Ausstellungen:Megatrends und Musterstädte

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Auf der IBA Hamburg wurde bis Ende 2013 das Algenhaus vorgestellt. Es soll sich mit Photobiokollektoren in der Fassade selbst mit Energie versorgen. (Foto: Maja Hitij/dpa)

IBA steht für experimentelles Bauen und innovative Stadtplanung. Einen Überblick gibt das Projekt "Open IBA".

Von Rainer Müller

Seit mehr als 100 Jahren finden internationale Bauausstellungen in Deutschland statt. Aber anders als der Name vermuten lässt, sind sie keine Ausstellungen im herkömmlichen Sinn. Es gibt kein umzäuntes Gelände, für das Besucher Eintritt zahlen, um dann schicke Einfamilienhaustypen oder neue Wohnformen zu besichtigen - jedenfalls nicht mehr. Heute sind internationale Bauausstellungen, kurz IBA, vielmehr ein Instrument der Stadt- und Regionalentwicklung, eines, das immer populärer wird. Auch im Ausland. Aktuell gibt es gleich vier Bauausstellungen: in Heidelberg, in Thüringen, im Dreiländereck um Basel und in der niederländischen Grenzregion Limburg bei Aachen. Sie widmen sich unterschiedlichen Fragestellungen.

"Eine gelungene IBA gibt Antworten auf die jeweils aktuellen Zukunftsfragen des Städtebaus", erklärt Michael Braum, Professor für Städtebau und Entwerfen an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover und Geschäftsführer der IBA Heidelberg. In Heidelberg mit seiner weltberühmten Universität, den Max-Planck-Instituten und vielen weiteren Forschungseinrichtungen heißt das Thema "Wissen-schafft-Stadt". "Die Digitalisierung der Gesellschaft und die Entwicklung zur Wissensgesellschaft werden strukturelle Auswirkungen auf unsere Städte haben", sagt Braum. "Auswirkungen, die vergleichbar sind mit den Veränderungen der Städte im Zuge der Industrialisierung." Unternehmen wie Siemens hätten Städte geprägt mit ihren Fabriken, Arbeitersiedlungen und ihrer teils repräsentativen Architektur. "Aber wie sehen unsere Städte zukünftig aus mit Blick auf Industrie 4.0?", fragt Braum. Antworten will die IBA Heideberg ab 2018 auf einem ehemaligen Kasernengelände der US-Army geben, dem Patrick Henry Village (PHV). Heidelberg hat einen hohen Bevölkerungsanteil an "Wissensnomaden", mehr als 30 000 Studenten und Doktoranden sowie Projektmitarbeiter, die für ein paar Jahre hier leben, forschen, arbeiten und Start-ups gründen. Sie benötigen Labore und Garagen sowie bezahlbaren Wohnraum. Auf 100 Hektar, einer Fläche größer als die Altstadt, soll im Patrick Henry Village beides in ausreichender Zahl entstehen: 5000 Wohneinheiten und 5000 Arbeitsplätze.

Kees Christiaanse vom renommierten Architekturbüro KCAP aus Rotterdam soll im Februar eine Entwicklungsvision für das Projekt präsentieren, die ab 2018 umgesetzt werden kann. Ziel ist es, bis zum Ende der IBA Heidelberg im Jahr 2022 erste Bauten vorzeigen zu können. "Das wird eine Musterstadt für die Wissensstadt von morgen", ist IBA-Geschäftsführer Braum überzeugt. Andere Projekte sollen zum Ende der IBA-Laufzeit komplett errichtet werden - darunter ein begehbarer Wärmespeicher, der als Landmarke dienen und einen Beitrag zur Energiewende leisten soll.

Auf zehn Jahre ist die Heidelberger IBA angelegt. Wie alle anderen Bauausstellungen ist sie ein Arbeitsprozess auf Zeit, an dessen Ende die gebauten Ergebnisse eine Art "Realausstellung" bilden und ihren Bewohnern oder Nutzern dauerhaft zur Verfügung stehen. In Hamburg-Wilhelmsburg etwa hatte die 2013 beendete IBA innerhalb von sieben Jahren etwa 70 Projekte inklusive 1200 Wohneinheiten fertiggestellt. Für den zuvor lange vernachlässigten Stadtteil südlich der Elbe war dies der Startschuss für eine seither anhaltende Entwicklung. Eine IBA-Nachfolgegesellschaft steuert nun den Bau von 5000 weiteren Wohnungen, Gewerbeimmobilien und sozialer Infrastruktur.

Die erste IBA fand 1901 in Darmstadt statt und hinterließ die Künstlerkolonie Mathildenhöhe

Hamburg ist eine boomende Metropole, Heidelberg und Basel sind ebenfalls wachsende Schwarmstädte. Die dortigen Bauausstellungen arbeiten also unter Bedingungen des Wachstums, der anhaltenden Urbanisierung. Andere Bauausstellungen hingegen widmen sich auch den entgegengesetzten Megatrends: Überalterung und Bevölkerungsschwund in ländlichen oder altindustriellen Regionen. Die IBA Stadtumbau in Sachsen-Anhalt hatte sich beispielsweise bis 2010 der geregelten Schrumpfung von Städten wie Dessau-Roßlau und Aschersleben verschrieben und nur vereinzelt durch Baukultur Impulse für die Wiederbelebung von Ortszentren gesetzt. Die aktuelle IBA Thüringen will sich neben dem demografischen Wandel noch bis 2023 den Stadt-Umland-Beziehungen widmen - etwa durch Umbau und Umnutzung verwaister Bahnhofsgebäude in Apolda oder Rottenbach.

Die Bandbreite der Themen und der konkreten Projekte bei den verschiedenen Bauausstellungen ist groß. Generell hat sich das Format IBA in den vergangenen gut 100 Jahren deutlich verändert, wie die Ausstellung "Open IBA", zeigt, die vor Kurzem erstmals zu sehen war: Die erste IBA fand 1901 in Darmstadt statt und hinterließ dort die Künstlerkolonie Mathildenhöhe, die heute als Zentrum des Jugendstils gilt. Etwa 20 Jahre später entstand in Stuttgart die Weißenhofsiedlung, als bekanntestes Zeugnis der Neuen Sachlichkeit in Deutschland. Die im Dezember eröffnete "Open IBA" macht deutlich, wie bei den frühen IBAs neue Baustile und experimentelles Bauen im Vordergrund standen, während Bauausstellungen heute eher als stadtentwicklungspolitische Instrumente eingesetzt werden. Gleichzeitig werden sie auch zum "Exportschlager": Mit der IBA Basel findet seit 2010 eine Bauausstellung länderübergreifend und mit Schwerpunkt in der Schweiz statt, 2013 folgte die IBA Parkstad in der niederländischen Bergbauregion Limburg und über die Grenze hinweg nach Aachen. Aktuell formiert sich mit der IBA Wien sogar erstmals eine Bauausstellung komplett außerhalb Deutschlands.

Die Ausstellung "Open IBA" gibt einen umfassenden Überblick über die Veränderungen. "Open IBA wird das Format Bauausstellung noch stärker öffentlich und auch international bekannt machen und den Exzellenzanspruch an IBA und ihre Projekte vermitteln," sagte Staatssekretär Gunther Adler bei der Eröffnung. Gleichzeitig ging auch die Internetseite Open-iba.de online, in der erstmals die aktuellen und früheren Bauausstellungen gemeinsam dargestellt werden. "Wir haben Open IBA als Ausstellung 'on Demand' angelegt", erklärt Georg Gräser, Projektleiter bei der IBA Thüringen, die gemeinsam mit den Heidelbergern die Ausstellung konzipiert hat. "Interessierte Institutionen können die Ausstellungsplakate selbst ausdrucken und aufhängen." Das Interesse andere Städte und Regionen am Format IBA ist groß. Auch Stuttgart möchte jetzt im Frühjahr mit einer Bauausstellung starten: Die IBA Stadtregion Stuttgart 2027 - pünktlich zum 100. Geburtstag der Weißenhofsiedlung.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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