Architektur:Schöner wohnen - nur für Reiche?

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Stefan Höglmaier im Hochbunker an der Münchner Ungererstraße. (Foto: Robert Haas)

Gute Architektur ist eher eine Frage des Könnens und Wollens als des Bezahlens.

Von Gerhard Matzig

Die Geschichte des Reihenhauses ist bekannt. Spätestens seit sich in England das serielle Backsteinglück des industrialisierten 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat, hat sich dieser sowohl besondere als auch banale Bautypus weltweit verbreitet. Irgendwo zwischen Traumhaus und Immobilienmarktrealität changierend. Dass aber auch die Geschichte des Reihenhauses als Keimzelle visionären Unternehmertums, entschlossener Ästhetik, sehnsuchtsvoller Eleganz und des Ringens um das Besondere im Alltäglichen dringend aufzuschreiben wäre: Auf diese Idee kann man dann kommen, wenn man in München bei Stefan Höglmaier, nein, nicht im Reihenhaus, sondern auf dem spektakulären Bunkerdach an der Ungererstraße sitzt und nach Südosten über den Englischen Garten hinweg ungläubig in die Vormittagssonne blinzelt. So kann man wohnen?

Nicht dass man jetzt einem Anfall von Sozialneid nachgeben würde, aber die Dachterrasse, die zu einem großzügig dimensionierten Penthouse gehört und einen faszinierenden Blick auf die Nachbarschaft aus Naturraum und Urbanität bietet, lässt einen dann doch darüber nachsinnen, ob das sonstige Wohnen in unserer Zeit nicht eine ähnliche Karriere anstreben könnte. Sollte. Eigentlich müsste. Also vom unansehnlichen Schutzbunker hin zur verblüffenden Wohnästhetik. Der Immobilienexperte Stefan Höglmaier hat vor einigen Jahren die bis dahin ungeliebte Ex-Nazi-Immobilie entdeckt, sie denkmalgerecht umgebaut und wohnt jetzt dort, wo zuvor ein Wohnen undenkbar erschien - auf und im Bunker.

Die Masse der Menschen wird in gesichtslose, wenig geliebte Wohnregale gestopft

Der heute 44-Jährige hat vor genau 20 Jahren das Unternehmen Euroboden als eine seither in besonderer Weise der Baukultur und Architektur verpflichtete Immobilienentwicklungsfirma gegründet. Dass er jetzt in einem zum Penthouse umgebauten Ex-Bunker wohnt, hat etwas mit dem Reihenhaus zu tun - um auf die These zurückzukommen, wonach das deutsche Reihenhaus womöglich so etwas sein könnte wie die amerikanische Garagenfirma (unter anderem als mythischer Gründungsort für Apple, Google oder Disney): Weil es da eben einmal dieses Reihenhaus gab. Es ist Stefan Höglmaiers Elternhaus im Umland von München. Sein unglücklich proportioniertes Kinderzimmer im peripher gelegenen Reihenhaus weckte in ihm den Wunsch nach einem Wohnen, das mehr ist als ein Dach über dem Kopf. Warum sollte etwas so Alltägliches wie das Wohnen in Räumen nicht zugleich auch etwas so Besonderes wie das Wohnen in besonders schönen Räumen sein? Stefan Höglmaier begeisterte sich daher schon früh für die Baukunst. Und für die Kunst, Ästhetik und Ökonomie zu verbinden. Dem Reihenhaus sei Dank. Als Immobilienentwickler hat Euroboden zunächst Wohnarchitekturen in München realisiert, dann auch außerhalb - das Unternehmen expandiert: 40 Mitarbeiter erwirtschaften mittlerweile einen Umsatz von etlichen Millionen Euro pro Jahr. Euroboden ist auch weit über München hinaus bekannt, auch durch die Zusammenarbeit etwa mit Größen wie David Chipperfield oder Arno Brandlhuber. Und das in einer Branche, die zu oft genau an der Architektur spart, um statt Qualitäten lieber Quantitäten herzustellen. Euroboden will zeigen, dass das Wohnen auch sinnlich schön sein kann. Oder gilt das, und das will man nun von Stefan Höglmaier erfahren, nur dann, wenn eine besonders finanzkräftige Klientel eine besondere Architektur nachfragt und auch einen besonderen Preis dafür bezahlt?

Der Blick auf die Baugeschichte des "einfachen Wohnens" lehrt ja eigentlich, dass Baukultur nicht unbedingt mit der Ökonomie verknüpft sein muss. Von den Siedlungen Bruno Tauts bis zum Bauhaus, von der "Fuggerei" in Augsburg bis zur "Borstei" in München, von den backsteinern-roten "terraced houses" in London (Reihenhäuser!) bis zu den Siedlungsbauten im "Roten Wien": Aus vielen Schichten der Baugeschichte sind Beispiele bekannt, die Baukultur auch jenseits der Sphäre einer sozioökonomischen Elite hinein in der Mitte der Gesellschaft verorten. Doch heute ist es genau umgekehrt: Das Wohnen in Schönheit ist zum Minderheitenprogramm geworden. Die Masse der Wohnenden wird in jene gesichtslosen, daher auch nicht als Lebensräume geliebten Wohnregale gestopft, die dem Billy-Regal entsprechen. Im Gegensatz zum Möbel von der Oma, vom Schreiner oder vom Designer. Den Preis für diese Entwicklung zahlen auch die Städte, in deren Siedlungsbrei kaum mehr Sehenswürdigkeiten zustande kommen. Muss das so sein?

Stefan Höglmaier sagt: "Nein. Es ist nicht so viel teurer, anspruchsvoll zu planen und zu bauen, wie man denken könnte. Da geht es, im Verhältnis zu den Grundstückswerten, nicht um riesige Summen, die den Unterschied machen. Klar ist: Gutes Bauen kostet auch gutes Geld. Aber nur für etwas höhere Gesamtinvestments einschließlich Grundstück, könnte man sehr viel mehr Architekturkultur realisieren. Außerdem: Nicht allein der finanzielle Aufwand definiert den Unterschied, sondern auch die Bereitschaft, eine architektonische Vision zu entwickeln für einen Wohnwert, der eben nicht allein nur in quantitativen Zahlen zum Ausdruck kommt, sondern in Qualitäten erlebbar wird."

Mit anderen Worten: Architektur ist kein seltenes und exotisches Gut, ein Premiumsegment, wie man mit Blick auf den Immobilienmarkt meinen könnte, sondern sie wird nur zu selten in einer gemeinsamen Kraftanstrengung realisiert. Aber natürlich geht es ganz allgemein auch um den viel zu teuer gewordenen Baugrund, um das viel zu teuer gewordene Bauen, um zu viele und zu schräge Bauvorschriften, um den bürokratischen Furor am Bau ... jedoch: Architektur ist gerade beim Wohnen eher eine Frage des Könnens und Wollens als des Bezahlens.

Nach einem Gespräch mit Stefan Höglmaier kann man durchaus das Gefühl haben: Wenn jemand den Luxus der Schönheit, der kein Luxus, sondern ein Jedermann-Recht ist, für das Wohnen der Gegenwart zurückerobern kann, dann ist das womöglich jemand mit Reihenhaus-Erfahrung und dem Wunsch nach Häusern, die mehr bedeuten als das Dach über dem Kopf. Es wäre großartig, wenn sich die Experten der Premiumsegmente, die mit dem Begriff der Architektur für sich werben, auch daran erinnern könnten, dass Architektur auch ein allgemeines, kulturell gestimmtes Anliegen ist.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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