Gesundheitsreform:Die Schmerzpatienten

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Die Versicherten müssen blechen: Was genau kommt mit der Gesundheitsreform auf Kassenpatienten zu? Die Gewinner und Verlierer der Neuregelungen im Überblick.

Guido Bohsem, Berlin

Für Philipp Rösler (FDP) geht am Freitag eine fast einjährige Feuertaufe als Gesundheitsminister zu Ende. Der Bundestag wird seine heftig umstrittene Gesundheitsreform beschließen. Bereits am Donnerstag segnete das Parlament das Arzneimittel-Sparpaket ab. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen zu den Reformen.

Das tut weh: Die Deutschen müssen sich nach Darstellung von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) auf steigende Kosten einstellen. (Foto: dpa)

Stoppt Rösler mit den Gesetzen den Kostenanstieg im Gesundheitswesen?

Der Minister sagt selbst, dass ihm das nicht dauerhaft gelingen wird. Sowohl mit dem Arzneimittel-Paket als auch mit der Gesundheitsreform will er allerdings den Anstieg der Kosten drosseln. Er setzt damit die Politik der vergangenen Jahre fort. Seinen Vorgängern ist es gelungen, den Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) stabil zu halten - bei knapp sechseinhalb Prozent.

Dass die Beiträge für Kassenmitglieder trotzdem steigen, hat zwei Gründe. Zum einen spielt das Arbeitseinkommen bei der Zusammensetzung des BIPs eine immer geringere Rolle. Die Löhne und Gehälter aber sind die wichtigste Grundlage für die Einnahmen der Kassen. Zum anderen sorgt die Demografie für höhere Beiträge. Denn der Anteil der voll-verdienenden Kassenmitglieder im Verhältnis zu den älteren Menschen wird immer geringer.

Anfang 2011 steigt der Beitragssatz um 0,6 Punkte auf 15,5 Prozent von maximal 3712 Euro brutto. Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich den Anstieg. Vom Gesamtbetrag übernehmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig 7,3 Prozentpunkte. Dieser Wert wird festgeschrieben. Steigen soll künftig nur noch der Zusatzbeitrag, den eine Kasse erheben kann, wenn sie nicht mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds auskommt. Im Gegensatz zum prozentualen Beitrag ist der Zusatzbeitrag unabhängig von der Höhe des Einkommens - ein Abteilungsleiter zahlt den gleichen Betrag wie seine Sekretärin. Die Kasse treibt das Geld direkt beim Mitglied ein. Wenn der Zusatzbeitrag zwei Prozent des sozialversicherungspflichtigen Gehalts übersteigt, sorgt der Staat für einen Ausgleich. 2011 und wahrscheinlich auch 2012 wird es nur wenige Kassen geben, die den Zusatzbeitrag erheben. Denn durch die Beitragssatzerhöhungen und die Einsparungen dürfte der Gesundheitsfonds 2011 sogar zwei Milliarden Euro mehr einnehmen als ausgeben.

Wer muss neben den Versicherten sonst noch zahlen?

Nach Einschätzung der Koalition leisten die Pharmaindustrie, der Großhandel und die Apotheken den größten Sparbeitrag. Um 2,2 Milliarden Euro sollen die Kassen dadurch entlastet werden. Die Opposition bestreitet jedoch, dass dieser Effekt eintritt. Sie hält dauerhaft ein Volumen von 500 Millionen für realistisch. Niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Kliniken bekommen 2011 nicht weniger, sondern mehr Geld. Allerdings wird der Zuwachs gedeckelt. Wegen der guten Konjunktur hat die Koalition den Deckel aber noch mal angehoben.

Die Koalition plant harte Auflagen für die Industrie. Bisher durften die Hersteller für neue, innovative Medikamente die Preise alleine bestimmen. Das soll sich ändern. Künftig müssen sie zunächst nachweisen, dass ihr neues Arzneimittel einen größeren Nutzen hat als schon zugelassene. Ist das der Fall, müssen sie sich mit den Krankenkassen auf einen Preis einigen. Rösler hat in diesem Sinne also Wort gehalten, wenn auch die Opposition eine weitaus härtere Bewertung von Nutzen und Kosten einfordert.

Entsprechend kontrovers werden die Kriterien beurteilt, mit denen künftig ein Zusatznutzen nachgewiesen werden soll. Kritiker werfen der Koalition vor, hier nicht im Sinne der Patienten zu handeln, sondern die Interessen der Industrie in den Vordergrund zu stellen. Während der Beratungen haben FDP und Union das Gesetz aber an vielen Stellen nachgebessert. Die AOK sieht keine einseitige Bevorzugung der Industrie mehr. Auch der Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Jürgen Windeler, hält das Regelwerk inzwischen eher für einen Fort- denn einen Rückschritt. SPD, Grüne, Linkspartei und einige renommierte Wissenschaftler halten der Koalition jedoch weiterhin vor, willfährig die Interessen der Pharmahersteller zu bedienen.

Die fünf Wirtschaftsweisen haben der Koalition vorgeworfen, den Privaten Krankenversicherern (PKV) mit der Gesundheitsreform einen Vorteil zu verschaffen. Union und FDP verkürzen nämlich die Wartezeit, die gesetzlich Versicherte einhalten müssen bevor sie in die PKV wechseln können von drei Jahren auf ein Jahr. Damit verlängere die Koalition die ungünstige Aufspaltung des Gesundheitssystems in zwei Teile, urteilen die Wirtschaftsweisen.

An einer anderen Stelle wird der Unterschied zwischen gesetzlichen Versicherern und ihren reichen Schwestern vermischt - ebenfalls zum Vorteil der PKV. Denn diese profitiert künftig von den Einsparungen im Arzneimittelsektor. Eine empfindliche Niederlage erlitt die PKV jedoch in einem anderen Bereich. Gegen ihre ursprüngliche Ankündigung entschied sich die Koalition dafür, der GKV die Möglichkeit zu lassen, Zusatzversicherungen anzubieten, etwa für Auslandsreise-Versicherungen, Chefarztbehandlungen oder, Zwei-Bett-Zimmer. Dies könnte sich in der anstehenden Reform der Pflegeversicherung als Vorteil erweisen, wo es genau um solche Zusatzversicherungen gehen wird.

Gesundheitsreformen tragen meistens ein nahes Verfallsdatum. Beide Regelwerke bieten zahlreiche Aspekte, die Probleme aufwerfen können. So dürften die besten Juristen der Pharmaindustrie schon auf der Suche nach Wegen sein, mit denen die neuen Regelungen umgangen werden können. Schließlich geht es für die Hersteller nicht nur um den deutschen Markt allein.

Weil sich die Medikamenten-Preise vieler anderer Länder von denen in der Bundesrepublik ableiten, drohen ihnen große Einbußen, wenn der von der Koalition erwünschte Spareffekt eintritt. Skurrilerweise haben die Gesundheitsexperten der Koalition selbst noch vor der Verabschiedung des Reformpakets Verbesserungen daran angemahnt. Sie wollen verhindern, dass der Staat einen Sozialausgleich für die Zusatzbeiträge auch an Zinsmillionäre oder Vermieterkönige zahlt. Denn das ist durch die aktuelle Gesundheitsreform tatsächlich möglich.

© SZ vom 12.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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