Finanzkrise:Der ganz persönliche Crash

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Weltweit fallen die Börsenkurse ins Bodenlose - und jeder spürt die Folgen. Zehn Gründe, warum die Finanzkrise uns alle betrifft.

Marc Steinhäuser

Seit Jahresbeginn hat sich der deutsche Leitindex fast halbiert: Im Januar lag der Dax knapp über 8000 Zählern, am Freitag rutschte er unter 4400 Punkte - der tiefste Stand seit drei Jahren. Davon sind längst nicht mehr nur Aktienbesitzer und Börsenspekulanten betroffen. Hier einige Gründe, warum die Talfahrt an der Börse jetzt jeden treffen kann.

Die Aktienindizes taumeln in die Tiefe - und das hat Auswirkungen auf jeden Bürger. (Foto: Foto: dpa)

1. Die deutschen Unternehmen verlieren an Wert und Kapital

Das macht Übernahmen durch die Konkurrenz einfacher. Zuletzt sicherte sich der Automobilzulieferer Schaeffler große Anteile an Continental. Der Reifenhersteller war an der Börse nur noch knapp 8,7 Milliarden Euro wert, als die Schaeffler-Gruppe zugriff. Andere Dax-Schwergewichte sind ebenfalls bedroht und für ausländische Investoren zu Schnäppchen geworden. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat etwa der Autobauer Daimler mehr als 65 Prozent seines Börsenwertes eingebüßt. Auch die Aktien der Deutschen Bank und der Postbank verloren fast zwei Drittel ihres Wertes.

2. Kredite könnten knapp werden

"Die Banken haben nicht mehr so viel Geld, um große Kredite zu vergeben", sagt Martin Hüfner, ehemaliger Leiter des Wirtschafts- und Währungsausschusses der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Denn schon jetzt machen einige deutsche Banken weniger Gewinn: Landesbanken wie die SachsenLB oder die BayernLB haben sich im US-Immobilienmarkt verspekuliert und mussten gerettet werden. Sogar die Deutsche Bank verzeichnete einen Gewinneinbruch. Der Gewinn nach Steuern rutschte im zweiten Quartal auf 645 Millionen Euro. Im Vorjahreszeitraum standen noch 1,8 Milliarden Euro in den Büchern. Die Banken schreiben Millionen ab. In Zukunft dürfte der Risikozuschlag steigen. Die Bonität der Kunden wird daher eine viel größere Rolle spielen.

3. Unternehmen können weniger investieren, wenn das Kapital knapper und die Kredite teurer werden

"Die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen sind von der Aktienmarktkrise direkt betroffen", sagt Klaus Abberger, Volkswirt für Konjunktur und Geschäftsklima beim vom Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo). Stattdessen wird nun gespart, vor allem in der Industrie: Die Autohersteller Opel, Daimler, BMW, Ford sowie die VW-Töchter Seat und Skoda kündigten Produktionsstopps in mehreren Werken an. Der Chemiekonzern Henkel hat Investitionen in IT-Projekte gestrichen.

4. Andere Firmen verlieren Aufträge, wenn Projekte gekürzt oder gestrichen werden

Vor allem die IT-Branche leidet unter einem Nachfrageeinbruch. So hat der Softwarekonzern SAP einen Einstellungsstopp verkündet und seine Mitarbeiter dazu aufgefordert, auf einen Teil ihres Urlaubs zu verzichten. "Vor allem im Auslandsgeschäft werden deutsche Unternehmer die Krise zu spüren bekommen", sagt Konjunkturexperte Abberger.

5. Die Konditionen für Privatkunden und Verbraucher werden schlechter, in Zukunft Geld geliehen zu bekommen.

"Die Bereitschaft der Banken, Geld zu verleihen, sinkt. Dadurch steigen die Kreditzinsen - für Autos, Immobilien, Kontoüberziehungen und Kreditkarten", sagte Willi Semmler, Ökonom an der New School for Social Research in New York der Wochenzeitung Die Zeit. Was die Verbraucher auf Pump kaufen, wird sie also teuer zu stehen kommen. Weil die Aktienkurse nach unten zeigen, sinken zudem in vielen Fällen die Anlagen von Sparern. Auch Lebensversicherung, Fondssparplan und Riester-Rente sind von sinkenden Erträgen betroffen. Im nächsten Jahr könnten Zinssenkungen für Tages- und Festgeld folgen. "Die Zinsen für Sparer werden 2009 sicher zurückgehen", schätzt Andreas Rees, Chefvolkswirt von Unicredit.

6. Die Löhne in Deutschland werden stagnieren.

Zwar geht zum Beispiel die IG Metall mit ihrer Rekordforderung von acht Prozent mehr Lohn für die insgesamt 3,6 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in die Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Doch schon jetzt halten viele den Vorstoß für überzogen. Die Krise an den Aktienmärkten wird als Argument für Lohnzurückhaltung verwendet: "Die Tarifparteien gehen jetzt mit ganz anderen wirtschaftlichen Daten in die Verhandlungen", sagt Ökonom Hüfner. Andere werden noch deutlicher: Metall-NRW-Chef Horst-Werner Maier-Hunke findet die Lohnforderung schon jetzt "schwer nachvollziehbar". Da die Rückwirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft nun nicht mehr zu leugnen seien, gehöre sie "fast schon ins Absurditätenkabinett".

7. Der Konsum sinkt

Dafür sorgen teure Kredite, sinkende Erträge und stagnierende Löhne. "Die Kaufkraft wird im nächsten Jahr stark zurück gehen", glaubt Wirtschaftsexperte Rees. Aus Angst vor weiteren Verlusten werden die Verbraucher vermutlich noch mehr sparen. "Die Verbraucher werden in Zukunft sicher nicht mehr Geld abheben und es verjubeln", sagt Klaus Abberger vom Ifo-Institut. Schon im ersten Halbjahr des Jahres 2008 sparten die Deutschen 11,3 Prozent ihres verfügbaren Einkommens. "Ein erneuter Anstieg der Sparquote ist nicht auszuschließen", sagt Abberger.

8. Die Preise für einige Produkte könnten allerdings sinken und die fallende Kaufkraft ein wenig abdämpfen - zu Lasten der Industrie.

Denn die geringere Nachfrage nach Autos und Software-Produkten könnte die Hersteller zu Preisnachlässen zwingen. "Die Inflation wird demnächst nachlassen", ist sich Volkswirt Rees sicher. Derzeit liegt die Teuerungsrate in Deutschland bei 3,1 Prozent. Der zuletzt gefallene Ölpreis verstärke diesen Trend. Mit einer Deflation - also rückläufigen Preisen - rechnet Rees aber nicht. Denn die Energiepreise werden auf mittlere Sicht ansteigen.

9. Auch die deutschen Arbeitsplätze sind am Ende der Abwärtsspirale betroffen.

Zwar ist die Arbeitslosigkeit zuletzt trotz der Finanzkrise weiter gesunken und liegt nun nur noch knapp über drei Millionen Erwerbslosen. Gleichzeitig verkündet Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), dass der Arbeitsmarkt "auch einer raueren Konjunktur trotzt." Doch Experten sind da weniger optimistisch: "Es ist mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr zu rechnen", meint Volkswirt Rees von Unicredit.

10 Deutschland schlittert insgesamt in eine Rezession.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für dieses Jahr noch mit einem Plus von 1,8 Prozent, im Jahr 2009 allerdings insgesamt mit einem Nullwachstum. Auch der Export lässt nach. So verbuchte der Baltic Dry Index im September einen Rekordverlust von 53 Prozent. Dieser verzeichnet die Frachtraten der Standardrouten für das Verschiffen von Trockengütern und gilt als wichtiger Frühindikator für den Außenhandel. Damit gerät der Haushalt der Bundesregierung unter Druck - und die Ausgaben für Bildung, Forschung, Kinder und Familien.

© SZ vom 11.10.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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