Soziale Netzwerke:Der Facebook-Geist ist aus der Flasche

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Soziale Netzwerke sind im Wesentlichen Plattformen zur Abschöpfung von werblich verwertbarer Information. (Foto: Eric Baradat/AFP)

Soziale Netzwerke wie Facebook werden so schnell nicht verschwinden. Staaten sollten deswegen dafür sorgen, dass die Plattformen weniger Schaden anrichten.

Von Helmut Martin-Jung

An ihren Dieseln sollt ihr sie erkennen. Nein, nicht die Dienstwagenwagenfahrer. Rechenzentren. Auf den meisten davon stehen auf dem Dach Dieselaggregate, kleine Schlote verraten es. Sie sollen im Falle eines Stromausfalls die Versorgung mit Strom sicherstellen. In Frankfurt, der deutschen Internet-Hauptstadt, gibt es schon so viele Rechnerhallen, dass der Platz dafür langsam knapp wird. Wenn man einmal bedenkt, dass in den 1990er-Jahren der schnarchlangsame Zugang zu diesem Internet ("Bin ich schon drin oder was", warb Tennisstar Boris Becker) noch minutenweise abgerechnet wurde, hat sich doch Einiges getan seitdem.

Und trotzdem gibt es Menschen, die sich die Prä-Internetzeit herbeiwünschen. Klar ist ein Narr, wer allem, was sich Fortschritt nennt, blind hinterherrennt. Zumal der nicht selten von Konzernen mitgesteuert wird. Weniger Fixierung auf den Individualverkehr etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - würde den Städte(r)n heute unglaublich guttun. Wären nicht Autos bevorzugt worden, könnte die Bahn womöglich eine funktionierende Dienstleistung anbieten. Also ja: Fortschritt ist nicht per se gut.

Fortschritt ist aber auch nicht per se schlecht. Vielleicht sollte man dabei nicht zu viel von den Menschen erwarten. Manche Dinge brauchen ihre Zeit, bis sich die Ecken und Kanten abgeschliffen haben. Das geschieht hoffentlich auch mit dem, was man soziale Netzwerke nennt. Sie heißen sozial, weil Menschen darüber Kontakt knüpfen können mit anderen. Allerdings sind sie nicht sozial in dem Sinne, dass sie einen überwiegend positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Informationsblasen wirken in diesen Netzwerken verstärkend

Diese Netzwerke sind im Wesentlichen Plattformen zur Abschöpfung von werblich verwertbarer Information. Trolle, Radikale aller Couleur und sonstige Idioten nutzen sie, um ihren geistigen Müll zu verbreiten. Und gerissene Politik-Influencer mit Unterstützung aus den Machtzentren verwenden sie auf teils hinterhältige Weise zu ihren Gunsten. Informationsblasen wirken in diesen Netzwerken verstärkend. Selbst die verrücktesten Sektierer finden hier noch Gleichgesinnte.

Dass sie aber erheblich mehr sein können, wird nun in Zeiten der Corona-Pandemie auch deutlich. Es ist ja nicht so, dass die Netzwerke nicht funktionieren würden. Sie tun das sogar ziemlich gut, sonst würden sie auch für ihre Betreiber nicht so viel Nutzen bringen. Man kann damit tatsächlich den Kontakt zu seinen Freunden aufrechterhalten, auch wenn es gerade nicht möglich ist, sie leibhaftig zu treffen. Natürlich ist das nur die zweitbeste Lösung, aber die erste steht eben im Moment nicht zur Verfügung. In dieser Hinsicht sind die Netzwerke den früheren Möglichkeiten - im Wesentlichen also dem Telefonieren - deutlich überlegen.

Das führt zu der Frage, ob das eine (die wunderbaren Fähigkeiten zur Vernetzung) ohne das andere (die Falschnachrichten, der Hass) zu haben ist, und wenn ja, wie das zu bewerkstelligen wäre. Ein Argument richtet sich gegen die Betreiber der heute populären Netzwerke, die allesamt entweder aus den USA stammen (Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat) oder aber aus China (Wechat, Weibo, Tiktok). Während die aus China bis auf Tiktok hier so gut wie keine Rolle spielen, dominieren die US-Netzwerke. Wenn nur europäische Anbieter mit mehr Druck zum Datenschutz es geschafft hätten, ähnliche Produkte ähnlich früh zu entwickeln, könnte jetzt alles anders sein, so hört man oft.

Bessere Erkenntnisse aus den Daten Vieler

Aber wäre das wirklich so? Das Problem ist, dass nicht zu viele dieser Dienste nebeneinander existieren können. Denn je mehr Menschen denselben Dienst nutzen, umso wertvoller wird er für die Benutzer, aber auch für die Betreiber. Aus den Daten Vieler lassen sich besser Erkenntnisse gewinnen als aus denen Weniger. Dienste, die in Europa zu Hause sind, mussten wesentlich mehr Regularien befolgen als etwa Facebook. Sie hatten es daher schwerer, zudem fehlte hier auch das Risikokapital. Der einzige nennenswerte europäische Dienst, der wirklich mit den Großen mitspielt, ist das schwedische Spotify.

Es fehlte also und fehlt noch an Unternehmergeist einerseits und an Risikokapital andererseits. Daher ist es auch eine ziemliche Schnapsidee, der Staat sollte solche Plattformen aufbauen. Staaten und ihre Verwaltungen sollten das tun, was sie können - coole soziale Netzwerke gehören sicher nicht dazu.

Auch Dienste wie Facebook, Twitter und so weiter sind nicht für die Ewigkeit. Solange es sie aber gibt, bleibt realistisch gesehen nur die Frage, wie man damit umgeht. Niemand muss sie benutzen, für Jüngere ist das allerdings schwierig. Eine besonders heikle Frage ist, wer für unerwünschte Inhalte verantwortlich und zuständig sein soll. Lange konnten sich die Netzwerke aus der Verantwortung stehlen, nun müssen unterbezahlte Content-Moderatoren von Subunternehmen den Schmutz und Schund herausfischen. Eigentlich aber ist es doch keine Aufgabe für Unternehmen, staatliche Regeln auszulegen. Und es bleibt auch ein überaus heikler Balanceakt, zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht etwa von Menschen abzuwägen, die aufs Übelste beleidigt oder gar bedroht werden.

Der Geist ist längst aus der Flasche, wieder hineinbannen ließe er sich nur mit Zwangsmitteln, die in einer freiheitlichen Demokratie nicht zur Debatte stehen. Was bleibt, ist langwierig und mühsam: Die Gesellschaft muss lernen, schon im Kindesalter, wie man die Möglichkeiten des Netzes richtig nutzt. Dazu gehört auch, die negativen Seiten zu kennen und zu lernen, dass nicht alles, was im Netz steht, wahr ist. Kritischer Geist ist gefragt, Zweifeln ist angebracht. Verzweifeln dagegen bringt einen nicht weiter.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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