Essen:Wartelisten statt Leerstand

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Früher Schmuddelgegend, heute gute Wohnadresse: das Eltingviertel am nördlichen Rand der Stadt Essen. (Foto: imago/Hans Blossey)

Das Eltingviertel war ziemlich heruntergekommen, hatte mit Kriminalität zu kämpfen - bis jemand eine Idee hatte. Heute ist die Gegend eine gute Adresse.

Von Stefan Weber

Es ist ein bisschen so wie im Märchen von Dornröschen, das nach langem Schlaf erwacht und sogleich seine Schönheit erahnen lässt: Wer durch die Gertrudisstraße oder die Beisingstraße im Essener Eltingviertel spaziert, bekommt gleich eine Vorstellung davon, wie prachtvoll es hier früher einmal ausgesehen hat. Ende des 19. Jahrhunderts, als der Unternehmer Hermann Elting in unmittelbarer Nähe zur Zeche "Victoria Mathias" Mietshäuser im Stil der damaligen Zeit errichten ließ. Fast schachbrettartig, Zeile um Zeile, mit besonders repräsentativen, turmartig erhöhten Bauten an den Straßenecken. Putz- und Backsteinfassaden sind reich verziert mit Fruchtgehängen, Voluten, Pilastern oder Balustraden. Eine Augenweide für Architekturliebhaber.

Aber noch ist Dornröschen nicht ganz erwacht. Der frühere Glanz des Viertels blitzt noch nicht überall auf. Noch gibt es vereinzelt Häuser mit ausgeblichenen Fassaden, an denen der Putz bröckelt. Morsche Fenster, die mit Brettern zugenagelt sind. Traurige Hinterhöfe, vollgestopft mit Dreck und Unrat. All das sind Überbleibsel einer Zeit vor 2015, als das Viertel mit Vandalismus und Kriminalität zu kämpfen hatte, als fast jede fünfte Wohnung leer stand. Lange Zeit hatte es keine Idee gegeben, wie man die Entwicklung in diesem, gleich an die Innenstadt und die Universität grenzenden Teil Essens drehen könnte. Bis die Innovation City Management GmbH (ICM) den Immobilienkonzern Vonovia, der im Eltingviertel über große Bestände verfügt, überzeugte, in Energieeffizienz und Wohnkomfort zu investieren. Und das in großem Stil. Der Hauseigentümer steckt bis 2020 gut 27 Millionen Euro in das Projekt. Er lässt Dächer und Kellerdecken dämmen, isolierverglaste Kunststofffenster einbauen, stromfressende Nachtspeicherheizungen austauschen, die Fassaden aufwerten und Balkone anbauen. Schmuckstück ist der Victoriahof: einst ein heruntergekommener Häuserblock, heute eine begehrte Wohnadresse mit begrüntem Innenhof. Die Modernisierer belassen es jedoch nicht bei der Sanierung des Bestandes. Sie bauen Kindertagesstätten, gestalten in Absprache mit den Anwohnern Freiflächen und Innenhöfe neu und bemühen sich um eine neue soziale Mischung. So kauften sie beispielsweise ein Haus, in dem eine Shisha-Bar zu Hause war und etablierten dort ein Künstlerzentrum. Manch einer in der Stadt sieht im Eltingquartier bereits das kommende Szene-Viertel Essens.

Das Engagement des Vonovia-Konzerns, der im Elting-Viertel bis 2020 etwa 1400 Wohnungen energetisch saniert, hat andere Hauseigentümer angespornt, ebenfalls zu investieren. Wer ist schon gern Besitzer einer Schmuddel-Immobilie, die von frisch renovierten Gründerzeit-Häusern umgeben ist? "Wir haben auch viele Eigentümer einzelner Immobilien überzeugt, dass es den Wert ihres Investments erhöht und die Vermietbarkeit verbessert, wenn sie die Wohnungen energetisch sanieren und aufhübschen", sagt Schumann, Sprecher der ICM. Er führt häufig Besuchergruppen durchs Quartier. Sie kommen aus dem gesamten Bundesgebiet und auch aus dem Ausland. Dabei erkundigt sich manchmal jemand, wie sich der Leerstand entwickelt hat. Dann schmunzelt Schumann kurz und antwortet: "Wenn Sie hier wohnen wollen, müssen Sie sich auf eine Warteliste eintragen."

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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