Finanzkrise:Kopflos in die Klage

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Die Finanzkrise hinterlässt viele enttäuschte Anleger, die nun einen Schuldigen suchen. Die Verbraucherzentrale warnt jedoch: Ein Prozess ist nur selten der richtige Weg.

Hannah Wilhelm

Nach der Krise kommen unweigerlich die Anlegerklagen. Das war schon im Jahr 2001 so, als die Internetblase platzte, die Aktien wertlos waren und manchem Anlegern erstmals bewusst wurde, was er da gekauft hatte. Und auch die aktuelle Krise hinterlässt verzweifelte Anleger, die sich betrogen fühlen: von Unternehmen, Vorständen, aber vor allem von ihren Bankberatern.

So groß der Ärger vieler Kunden angesichts ihrer wertlosen Lehman-Zertifikate auch ist: Eine Klage hat meist wenig Sinn. (Foto: Foto: AP)

Zum Beispiel die Besitzer von Lehman-Zertifikaten, die sich wohl nach der Pleite der US-Bank auf einen Totalverlust einstellen müssen: Viele der Anleger fühlen sich schlecht beraten, sie hätten doch etwas für die Altersvorsorge anlegen wollen, sagen sie, und von einem hohen Risiko sei im Beratungsgespräch nicht die Rede gewesen. Etliche haben sich schon an Anwälte gewandt.

Klagen können sinnvoll sein, aber nicht immer. Peter Lischke von der Verbraucherzentrale Berlin warnt Anleger davor, ihre Bank voreilig wegen Fehlberatung zu verklagen. "Man muss die erheblichen Prozesskosten bedenken, um als Geschädigter in einem aussichtslosen Prozess nicht noch mehr Geld zu verlieren." Lothar Gries von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger weist außerdem darauf hin, dass viele Rechtsschutzversicherungen in Anlegerfällen nicht einspringen. Klagewillige sollten sich dazu rechtzeitig informieren. Zudem dürften Anleger nicht unterschätzen, dass ein Prozess viel Zeit brauche: "Sie müssen einen langen Atem haben, das dauert unter Umständen Jahre", warnt Gries.

Der Beweis wird schwierig

Hinzu kommt, dass eine Fehlberatung vor Gericht oft schwer zu belegen ist. Das Problem: Die Beweislast liegt auf Seiten der Anleger, sie müssen beweisen, dass der Berater Fehler gemacht hat. Dass das schwierig ist, haben viele gescheiterte Klagen nach 2001 gezeigt. Beratungsprotokolle, die die Banker ausfüllen und nach dem Gespräch von den Kunden gegenzeichnen lassen, haben sich dabei für den Anleger als eher kontraproduktiv erwiesen. Denn kaum ein Kunde schaut sich an, was er da genau unterschreibt - und ahnungslos zeichnet er ab, über Risiken informiert worden zu sein. Deshalb raten Verbaucherschützer, am besten einen Zeugen zu Beratungsgesprächen mitzunehmen.

Das Bundesverbraucherschutzministerium wagte sich nun mit dem Vorschlag vor, man müsse angesichts der Finanzkrise prüfen, ob nicht eine Umkehr der Beweislast denkbar sei. Dann müssten die Berater nachweisen, dass sie nicht falsch beraten haben. Das wäre für die Anleger hilfreich, doch noch sind die Pläne vage.

Bevor Anleger gegen ihren Berater klagen, können sie sich auch mit ihren Beschwerden an den Ombudsmann des jeweiligen Bankenverbandes wenden. Die Entscheidungen dieser Schlichtungsstellen sind bis zu einem Schaden von 5000 Euro für das Institut bindend. Die Vorteile: Das Verfahren kostet nichts, ist unbürokratisch und schnell. Wer mit der Entscheidung unzufrieden ist, kann danach immer noch klagen. Die Verjährung ist aufgeschoben, solange ein Fall beim Ombudsmann liegt.

Zeitpunkt der Empfehlung ist entscheidend

Die Verjährung ist überhaupt ein Problem, wenn Anleger vor Gericht ziehen möchten. So warnt zum Beispiel die Verbraucherzentrale Berlin Geschädigte davor, voreilig wegen Falschberatung zu klagen: "Viele Verbraucher haben heute null Chance, weil ihre Ansprüche bereits verjährt sind", sagt Finanzexperte Lischke. Die Verbraucherorganisation fordert deshalb eine Abkehr von der dreijährigen Verjährungsfrist. Die derzeitige Regelung sei "bankenfreundliches Denken", findet der Vorsitzende der Verbraucherzentrale Berlin, Jürgen Keßler.

Natürlich haben Klagen in einigen Fällen auch Aussicht auf Erfolg. Denn, keine Frage, nicht selten ist tatsächlich etwas falsch gelaufen. Verbraucherschützer Keßler spricht von einem "eklatanten Maß an Fehlberatung" und von der "Verheimlichung von Risiken" gegenüber Verbrauchern. "Oft stehen nicht die Kundeninteressen, sondern die Rendite des Instituts im Vordergrund."

Für den Fall der Lehman-Zertifikate sagt Rechtsanwalt Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: "Hier ist der Zeitpunkt der Empfehlung entscheidend. Spätestens nach März 2008 hätte die beratende Bank explizit auf ein Emittentenrisiko hinweisen müssen, da war die Lage schon brenzlig." Außerdem gebe es Fälle, in denen Anlegern grundsätzlich keine Zertifikate hätten empfohlen werden dürfen. Ohnehin meint Hechtfischer: "Für die Altersvorsorge ist das Produkt eindeutig nicht geeignet."

© SZ vom 16.10.2008/ld/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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