Tech-Konzerne in der EU:Eine Lobby-Schlacht, wie sie Brüssel lange nicht gesehen hat

Lesezeit: 4 min

Mächtige Konzerne. Wer heute im Internet surft, kann ihnen kaum entkommen. (Foto: Reuters)

Es geht um ein Internet für den Menschen: Wenn Europa die Plattformwirtschaft wirklich kontrollieren will, müssen wir manipulative Geschäftsmodelle verbieten.

Gastbeitrag von Jan Penfrat

In dieser Woche beginnt in Brüssel eine Lobby-Schlacht, wie sie die europäische Hauptstadt seit Jahren nicht gesehen hat. Die EU-Kommission will ein Gesetzespaket vorschlagen, das die Macht von Internetkonzernen wie Google, Facebook oder Apple beschränken soll. Das "Gesetz über digitale Dienste" und das "Gesetz über digitale Märkte" haben das Potenzial, die monopolartige Kontrolle aufzubrechen, welche die großen Plattformen aus dem Silicon Valley heute über unser digitales Leben ausüben.

Das Internet war nicht immer so zentral gesteuert wie heute. "Die ursprüngliche Idee war, dass das Web ein kollaborativer Raum sein soll, in dem alle miteinander kommunizieren und Informationen teilen können", sagte Tim Berners-Lee, einer der Pioniere des frühen Internets, im Jahr 2003. Die dezentrale Architektur des damaligen Netzes barg dabei erhebliche sozioökonomische Chancen: niedrige Innovationskosten, unendliche Möglichkeiten, bestehende Technologien für neue Dienste zu nutzen, sowie die Freiheit der Nutzerinnen und Nutzer, sich für oder gegen die Nutzung bestimmter Dienste zu entscheiden.

Nutzer und Nutzerinnen sind zum Produkt geworden

Heute wirkt dieser kollaborative Raum wie ein ferner Traum. In den vergangenen 15 Jahren sind immer größere Teile des einst unabhängigen Netzes im gierigen Bauch hyperzentralisierter Plattformkonzerne verschwunden. Google kontrolliert das größte Werbenetzwerk in der Geschichte der Menschheit; seine Tracking-Technologie steckt heute in mehr als 75 Prozent der 80 000 meistbesuchten Webseiten. Facebook bezahlt Mobilfunkanbieter im Globalen Süden dafür, dass diese ihren Kunden den Zugriff auf Facebook-Dienste wie Instagram, Messenger oder Whatsapp nicht auf das Datenvolumen anrechnen. Amazon beherbergt einen Großteil der weltweiten Clouddienste, von Netflix bis zu den Computersystemen des US-Militärs.

Die meisten Big-Tech-Unternehmen sind zu wahren Konglomeraten herangewachsen. Wer heute ins Internet geht, kann den Onlineriesen faktisch kaum mehr entkommen; selbst dann nicht, wenn man es nach allen Kräften versucht.

Das Geschäftsmodell der Big-Tech-Konzerne besteht dabei aus der gezielten Manipulation durch mikropersonalisierte Werbung. Heute ermöglichen es Plattformen wie Facebook jedem, der genügend Geld auf den Tisch legt, einzelne Menschen oder Gruppen gezielt anzusprechen, mit Botschaften, die auf intimsten persönlichen Daten aufbauen wie unserer Gesundheit, unserer politischer Überzeugung oder unserem psychologischen Profil. In dieser undurchsichtigen Branche sind die Nutzerinnen und Nutzer zum Produkt geworden. Unsere persönlichsten Momente werden als Ware an die Meistbietenden verhökert.

Wir haben die Kontrolle verloren

Warum wir das geschehen lassen? Big-Tech-Konzerne bringen uns mit allerlei Tricks dazu, ja nicht zur Konkurrenz abzuwandern. Die riesige Nutzerbasis führt dabei zu dem, was Kritiker "Lock-in-Effekt" nennen: Selbst wer die großen Plattformen wie Facebook oder Instagram verlassen möchte, tut es nicht - aus Angst, die Verbindung mit Freundinnen und Freunden dort zu verlieren. Und selbst wenn Menschen eine der großen Plattformen verlassen, wechseln sie meist zu einem vergleichbaren Big-Tech-Dienst.

Das Ergebnis: Das meiste, was wir online tun, wird heute von einer Handvoll privater Konzerne kontrolliert, die im Hintergrund tiefgreifenden Einfluss auf das digitale Leben von Milliarden von Menschen nehmen. Diese Konzerne entscheiden, was wir online sagen dürfen und was entfernt wird, und sie kontrollieren unsere Geräte.

Wie lässt sich das so kontrollierte Internet befreien? Populär ist der Vorschlag, Big Tech aufzuspalten, in den USA hat die Wettbewerbsbehörde FTC gerade eine entsprechende Klage eingereicht. Ebenfalls oft diskutiert: Plattformen müssten lediglich für das Verhalten ihrer Nutzerinnen und Nutzer haftbar gemacht oder gesetzlich dazu gezwungen werden, Algorithmen zu entwickeln, die automatisch die Legalität von Onlineinhalten prüfen (Spoiler: Algorithmen sind ziemlich schlecht in komplexer Rechtsanalyse).

Jan Penfrat arbeitet als Politikberater für die Organisation European Digital Rights (EDRi), die sich für Datenschutz und die Freiheit der Bürger in der Informationsgesellschaft einsetzt. Zuvor war er als freier Journalist für das Web-Portal Golem.de tätig und Trainer für IT-Sicherheit und Datenschutz. (Foto: oh)

Keine dieser Vorschläge löst jedoch das zugrunde liegende Problem: Big-Tech-Konzerne unterliegen den falschen wirtschaftlichen Anreizen. Es liegt in Youtubes Geschäftsinteresse, uns polarisierende Videos zu zeigen, weil die Menschen dann erwiesenermaßen länger auf der Plattform bleiben und so mehr Werbung anschauen können. Für Facebook ist es profitabel, Mobilfunkanbieter zu bezahlen, um den Menschen des Globalen Südens "kostenlosen" Zugang zu seinen Diensten zu ermöglichen, weil sie so eher auf Facebook bleiben, anstatt den (teuren) Rest des Internets zu entdecken. Apple hat allen Grund, die digitalen Freiheiten seiner iPhone-Nutzerinnen und -Nutzer zu minimieren, um deren Zugang zu den Apps von Wettbewerbern zu beschränken.

Europa sollte den Menschen ihre Wahlfreiheit zurückgeben

Wenn Europa die Plattformwirtschaft wirklich reformieren will, müssen wir andere Anreize schaffen. Der erste Schritt, den ein europäisches Digitalgesetz tun muss, ist ein klares Verbot manipulativer Geschäftsmodelle. Dazu sollte die EU die Möglichkeit drastisch einschränken, persönliche Daten für das Ausspielen personalisierter Werbung zu missbrauchen, oder diese ganz unterbinden.

In einem zweiten Schritt sollte Europa den Menschen ihre Wahlfreiheit zurückgeben. Dominante Tech-Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Plattformen auch für Nutzerinnen und Nutzer von Wettbewerbern zu öffnen. So wäre es zum Beispiel einer Nutzerin der Twitter-Alternative Mastodon möglich, mit Freunden auf Facebook zu interagieren, ohne dass sie dafür selbst ein Facebook-Konto benötigt. Diese sogenannte "verpflichtende Interoperabilität" für Big-Tech-Konzerne würde die Lock-in-Effekte reduzieren, mit denen die Großen derzeit den Wettbewerb behindern. So entstünden ganz neue Möglichkeiten für Tech-Unternehmen, digitale Dienste zu entwickeln, die auf bestehenden Plattformen aufbauen und diese erweitern. Darüber hinaus hätten endlich auch Wettbewerber eine Chance, deren Geschäftsmodelle den Schutz der Privatsphäre respektieren.

Europa steht an einem digitalen Scheideweg. Wir sollten uns nicht damit aufhalten, an den kaputten Geschäftsmodellen von gestern herumzudoktern. Die EU braucht Gesetze, welche die Macht der Big-Tech-Konzerne effektiv begrenzen. Gesetze, die Menschen ermächtigen, die Kontrolle über ihr digitales Leben zurückzuerlangen und nur solche Dienste zu nutzen, denen sie wirklich vertrauen. Das Gesetzespaket, das die EU-Kommission in dieser Woche vorstellen will, könnte diese Vision wahr machen.

Es bleibt abzuwarten, ob die EU dem Lobbydruck der Big-Tech-Konzerne standhält und den politischen Mut aufbringt, diesen Schritt auch zu gehen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Corona-Warn-App
:Sie ist so frei

Die Corona-Warn-App gibt es nun auch in einer völlig quelloffenen Variante - allerdings nur für Android-Nutzer. Programmiert haben sie vier deutsche Entwickler.

Von Helmut Martin-Jung

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK