicher Sozialausgleich. Er schadet vor allem den armen Kassen, die ohnehin nur wenige gutverdienende Mitglieder haben. Sie sind gezwungen, ihre solventen Zahler besonders stark zu belasten - mit bis zu 37,50 Euro im Monat. Das führt dazu, dass diese die Kasse verlassen, deren Lage sich dadurch weiter verschlechtert.

Die Regelung für die Zusatzbeiträge muss also dringend reformiert werden. Wer will, kann darin auch den Einstieg in eine größere Reform der Finanzierung der Krankenversicherung erkennen. Denn pauschal erhobene Zusatzbeiträge sind ja nichts anderes als Kopfpauschalen. Sie heißen nur nicht so. Auch dieses Problem wurde bereits zu Beginn der schwarz-gelben Regierung diskutiert. Gut wäre es, wenn die Koalition nach den Monaten des Missvergnügens nun endlich auch zu einer Lösung käme und nicht nur ein neues Déjà-vu produzierte.

© SZ vom 21.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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