Britischer Immobilienmarkt:Brexit - na und?

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Das ausrangierte Kraftwerk Battersea Power Station am Südufer der Themse ist bekannt vom Cover eines Pink-Floyd-Albums. Nun werden dort mit Hilfe malaysischer Investoren Tausende schicke Wohnungen gebaut - und die neue Londoner Zentrale von Apple. (Foto: Toby Melville/Reuters)

Im nächsten Jahr verlässt Großbritannien die EU. Trotzdem ziehen internationale Konzerne prächtige Büros in London hoch, und Asiaten investieren Milliarden.

Von Björn Finke

Das neue Bürogebäude im Norden von Londons Innenstadt wird auch Landscraper genannt, in Anlehnung an Skyscraper, also Wolkenkratzer. Denn der Komplex wird mit 330 Metern länger sein, als das mächtigste Hochhaus in der Kapitale hoch ist. Auf dem Dach des elfstöckigen Riegels am Bahnhof King's Cross wird ein Garten angelegt plus eine 200 Meter lange Joggingstrecke für die mehr als 5000 Beschäftigten, die dort ihre Schreibtische haben sollen. Baubeginn für die Londoner Zentrale von Google ist in diesem Jahr. Das US-Internetunternehmen will sein Team an der Themse um 3000 Angestellte vergrößern.

Im November 2016, fünf Monate nach dem EU-Referendum, besuchte Google-Chef Sundar Pichai die Stadt und verkündete, er werde an seinen ehrgeizigen Plänen für London festhalten. Er schwärmte von der "großartigen Zukunft" seiner Branche im Königreich. Politiker auf der Insel jubilierten über den Vertrauensbeweis gegenüber Brexit Britain: einem Land, dessen künftige Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner, der übrigen EU, unklar sind.

Und Google ist nicht der einzige US-Internetkonzern, der Vertrauen zeigt und in prächtige Büros in London investiert. So eröffnete Facebook im Dezember 2017 einen Standort im West End und versprach, 800 zusätzliche Stellen zu schaffen. Amazon zog bereits im Juli in ein neues 15-stöckiges Bürohaus im hippen Stadtteil Shoreditch ein; der Online-Händler möchte 450 weitere Entwickler in London anheuern. Apple wiederum will 2021 eine neue Londoner Zentrale am südlichen Themseufer einweihen, in der Battersea Power Station, einem ausrangierten Kraftwerk. Die Industrie-Ikone ist bekannt vom Cover des Pink Floyd-Albums "Animals". Die Büros bieten Platz für 3000 Beschäftigte; bisher hat der Konzern 1400 Angestellte im Land.

Schon in einem guten Jahr verlässt Großbritannien die EU. Das wird die Geschäfte von Londons wichtiger Finanzbranche erschweren; Banken und Versicherer könnten geschätzt Tausende Stellen aufs europäische Festland verlagern. Trotzdem wird weiter in neue Büros investiert, wenn auch insgesamt etwas verhaltener als in den vergangenen Jahren. Viele internationale Konzerne - und Immobilienentwickler - gehen offenbar davon aus, dass die 8,8-Millionen-Einwohner-Stadt nach dem Austritt attraktiv für Fachkräfte aus aller Welt bleiben wird. Und damit für Unternehmen. Zwar verspricht die Regierung, nach dem Brexit die Einwanderung aus der EU zu kontrollieren. Gleichzeitig sagt sie aber den Firmen zu, dass Talente aus der Fremde immer willkommen seien. Das ist wichtig: Unternehmen wählen das sündhaft teure London als Standort aus, weil die kosmopolitische Metropole junge, gut ausgebildete Menschen von allen Kontinenten anzieht. Es gibt angesehene Hochschulen vor Ort und Cambridge und Oxford in der Nähe. Zudem verfügt London über eine boomende Start-up-Szene und ist ein globales Finanz- und Designzentrum. Der Brexit - so die Erwartung - wird an diesen Vorteilen im Großen und Ganzen nichts ändern.

Allerdings deuten Untersuchungen von Deloitte darauf hin, dass Immobilienfirmen vorsichtiger werden. Die Berater erstellen zweimal im Jahr den "London Office Crane Survey", der über angefangene und abgeschlossene Büroprojekte berichtet. In der Studie von November heißt es, dass wohl seit 2004 nicht mehr so viel neue Bürofläche auf den Markt gekommen ist wie 2017. Zugleich bleibe die Nachfrage hoch: So seien 44 Prozent der Flächen, die noch gebaut werden, bereits im Voraus vermietet. Doch wurden Deloitte zufolge weniger neue Projekte angefangen; hier liegen die Daten zur Bürofläche ein Fünftel unter dem langfristigen Durchschnitt.

Neben dem Vertrauen von internationalen Konzernen stützen vor allem zwei Faktoren den Markt: der Boom von Coworking-Anbietern und das Interesse aus Fernost. Coworking-Unternehmen wie Wework aus den USA vermieten einzelne Schreibtische oder kleine Büros an junge Firmen und an Freiberufler, die nicht zu Hause arbeiten wollen. Die Räume sind schick, es gibt Kaffeebars und abends Vorträge oder gesellige Runden. In London steigt die Zahl solcher Gebäude rasant.

Zudem stecken Investoren aus Asien weiterhin viel Geld in die Kapitale. An der Battersea Power Station entstehen neben Apples Büros 4239 - meist sehr teure - Wohnungen, eine Konzerthalle und ein Einkaufszentrum. Die umgerechnet zehn Milliarden Euro dafür stammen aus Malaysia.

Im vergangenen Jahr wechselten auch zwei bekannte Hochhäuser in der City, dem Finanzviertel, den Besitzer. Ein Konzern aus Hongkong zahlte 1,5 Milliarden Euro für einen Turm mit dem Spitznamen Walkie-Talkie - der bislang höchste Preis für ein Gebäude im Königreich -, und eine chinesische Immobilienfirma erwarb für 1,3 Milliarden Euro einen Glaspalast, den die Londoner Cheesegrater nennen, Käsereibe. Investoren aus dem Ausland profitieren davon, dass das Pfund seit dem EU-Referendum kräftig an Wert verloren hat. Das macht Käufe auf der Insel billiger.

Bei Wohnungen ist der Boom der vergangenen Jahre hingegen vorbei. Nach Angaben der Hypothekenbank Nationwide fielen die Wohnungspreise in London 2017 um 0,5 Prozent auf durchschnittlich 530 000 Euro, der erste Rückgang seit acht Jahren. Die Ratingagentur Fitch erwartet für 2018 ein weiteres kleines Minus. Besonders stark sanken die Preise für Luxusobjekte. Ein Grund dafür sind Steueränderungen. So erhöhte die Regierung 2014 für besonders teure Häuser die Stamp Duty, eine Abgabe beim Kauf, und senkte sie für billige Immobilien. Zudem bestraft seit 2016 ein Zuschlag jene Käufer, die bereits eine Immobilie besitzen. Auch Unsicherheit über die Folgen des Brexit dürfte manch reichen Europäer vor dem Kauf eines Penthouses in London zurückschrecken lassen.

Hauptursache dafür, dass die Hauspreise nicht mehr steigen, ist aber etwas anderes: Nach dem rasanten Wachstum der vergangenen Jahre können sich immer weniger Bürger eine Wohnung leisten. Inzwischen liegt der Preis bei 14,5 durchschnittlichen Jahresgehältern von Londonern. Außerdem werden Hypotheken kostspieliger, da die Notenbank im November 2017 angefangen hat, die Zinsen zu erhöhen.

Die Wohnungen in der Metropole sind also schlicht zu teuer geworden. Würden sie langsam wieder günstiger, wäre das gut für die Stadt und für ihre Bürger.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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